Die Abwahl von Neugebauer und Csörgits: Ein Symptom tiefer Unzufriedenheit

Von Anfang an war die Stimmung am ÖGB-Kongress (und schon zuvor in der vorbereiteten FSG-Sitzung) von einer spürbaren Spannung geprägt. Die Haltung der Delegierten kann durch folgende zwei Kennzeichen beschrieben werden: Erstens tiefe Unzufriedenheit mit dem Kurs der Führung von FSG, ÖGB und SPÖ; zweitens keine Bereitschaft zum offenen Widerstand. Schwacher Applaus und Murren bei den offiziellen RednerInnen – starker Applaus bei der Rede des einzigen FSG-Delegierten, der nicht vor der Pensionierung steht oder Pensionist ist und sich in der Diskussion bei der FSG-Fraktionssitzung trotzdem kritisch zu Wort meldete: Robert Wurm. Am stärksten brandete der Applaus bei seiner Aussage: "Die Demokratie wird in 5 Minuten abgehakt!"

Die Gründe für die Unzufriedenheit vieler Delegierten wurde von Robert Wurm als Einzigem angesprochen: Der völlige Ausverkauf der SPÖ in den Koalitionsverhandlungen, die Entmachtung der FSG in der SPÖ, das SozialpartnerInnenpapier, die mangelnde Kampfbereitschaft des ÖGB sowie die mangelnde Demokratie innerhalb der Fachgewerkschaften und dem ÖGB.

Die Delegierten am ÖGB-Kongress repräsentierten wie immer nicht seine Basis. Sie kommen zumeist aus einer bestimmten Schicht von FunktionärInnen, nämlich höher gestellten Hauptamtlichen der Gewerkschaften, einer Kaste also, die sich außerhalb der Kontrolle der einfachen Mitglieder und auch des realen Lebens in den Betrieben befindet. Diese Schicht glaubt nicht mehr an die ÖGB-Führung, sie ist jedoch noch nicht zum Widerstand bereit – zu sehr hängen die meisten selbst an den Rockzipfeln der Macht.

Die Abwahl von Neugebauer und Csörgits ist ein klarer Ausdruck dieser Situation: Keine offene Kritik, kein offenes Aufzeigen der Missstände, kein Aufzeigen alternativer Perspektiven, sondern ein Murren in den Gängen, das sich in einer "Streichorgie" Ausdruck verschafft.

Die Abwahl genießt unsere aufrichtige Sympathie. Das erste Mal seit 1945 ist von einem der wenigen Instrumente der Demokratie im ÖGB, das es gibt, Gebrauch gemacht worden. Dies war aber nicht nur eine einfache Abwahl, sondern um ein Symptom der tiefen Krise der Führung des ÖGB. Es handelt sich dabei auch um die erste Form eines beginnenden Differenzierungsprozesses im Apparat des ÖGB. In der geheimen Abwahl drücken sich aber auch alle Mängel der Opposition im ÖGB aus: Fast niemand davon hat den Mut, offen Kritik zu äußern oder eine andere Perspektive aufzuzeigen.

Die Abwahl hat sich nicht nur gegen Neugebauer und Csörgits gerichtet, sondern war ein eindeutiger Warnschuss gegen die momentane Führung, gegen Hundsdorfer und Haberzettel.

Hundsdorfer und Haberzettel sind durch die Streichung von Neugebauer viel mehr brüskiert worden als Neugebauer selbst, der nichts anderes als eine Streichung bezwecken wollte, um sein Projekt einer mehr oder weniger unabhängigen GÖD damit legitimieren zu können. Abgesehen davon hat es niemand verdient in der Gewerkschaftsspitze zu sitzen, der im Nationalrat für die asoziale Pensionsgegenreform 2003 gestimmt hat.

Diese Streichung ist vielleicht der stärkste Kulturbruch in der österreichischen Gewerkschaftsbewegung seit 1945. Sie ist ein Abweichen von der Unkultur im ÖGB, dass immer die Einstimmigkeit mit der FCG gesucht werden muss. Auf diese Weise wurde eigentlich schon durch die innere Struktur des ÖGB gesichert, dass dieser dem Kapital nie ernsthaft gefährlich werden konnte. Durch diesen selbst auferlegten Einstimmigkeitsfetischismus, der fälschlicherweise als Überparteilichkeit verkauft wird, band sich der ÖGB in der Vergangenheit schon von seiner Struktur her auf Gedeih und Verderb an die VertreterInnen der ÖVP in den Gewerkschaften, an Leute wie Neugebauer, der zumindest seit 2000 nichts anderes ist als ein Agent der Bürgerlichen in den Reihen der ArbeiterInnenbewegung. Dies ist keine Überparteilichkeit, sondern eine zementierte Erpressung der ArbeiterInnenbewegung durch die Volkspartei. Wir Gratulieren den Delegierten des ÖGB-Kongresses zu dieser wunderbaren Aktion!

