1.100 EUR plus für Beschäftigte in Arztpraxen

Für eine kämpferische und demokratische Kampagne für einen neuen Kollektivvertrag!

Vor einigen Tagen habe ich in einer Tageszeitung von der neuen Kampagne der GPA-DJP "1.100,-- EUR plus" für Beschäftigte in Arztpraxen gelesen. Als Betroffener war ich sehr erfreut, dass sich endlich jemand für unsere Interessen stak machen will.

Die Entlohnung in unserem Bereich ist in der Tat alles andere als rosig. Die Einstiegsgehälter liegen nach dem Kollektivvertrag teilweise bei unter 800 EUR bei 40 Stunden. Dabei sind die Anforderungen an die Beschäftigten in Arztpraxen viel höher als viele denken. Unsere Arbeit ist extrem vielseitig. Wir stehen die meiste Zeit im persönlichen Kontakt mit PatientInnen, müssen nicht nur Wartelisten verwalten und mit einer recht komplexen Software umgehen können, sondern auch Medikamente, Verordnungen, Überweisungen usw. verschreiben, Therapien (Ultraschall, .) machen, PatientInnen Krank und wieder Gesund schreiben, Infusionen herrichten, EKG schreiben, Harntests machen, Blutabnahmen vorbereiten ... Dazu kommt die ganze Verwaltungsarbeit (Karteien archivieren, zu genehmigende Medikamente einreichen, .). Ohne uns würde eine Arztpraxis unmöglich funktionieren. Ohne unsere Vorarbeiten wären die ÄrztInnen auf verlorenem Posten.

Dazu kommt die soziale Dimension bei unserem Job. Viele PatientInnen weinen sich schon mal bei der Anmeldung aus, erzählen von ihren Problemen und Wehwehchen. Sie sprechen mit uns über ihre Sorgen und Ängste, wenn ihr Kind süchtig ist, ihre Trauer, wenn ein naher Verwandter gestorben ist usw. In Wirklichkeit bräuchte es eine entsprechende Ausbildung, wie sie in vergleichbaren Jobs nicht nur üblich, sondern sogar Voraussetzung ist, um auch diese Anforderungen professionell erfüllen zu können.

Nicht selten bedeutet die Arbeit in der Ordination Dauerstress. Wenn sich z.B. vor dem eigenen Schreibtisch eine Schlange von bis zu zehn PatientInnen bildet, wobei jedeR ein berechtigtes Argument auf Lager hat, warum er/sie oder ihr Kind besondere Betreuung benötigt und natürlich nicht eine Stunde auf die ärztliche Behandlung warten könne, und dann klingelt noch ständig das Telefon ...

In unserem Job sind wir jedenfalls die meiste Zeit voll gefordert. Dementsprechend ausgelaugt sind wir bei Arbeitsende.

Die im Kollektivvertrag vorgesehene Entlohnung spiegelt dies auf keinen Fall wider. Wir arbeiten in einem klassischen Niedriglohnbereich, so wie es eben der gesamte Sozial- und Gesundheitsbereich trotz seiner Bedeutung für die Menschen ist, was nicht zuletzt auch die neuen Regelungen für die 24-Stunden-Pflege zu Hause zeigen. Der Vergleich mit anderen Jobs, die nicht gerade als gut entlohnt zu bezeichnen sind, spricht Bände: Eine Reinigungskraft (Gebäudereinigung) verdient brutto EUR 1.174,30,-- für eine 40-Stunden-Woche, einE VerkäuferIn laut Handelskollektivvertrag EUR 1.152,-- für eine 38,5-Stunden-Woche, eine Heimhilfe (BAGS-Kollektivvertrag) EUR 1.402,-- für eine 38-Stunden-Woche und einE BeschäftigteR in einem Call-Center (Gewerbekollektivvertrag) EUR 1.410,61,-- für eine 40-Stunden-Woche.

Kein Wunder, dass 90% der Beschäftigten in Arztpraxen Frauen sind. Der Lohn in diesem Job dient im Regelfall als Zusatzverdienst, um das Gesamtfamilieneinkommen ein wenig aufzufetten. Eine eigene Existenz lässt sich damit aber praktisch nicht aufbauen. Vor allem wenn wir bedenken, dass nicht wenige von uns nur eine Teilzeitbeschäftigung haben.

Um so mehr ist es zu begrüßen, dass die GPA-DJP-Frauen jetzt eine Kampagne zur Erhöhung der Mindestlöhne für Beschäftigte in Arztpraxen auf 1.100 EUR gestartet haben. Damit soll in Hinblick auf die anstehenden Kollektivvertragsverhandlungen im November Druck erzeugt werden. Außerdem will die Gewerkschaft für die Zukunft spürbare Gehaltserhöhungen durchsetzen. Die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern sollen ebenfalls der Vergangenheit angehören (im Burgenland gibt es überhaupt noch keinen Kollektivvertrag!).

Als ich von der Kampagne erfahren habe, habe ich mich umgehend bei der Gewerkschaft gemeldet und mitgeteilt, dass ich die Kampagne aktiv unterstützen und mitarbeiten möchte. Die zuständige Gewerkschaftssekretärin meinte, sie würde mir einen Fragebogen zuschicken, den ich ausfüllen könne. Aktiv mitarbeiten? Das sei in der Kampagne nicht vorgesehen.

Auf Basis der Umfrageergebnisse wolle die Gewerkschaft dann die Forderungen zum Kollektivvertrag ausarbeiten. Über diese sollen die Beschäftigten dann wieder informiert werden. Mitentscheiden ist aber - einmal mehr - nicht vorgesehen.

In dieser Phase der Kampagne muss es ein Ziel sein, Aktivgruppen bestehend aus GewerkschafterInnen und betroffenen Beschäftigten zu bilden, um den gewerkschaftlichen Organisationsgrad in den Arztpraxen zu erhöhen und um einen Mobilisierungsplan auszuarbeiten, um möglichst alle Betroffenen zu erreichen und zu informieren. Die Forderungen zum Kollektivvertrag müssen von den Betroffenen demokratisch legitimiert werden. Das Verhandlungsergebnis muss einer Urabstimmung unter allen in dem Bereich Beschäftigten unterzogen werden.

Gerade auch bei dieser Kampagne wird sich deutlich zeigen, dass die Strategie der österreichischen Gewerkschaften FÜR die Betroffenen zwar in Einzelfällen gewissen Fortschritte zu erzielen vermag, die aber nicht vergleichbar mit jenen sind, die erzielt werden könnten, wenn die Gewerkschaften MIT den Betroffenen und unter ihrer demokratischen Entscheidung agieren würden!

Wir sind ÖGB is powered by Joomla!®