Die Bilanz der ÖGB-Reformklausur: Im Grunde ein Rückschritt
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- Erstellt am Freitag, 15. Dezember 2006 11:01
- von Josef Falkinger, Kampagne "Wir sind ÖGB"
Am 24. November wurden die Ergebnisse der Reformklausur der Öffentlichkeit in einer Kurzfassung präsentiert. Diese sollen jetzt in einen Antrag für den ÖGB-Kongress gegossen werden. Das bedeutet, dass bereits in den Ergebnissen der Reformklausur im Wesentlichen die gesamte "ÖGB-Reform" enthalten ist. Grund genug, das Papier einer Analyse zu unterziehen. Diese muss aber vor dem Hintergrund eines Prozesses erfolgen, der nicht von der sog. Reformklausur, sondern von der GÖD eingeleitet worden ist: Die Zerstückelung des ÖGB selbst.
Der ÖGB wird geschwächt!
Noch vor der Reformklausur hat die GÖD das Ziel der Teilrechtsfähigkeit erklärt. Ziel ist die finanzielle Eigenständigkeit gegenüber dem ÖGB. GÖD-Vorsitzender Neugebauer meint, Zahlungen an den ÖGB müssten überdacht werden. Dies an sich kommt nicht überraschend. Es war klar, dass die ÖVP die Krise des ÖGB dazu nutzen wird, auch durch ihre FreundInnen in der GÖD den verhassten ÖGB zu schwächen. Verwunderlich ist nur, dass die FSG in der GÖD diesen Prozess der Schwächung des ÖGB unterstützt. Verwunderlich ist auch, dass auch andere Teilgewerkschaften, anstatt der ÖVP Widerstand zu leisten, nur versuchen, ihre Schäfchen ebenfalls ins Trockene zu treiben. So tritt auch die MetallerInnengewerkschaft für eine Stärkung der Teilgewerkschaften ein. Auch die GPA ist hier letztlich keine Ausnahme. Die GPA vertritt im Prinzip die richtige Position einer starken Einheitsgewerkschaft. In der Praxis ist aber auch die Linie der GPA fatal. Denn die GPA sagt: Wenn unsere Linie einer Einheitsgewerkschaft nicht durchgeht, dann treten wir für eine Teilrechtsfähigkeit wie die GÖD ein. Nachdem aber klar ist, dass die GÖD von ihrem Kurs nicht abgehen wird, läuft die Politik der GPA auf das selbe hinaus wie die Politik der GÖD. Es geht anscheinend nur noch darum, dem/der anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. An einem wirklichen, dauerhaften Kampf für einen einheitlichen und schlagkräftigen ÖGB ist niemand ernstlich interessiert.
Manche GewerkschaftsführerInnen sagen, dass sich durch die Teilrechtsfähigkeit nichts ändert und nur bestehende Praxis in Recht gegossen wird. Das ist ein kompletter Unsinn! In einer Organisation wie dem ÖGB ist es entscheidend, wie die Geldflüsse laufen. Auch der/die Naivste weiß, dass in einem Apparat letztlich der/die entscheidet, der/die den Geldhahn auf- und zudrehen kann! Und genau an diesem Geldhahn werden zukünftig statt dem ÖGB-Prasidium, die PräsidentInnen der Teilgewerkschaften drehen.
Das bedeutet, dass momentan unabhängig von der Reformklausur und dem ÖGB-Kongress der ÖGB als Dachverband entmachtet wird. Der Teilrechtsfähigkeit der Einzelgewerkschaften muss natürlich noch der ÖGB-Kongress im Jänner zustimmen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Reform-Bericht bereits wider: Dort heißt es: "Im ÖGB werden wesentliche Grundsatzabteilungen wie etwa Sozial-, Wirtschafts-, Bildungs-, Gesundheits- und Internationale Politik für alle Gewerkschaften zur Verfügung stehen. Im neu zu wählenden Präsidium werden einzelne Mitglieder für je eine politische Grundsatzabteilung verantwortlich sein."