Wahre Überparteilichkeit in der Gewerkschaft erfordert nicht Einstimmigkeit mit der FCG, sondern eine Abschaffung der undemokratischen Bindung aller Wahlen an die Fraktionen. Nicht Fraktionen, sondern Personen müssen der Basis Rechenschaft schuldig sein, und sich einer Wahl stellen.

  • Schluss mit dem Fraktionenwahlrecht!
  • Schluss mit den ausfraktionierten Listen!
  • Für die Wahl der Personen, die das meiste Vertrauen der Mitglieder genießen!

Kommen wir zum Fall Csörgits. Hier ging es darum, ein Zeichen gegen das alte System Verzetnitsch zu setzen. Csörgits konnte im Hearing ihr Gehalt nicht benennen und gilt als persönliche Vertraute von Verzetnitsch. Es ist ein großartiger Bruch mit dem Fraktionszwang, welcher in ihrer Abwahl zum Ausdruck kommt, wurde doch eine FSGlerIn von der FSG abgewählt. Wir gratulieren den Delegierten der FSG zu dieser Entscheidung!

 Es ist auch ein kleiner Sieg der Demokratie gegen den undemokratischen Fraktionszwang, der seit der Gründung des ÖGB alle Diskussionen und Widersprüche zudeckt. Es ist ein kompletter Unsinn, anzunehmen, dass die Führung des ÖGB oder der FSG selbst hinter diesen Streichorgien stecke. Beide Streichungen sind Warnschüsse gegen die aktuelle Führung des ÖGB, welche sich in Wirklichkeit um kein Jota von der alten unterscheidet, denn Csörgits ist eigentlich nur die schlimmste Repräsentantin der ganzen Clique, die jetzt noch immer an den Schalthebeln der Macht im ÖGB sitzt. Doch die Botschaft der Delegierten ist klar: Macht, was die Basis will, sonst seid ihr die Nächsten!.

Zerstückelungsgefahr?

Im November haben wir im Text Die Bilanz der ÖGB-Reformklausur: Im Grunde ein Rückschritt, der im Übrigen unsere Position zur ÖGB(Nicht-)Reform darlegt, folgendes geschrieben: "Die Analyse des Reformprozesses muss aber vor dem Hintergrund eines Prozesses erfolgen, der nicht von der sog. Reformklausur, sondern von der GÖD eingeleitet worden ist: Die Zerstückelung des ÖGB selbst."

Genau dieser Zerstückelungsprozess wird jetzt von Neugebauer weiter vorangetrieben. Spaltet sich nämlich die GÖD ab, dann werden auch die anderen Teilgewerkschaften anfangen, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Dabei ist es gar nicht so wichtig, ob sie formal Teil des ÖGB bleiben oder nicht. Die Möglichkeit der Teilrechtsfähigkeit, die jetzt vom neuen ÖGB-Statut eingeräumt wird, ist an sich schon eine Entmachtung der Zentrale.

Wir haben also zwei Ergebnisse des ÖGB-Kongresses. Einerseits einen voranschreitenden Auflösungsprozess initiiert durch die GÖD und andererseits ein Differenzierungsprozess unter den FunktionärInnen, der eine tiefgehende Unzufriedenheit im Kern der ArbeiterInnenbewegung, den BetriebsrätInnen, widerspiegelt.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Abwahl ist ein wichtiges Symptom eines molekularen Prozesses, der unter der Oberfläche stattfindet. Der maßlose Unmut der Gewerkschaftsbewegung, der Mitglieder, der FunktionärInnen und der BetriebsrätInnen findet noch keinen produktiven Kanal, wo er sich ausdrücken kann. Folglich machte sich die Unzufriedenheit in einer "Streichorgie" Luft. Diese Form der Äußerung von Unzufriedenheit ist natürlich nicht besonders konstruktiv. Destruktion ist aber manchmal notwendig, wenn negative Phänomene beseitigt werden sollen.

Konstruktiv kann dieser Unmut erst werden, wenn sich neue kämpferische Basisstrukturen bilden, aktive gewerkschaftliche Betriebsgruppen, kämpferische Netzwerke usw. entwickeln. In diese Phase des molekularen Prozesses werden wir jedoch erst eintreten, wenn es zu vermehrten betrieblichen Konflikten kommt, in denen die Belegschaften gemeinsam mit ihren BetriebsrätInnen gezwungen werden, neue Wege des gewerkschaftlichen Widerstandes zu beschreiten: Aktive Gegenwehr in den Auseinandersetzungen mit dem Kapital und tiefgehende Demokratisierung des Kampfes durch die Einbeziehung der Belegschaften und der Mitglieder in den gewerkschaftlichen Widerstand.

In den kommenden Jahren werden neue Sammelpunkte des Widerstandes im Kampf gegen das Kapital entstehen. Sammelpunkte, die der erstarrten ÖGB-Struktur neues Leben einhauchen werden.

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