KindergartenpädagogInnen: "Die spielen ja nur"

Die AutorInnen des folgenden Artikels beschäftigen sich darin mit den Hintergründen des aktuellen Kampfes um bessere Arbeitsbedingungen im Bereich der frühkindlichen Erziehung. Kinder eigenen sich die Welt in ihrem Spiel auf sinnliche, emotionale und rationale Wahrnehmungs- und Gestaltungsweise aneignen. Für diese Entwicklungsbedürfnisse gilt es, entsprechende äußere Rahmenbedingungen anzubieten, die es Kindern erlauben, möglichst vielfältig handelnd tätig zu sein.

Projektionsfläche Kind

Ob wir es wollen oder nicht, jedem pädagogischen Handeln liegt ein ideologisches und philosophisches Welt- und Menschenbild zugrunde. Die explizite Darstellung nicht zuletzt auch politischen Dimension des eigenen Denkens (und damit auch pädagogischen Handelns) mag schwer fallen. So macheR mag die Auseinandersetzung mit derlei Fragestellungen gar für überflüssig halten. Oft wird eine Problemstellung dann auf die reine Handlungsebene – eine didaktisch methodische Frage – reduziert.

Solch eine Vorgehensweise lässt aber ganz wesentliche Probleme außer Acht: Es kann nicht sein, soll nicht sein und passiert deshalb auch nicht, dass es im Kindergarten um die Kinder alleine geht – allen Beteuerungen über eine kindzentrierte Pädagogik zum Trotz (die missverstanden scheinbar alle nicht im Kind selbst enthaltenen Bedürfnisse als nicht zulässige Fremdbestimmung zurückweist). Kinder sind nämlich immer auch Projektionsfläche von gesellschaftlichen, persönlichen und familiären Ziel- und Wunschvorstellungen. Kaum ein Unterfangen wird mit einer derart hohen Erwartungshaltung begonnen wie die Erziehung eines Kindes.

Pädagogische Rolle

Dem/der PädagogIn obliegt in diesem Spannungsfeld die Rolle eines/r VermittlerIn. Wir sind aber keinE neutralen VermittlerInnen, sondern haben selbst ganz persönliche Ziele, berufliche Ambitionen und Vorgaben, die unserem Berufsethos entsprechen. Diese beeinflussen unser pädagogisches Handeln und stellen natürlich faktisch Einschränkungen für die Freiheit des Kindes dar. Wir sollten sie daher bewusst aufgreifen und in unsere Arbeitsweise integrieren. Das erlaubt es uns auch, sie hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Kind zu untersuchen und einer Kritik zu unterwerfen. Unausgesprochene, verborgene Motive entziehen sich jedoch der Reflexion, der Diskussion, dem fachlichen Diskurs und sind deshalb auch nicht bewältigbar. Sie können aber mitunter unser gesamtes Verhalten dominieren und sogar unseren bewusst eingestandenen Motiven und Zielvorstellungen zuwider laufen.

Wir müssen daher diese impliziten Bestimmungsstücke unseres Handelns explizit machen und dürfen uns nicht auf das Erarbeiten von methodischen Handlungsanleitungen oder technischen Tipps und Tricks als handwerkliches Rüstzeug für den pädagogischen Alltag beschränken. Bei Fragen wie: Was mache ich mit einem verhaltensauffälligen Kind?, Wie gehe ich mit kindlicher Aggression in der Gruppe um?, Wie kann ich das Selbstwertgefühl von Kindern steigern? (so oder so ähnlich lauten dann ja auch die Überschriften der Beiträge in den Fachzeitschriften) dürfen wir uns nicht nur auf die oberflächliche Fassade der PädagogIn-Kind Interaktion beschränken.

Zwischen den Zeilen dringt unweigerlich auf verschiedenen Kanälen (Mimik, Gestik, Wortwahl, Stimmlage, Habitus usw.) eine viel tiefer liegende, bedeutsamere Botschaft durch; und diese hat mit dem eigenen Welt- und Menschenbild zu tun. Genau diese unterschwelligen Signale werden von den Kindern aber sehr wohl (wenn auch oft nicht bewusst) wahrgenommen und in ein eigenes Welt- und Menschenbild verarbeitet. Es geht also beim Thema Erziehungsstil niemals nur um eine oberflächliche Handlungsebene, die ja doch zum Gutteil nur widerspiegelt, wozu der/die PädagogIn selbst erzogen/ausgebildet wurde (vom Zeitgeist und der Fachwelt gewünschtes Verhalten den Kindern gegenüber zu zeigen). Was hier durch uns spricht, ist unsere Biographie: Unsere eigene Erziehung und Sozialisation und die zahlreichen Eindrücke, die wir im Laufe unseres Lebens zu einem Welt- und Menschenbild verarbeitet haben.

Überwinden wir diese eigenen Prägungen nicht, bleiben wir dazu verdammt, in vielen pädagogisch bedeutsamen Situationen bloßes Sprachrohr einer durch uns sprechenden Außenwelt zu sein. In der momentanen – auch medial geführten – Diskussion wird daher zurecht auf die unzulänglichen Rahmenbedingungen im Kindergartenwesen wie Raumgröße und Betreuungsschlüssel (einE PädagogIn auf 25 Kinder) hingewiesen; entsprechende Veränderungen werden von PädagogInnen und Eltern gefordert, um strukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Entwicklungsbedürfnissen der Kinder entsprechen.