Das ist das einzige was unter dem Punkt "Aufgabenverteilung" als Aufgabe des Dachverbandes genannt wird. Es ist klar was damit gemeint ist. Der ÖGB verkommt zu einer "Grundsatzabteilung", zu einer Beratungszentrale für Einzelgewerkschaften, ohne praktische Relevanz und Kompetenz.
In diesem Zusammenhang muss noch auf eine andere Entwicklung eingegangen werden: Die Auflösung der ÖGB-Bezirksstrukturen. Diese sind außerhalb von Wien oft der letzte Ort, wo wirklich lebendige Basisarbeit passiert, wo der ÖGB so etwas wie eine aktive Basis besitzt. Die Auflösung der Bezirksstrukturen macht den Versuch der Einzelgewerkschaften, den ÖGB zu entmachten, komplett. Die Ersetzung der Bezirksstrukturen durch größere regionale Strukturen, sogenannte "regionale Betreuungseinheiten" ist inakzeptabel, da hier die Umsetzung völlig im Dunklen liegt und dem Willen und den finanziellen Möglichkeiten der Landesorganisationen überlassen wird.
In Wirklichkeit wird mit der Auflösung der Bezirksstrukturen der letzte Rest von Basisarbeit im ÖGB beseitigt. Schon alleine die Bezeichnung "regionale Betreuungseinheit" drückt aus, dass es bei den neuen Strukturen nicht um Mitbestimmung geht, sondern um Service durch die Zentrale. Dieses wird mit sogenannten "Open Space Elementen" kombiniert, die nichts mit Demokratie zu tun haben.
Ein weiterer Passus aus dem Reform-Papier ist interessant: "Die Gewerkschaften stellen gemeinsam sicher, dass sie die flächendeckende Betreuung der Betriebe und Mitglieder gewährleisten." Damit wird eindeutig klargemacht, dass die "flächendeckende Betreuung" etwa auf Bezirksebene, nicht mehr Aufgabe des ÖGB sein soll, sondern "der Gewerkschaften".
Mit der Schwächung des Dachverbandes ist der ÖGB-Reform im Grunde schon das Wasser abgegraben, denn es macht keinen Sinn, etwas zu demokratisieren, wenn dass machtlos ist.
In Wirklichkeit verlangt eine echte Demokratisierung des ÖGB eine Einheitsgewerkschaft. Auch der momentane ÖGB ist für eine Demokratisierung zu föderalistisch. Alle Organe des ÖGB werden von den Teilgewerkschaften gewählt und beschickt. Die Linie des ÖGB kann nur geändert werden, wenn die Mehrheit der Teilgewerkschaften zustimmt. Nachdem wir Gewerkschaftsmitglieder in der Regel noch nicht einmal Einfluss auf die Politik unserer eigenen Gewerkschaften ausüben können, ist eine wirkliche Einflussnahme auf die Politik des ÖGB damit vollkommen verwehrt. Solange die momentane föderale Struktur besteht, ist eine wirkliche Entscheidung der Mitglieder über die Politik des ÖGB unmöglich.
Hinzu kommt, dass die wichtigsten Themen für Lohnabhängige allgemeinpolitische sind, wie etwa Gesundheit, Pensionen, Bildung, Sozialstaat usw. Diese Themen dürfen also nicht nur bearbeitet werden, sondern der ÖGB müsste branchenübergreifend gegen jeden Abbau unserer erkämpften Rechte Widerstand leisten. Und genau dazu brauchen wir einen starken einheitlichen ÖGB! Innerhalb eines solchen muss es natürlich Unterabteilungen für die einzelnen Branchen geben.
Gehaltsobergrenze 5.800 netto und Möglichkeit zu einem Zweitjob!!!
Während die unterste Ebene des Apparats, nämlich die BezirkssekretärInnen – oft die einzigen, die noch Basiskontakt haben – Federn lassen müssen, ist die im Reformpapier festgeschriebene Gehaltsobergrenze von 5.800 netto (wohlgemerkt verbunden mit der Möglichkeit eines Zweitjobs!), eine eindeutige Absage der Führung, selbst zur Sanierung beitragen zu wollen. Weiterhin soll es zum Verständnis des ÖGB gehören, dass er wie eine Firma ManagerInnen brauche, und "gute Leute"(auch das muss bezweifelt werden) eben etwas kosten. Diese Einstellung ist absolut untragbar. Die Haltung, dass der ÖGB eine Firma sei, verkörpert die Einstellung der FunktionärInnen, die meinen, sie könnten den ÖGB wie ihre Firma behandeln. Diese Ideologie ist auch mitverantwortlich für die Krise der ÖGB, die wir momentan erleben.
Eine Gewerkschaft muss das politische Kampfinstrument der Lohnabhängigen sein, hier gibt es nichts gut oder schlecht zu verwalten, sondern nur politische richtig, gut organisiert und kämpferisch zu agieren! Wir hingegen sind der Meinung, dass der ÖGB Leute braucht, die bereit sind gegen "ManagerInnen" in- und außerhalb des ÖGB zu kämpfen. Wir sind auch der Meinung, dass Leute, die soviel Geld brachen, um gut zu sein, nicht gut sind.
Open Space statt Demokratie?
Während mit den Bezirksorganisationen der letzte Rest von Basisleben abgeschafft wird, sollen Open Space (öffentlicher Raum)-Elemente eine Demokratisierung vortäuschen. Die Idee ist die selbe, wie bei den Regionalkonferenzen: Das Mitglied soll sich einbringen und mitreden können, aber ohne jegliche Verbindlichkeit für die Führung. Mitreden aber nicht Entscheiden, Diskutieren aber "keine Beschlüssen fassen dürfen" lautet die Devise; dabei geht es vor allem um eines: Es sollen Ventile zum Dampf ablassen geschaffen werden, die die SesselklleberInnen in den Apparaten nicht ernsthaft gefährden.
Auf diese Weise soll es zwei Mal pro Jahr öffentlich zugängliche regionale Gremien geben. Aber was bitte kann auf einem regionalen Gremium eines im Grunde entmachteten ÖGB schon entschieden werden, wo die regionalen Betreuungseinheiten nur Serviceaufgaben haben? Einmal im Jahr soll es in jeder Region außerdem ein Gewerkschaftshearing geben, bei dem das Präsidium den Mitgliedern Rede und Antwort steht. Schlussendlich soll es öffentlich zugängliche Diskussionen zu gewissen Themen geben. Diese Veranstaltungen werden wie die Regionalkonferenzen einen reinen Meinungsumfragecharakter haben.
Besonders lustig ist auch folgender Satz aus dem Reformpapier: "Auf regionaler Ebene wird die Direktwahl im Rahmen einer Testphase erprobt." Eindeutiger geht es gar nicht: Wir testen was bei einer Direktwahl herauskommt; wenn es uns nicht gefällt, drehen wir das Ganze wieder ab. Genau das ist das Demokratieverständnis der ÖGB-Führung. Ein bisschen Demokratie auf regionaler Ebene hat es auch in der DDR gegeben – damit kann ein im Prinzip unantastbarer Apparat ganz gut leben. Die entscheidenden Dinge, nämlich die Wahl der Delegierten für den ÖGB-Kongress, die Macht der Fraktionen bei Wahlen, werden aber klarerweise nicht angetastet.
Fast schon entschuldigend mutet dann diese Passage an: "Es ist ein erklärtes Ziel, mehr Mitglieder als Mitwirkende und EntscheidungsträgerInnen zu gewinnen. Jedes Mitglied muss regelmäßig die Möglichkeit haben, sich in seinem Organisationsbereich an der Wahl von Organen oder Delegierten seiner Gewerkschaft zu beteiligen."
Im Klartext: Wir als ÖGB können die Beteiligung der Mitglieder bei der Delegiertenwahl und bei der Wahl von Organen nicht bieten. Das müssen die Teilgewerkschaften tun. Es bleibt also tatsächlich alles beim Alten.