Darüber hinaus müssen wir auch Möglichkeiten der Beteiligung von Kindern am normalen gesellschaftlichen Leben bis hin zur aktiven Mitgestaltung durch diese selbst ausloten. Die ersten Hindernisse, die es dabei zu überwinden gilt, sind sicherlich die Schranken unseres eigenen Denkens und Handelns als PädagogInnen. Nehmen wir also unser Selbstverständnis, konsequent auf Seiten der Kinder zu sein, doch einfach mit vor die Tür, gehen wir stolz damit spazieren, erobern wir Terrain und lassen uns nicht von genervten Blicken oder Kommentaren von PassantInnen beirren. Lassen wir uns nichts gefallen, damit sich die Kinder nichts mehr gefallen lassen müssen.

Kindergartenaufstand

Kinder entdecken (Eindruck) indem sie verändern (Ausdruck). Nur Rahmenbedingungen, welche diesem dialektischen Wechselverhältnis zwischen ganzheitlicher Wahrnehmungsfähigkeit und kreativer Ausdrucksmöglichkeit gerecht werden, fördern folglich ihre Entwicklung. Kinder schöpfen im Tun aus sich selbst. Dieses Selbst wird zum Großteil durch Beobachtungen der Außenwelt und der Verarbeitung dieser Eindrücke im Spiel gespeist.

Verbringt nun ein Kind einen wesentlichen Teil seines Tages mit PädagogInnen, also neben den Eltern einer dritten wichtigen Beziehungs-/Bezugsperson, so werden auch diese zu einem prägenden Rollenvorbild. Dieser Vorbildwirkung entspricht auch eine gesellschaftliche Verantwortung den uns anvertrauten Kindern gegenüber.

Das Kollektiv Kindergartenaufstand hat sich daher im Februar 2009 eben auch im Bewusstsein dieses Rollenvorbilds heraus gebildet. Wir sind PädagogInnen, die zuallererst Verantwortung für uns selbst be- und ergreifen müssen, die lernen müssen, für sich selbst zu sprechen, sich selbst zu ermächtigen. In diesem Bewusstwerdungsprozess müssen wir uns selbst verstärkt als die ExpertInnen für frühkindliche Bildung, die wir sind, wahrnehmen.

Wir arbeiten an einem veränderten Selbstbild und einer veränderten Wahrnehmung unserer Arbeit in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten. Da wir uns dabei in einem noch immer feminisierten Berufsfeld bewegen, sind wir auch darum bemüht, uns als Berufsgruppe von gängigen, diskriminierenden Frauenbildern zu emanzipieren. Als Zusammenschluss von Angestellten im Elementarbildungsbereich geht es uns darum, unsere Arbeitsbedingungen als Kindergarten- und HortpädagogInnen zu verbessern. Das Kollektiv Kindergartenaufstand begrüßt und unterstützt die Einführung des Gratiskindergarten ins Wien, weil diese eine Entlastung für viele Eltern ist. Es wurde aber verabsäumt, die seit Jahren bestehenden Missstände bezüglich Personalsituation, Gruppengröße und Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Wir fordern diese grundlegenden Veränderungen auch im Interesse der uns anvertrauten Kinder, ihrer ganzheitlichen und gesunden Entwicklung, sowie deren Eltern, die darauf vertrauen, dass ihre Kinder bestmöglich gefördert und nicht bloß aufbewahrt werden.

Unsere Forderungen sind:

  1. Reduzierung der Gruppengröße mit einem Betreuungsschlüssel von einer/m PädagogIn auf acht Kinder.
  2. Mehr und ausreichend kinderdienstfreie Zeit zur Vorbereitung und Dokumentation, um die gestiegenen Arbeitsanforderungen wie individuelle Förderung, Planung von spezifischen Förderangeboten, Sprachförderung, transparente Eltern- und Öffentlichkeitsarbeit, Supervision und Vorbereitung von Entwicklungsgesprächen etc. entsprechend pädagogisch vor- und nachbereiten zu können.
  3. ein angemessener Lohn.

Wir sind BildungsexpertInnen für den Elementarbereich und fordern, dass diese gesellschaftspolitisch wichtige Arbeit entsprechend anerkannt wird. Kindergärten sind Bildungseinrichtungen und keine "extended family". Wir treten dafür ein, dass diesem Bereich die notwenigen Mittel und die erforderliche Bedeutung zugemessen werden. Als ExpterInnen müssen wir in die Entwicklung von österreichweiten Bildungsplänen eingebunden werden. Weiters fordern wir daher eine Ausbildung zu KindergartenpädagogInnen an den Universitäten. Außerdem fordern wir einen Kollektivvertrag und eine gemeinsame, demokratische gewerkschaftliche Organisierung aller im primären Bildungsbereich Arbeitenden.

Seit unserem ersten öffentlichen Auftritt auf der Demonstration "Wir zahlen nicht für eure Krise" im März 2009 haben wir viel erreicht. Gemeinsam konnten wir die kollektiv vorhandene tiefe Unzufriedenheit der PädagogInnen aufgreifen und ihr eine Form der demokratischen Organisierung – von uns als Kollektiv bezeichnet – verleihen. So ist es uns gelungen, bei zahlreichen Aktionen – die in zwei Demonstrationen mit jeweils 3.000 TeilnehmerInnen gipfelten – unsere Anliegen im öffentlichen Raum lautstark zu vertreten. Die leichte Verbesserung der Gehälter für PädagogInnen in Kindergärten der Gemeinde Wien ist auch eine Reaktion auf diesen von uns aufgebauten Druck. Klar ist aber auch, dass diese "Verbesserungen" gemessen an den beschriebenen eklatanten Missständen – die sich angesichts des horrenden Personalmangels laufend verschlechtern – kaum der Rede wert sind.

Aber der Stein ist ins Rollen gekommen; um unsere Bewegung für kommende Auseinandersetzungen noch schlagkräftiger zu machen, sehen wir es als unsere wichtigste Aufgabe, uns mit noch mehr PädagogInnen zu organisieren und für die nächste Phase der Protestmaßnahmen zu rüsten.

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