Das Hauptproblem punkto Gewerkschaftsdemokratie liegt aber ohnehin woanders. Es besteht nämlich darin, dass Fraktionen oder Listen, die vorher von Fraktionen ausfraktioniert werden, gewählt werden, und keine Personen. Solange das nicht verändert wird, ist jeder wirklichen Demokratie sowieso ein Riegel vorgeschoben.
Daneben sollen noch "Themen- und Funktionsforen" geschaffen werden. Damit wird BetriebsrätInnen die statutarische Möglichkeit zuerkannt, sich untereinander zu vernetzen. Es ist schon traurig, dass das ausdrücklich erwähnt werden muss, dass man sich jetzt als Betriebsrat mit anderen BetriebsrätInnen in der Freizeit treffen darf. Wenn man sich aber mit der Geschichte des ÖGB auseinandersetzt, wo jede Eigeninitiative, die den Apparat gefährdete, gnadenlos diszipliniert wurde, wundert einen das jedoch nicht.
Zusätzlich werden "Kompetenzzentren geschaffen", die von Gruppen von BetriebsrätInnen oder Entscheidungsgremien gegründet werden können. Diese Kompetenzzentren sollen eine beratende Funktion für "Entscheidungsgremien" haben. Sie sind sogar unter Umständen mit einer Stimme in Entscheidungsgremien vertreten. Dennoch entscheidet letztlich das "Entscheidungsgremium" über die Weiterführung des Kompetenzzentrums. Wiederum gibt es keine Verbindlichkeit für den Apparat.
Bilanz
Die Bilanz ist klar: Der ÖGB wird entmachtet. Die gesamte Macht wird auf die Teilgewerkschaften verlagert. Gleichzeitig werden öffentliche Regionalkonferenzen und Open Space-Diskussionen eingeführt, die den Schein der guten alten Mitbestimmung (Bitte nur ja keine Entscheidungen der Basis!) erzeugen sollen. In den Teilgewerkschaften, wo wirklich die Entscheidungen fallen, bleibt alles beim Alten.
Bezeichnend ist, dass genau dort Dampf abgelassen werden soll, wo ohnehin keine große Macht mehr ist, nämlich beim ÖGB. Das ist das gesamte Reformkonzept und die künftige ÖGB Führung ist damit nicht zu beneiden: Der ÖGB wird in Zukunft auf eine Grundsatzabteilung reduziert, die gleichzeitig als Dampfablassventil dienen soll. Entschieden wird aber alles doch von den Teilgewerkschaftsspitzen in alter patriarchalischer Manier.
Dieser zwitterhafte Dampfablass- und Grundsatzabteilungsmischmasch namens ÖGB soll als Gipfel der Frechheit noch für Zielgruppen zuständig sein, die in den Teilgewerkschaften offensichtlich niemand will, nämlich für "atypisch Beschäftigte", "Arbeitslose, die in AMS-Maßnahmen eingebunden sind" und "Menschen in Sozialberufen" – also genau für die Gruppen von Lohnabhängigen, die am schnellsten wachsen, schwer zu organisieren sind und kaum Mitgliedsbeiträge bringen. Der ÖGB hat damit auch die Aufgabe, neue Schichten zu vertreten, völlig in den Sand gesetzt. Atypisch Beschäftigte zu organisieren macht nur in den Branchen Sinn, wo sie arbeiten. LeasingarbeiterInnen im Metallbereich müssen von der MetallerInnengewerkschaft organisiert werden. Dass die Atypischen auf den ÖGB abgewälzt werden, zeigt, dass die Teilgewerkschaften tief in einem Denken verwurzelt sind, das arbeitende Menschen in zwei Klassen einteilt, von denen nur die typischen, besser gestellten Beschäftigten organisiert werden müssen.
Wir können der Reformklausur nur ein vollständiges Versagen vorwerfen: In Wirklichkeit haben wir es in weiten Teilen mit einem Rückschritt zu tun. Also bleibt nur eines: Zurück an den Start!