Einigung im MetallerInnenkonflikt: Wer darf zufrieden sein?

In den vergangenen Tagen liefen die Vorbereitungen für einen unbefristeten MetallerInnenstreik auf Hochtouren. Unter diesem Druck wurde gestern für den FMMI doch noch ein Verhandlungsergebnis erzielt, das die meisten Kolleginnen und Kollegen als Erfolg sehen. Wir gehen der Frage nach, inwieweit die gespürte Erleichterung zutreffend ist, und wie wir die Gewerkschaftsbewegung stärken können.

Schauen wir uns noch einmal den Ausgangspunkt an. Die ArbeitgeberInnenseite des FMMI hatte eine ganze Palette an Forderungen, die in ihrer Gesamtheit bedeutet hätten, dass an den Maschinen des 21. Jahrhunderts zu Bedingungen des 19. Jahrhunderts gearbeitet wird. Ihre Hauptangriffspunkte waren die Auflösung des Flächenkollektivvertrages Metall und die Frage von Lohn- und Gehaltskürzungen durch die „Arbeitszeitflexibilisierung“. Angesichts dessen ist die Erleichterung, dass das Schlimmste im Moment durch die Entkoppelung von Lohnverhandlungen und Arbeitszeitflexibilisierung noch abgewandt wurde, verständlich.

Die Ausgangslage

Die Ausgangslage für die diesjährige Herbstlohnrunde war extrem schwierig. Dies lässt sich vor allem an drei Punkten festmachen. Erstens war die wirtschaftliche Lage besonders im Frühjahr angespannt. Im letzten Jahr gingen tausende Arbeitsplätze im Metallbereich verloren und die Angst um den Arbeitsplatz wirkt sehr dämpfend auf die Kampfbereitschaft. Ein zweites wichtiges Element ist die Aggressivität der Unternehmen. Abschluss hin oder her: die SozialpartnerInnenschaft ist tot. Einschüchterung der BetriebsrätInnen und ganzer Belegschaften ist heute Teil moderner Unternehmenskultur. In einem großen oberösterreichischen Maschinenbauunternehmen drohte die Geschäftsleitung vor dem Abschluss mit fristlosen Entlassungen Streikender. Der FMMI organisierte in vielen Betrieben eigene Versammlungen, mit dem Zweck, die Belegschaft einzuschüchtern. Dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Ein dritter wichtiger Punkt ist die bestehende Logik, die Gewerkschaft könne die ArbeitgeberInnen nicht zu gemeinsamen Verhandlungen zwingen. Diese hat sich letztes Jahr in der Gewerkschaft als Mehrheitsmeinung durchgesetzt. Die Rückkoppelungen dieser Entwicklung waren heuer spürbar. Viele BetriebsrätInnen aus anderen MetallerInnen-Bereichen haben ihren Belegschaften vermittelt, dass der Konflikt im FMMI „uns eh nichts angeht“. Diese Spaltung hat die Position aller Verhandlerteams geschwächt.

FMMI: aktuelle Speerspitze der Unternehmeroffensive

Nachdem auch nach vier Verhandlungen die Herren Knill, Collini & Co. von ihren Forderungen nicht abrücken wollten, blieb nur noch die Streikdrohung. Diese Streikvorbereitungen in über 300 Betrieben haben ganz offensichtlich Wirkung gezeigt. Obwohl die Medien alles andere als positiv über die Strategie der Gewerkschaften berichteten, unterstützten laut Meinungsumfrage 56% der Bevölkerung einen MetallerInnenstreik. In den Zeitungen wurden nun erstmals UnternehmerInnen zitiert, die Zweifel an der provokanten Verhandlungsstrategie des Herrn Knill äußerten. Außerdemkönnen wir uns sicher sein, dass – so wie wir das bereits vorhergesagt haben – übers Wochenende seitens der Spitzen der „SozialpartnerInnenschaft“ an einer Verhandlungslösung geschmiedet wurde. Knill hatte in der „Presse“ zwar noch vollmundig angekündigt, der FMMI würde auch einen wochenlangen Streik aussitzen. Im Endeffekt musste er dann aber doch einem Kompromiss zustimmen. Christoph Leitls Prophezeihung: „Es wird eine vernünftige österreichische Lösung geben“ ist eingetroffen.

Ist dieser Kompromiss als Erfolg zu werten?

Das gestern Nacht erzielte Ergebnis sieht gestaffelte Lohn- und Gehaltserhöhungen von 2,5-3,2% vor. Die Gewerkschaft rückte damit von ihrer offensiven Forderung nach 100 Euro mehr für alle ab. Die 100 Euro mehr für alle waren auch gezielt als mobilisierendes Element für eine breitere Herbstlohnrunde gedacht. Der Handel, der ebenfalls gerade in KV-Verhandlungen steckt, steht im Regen. Die Kolleginnen und Kollegen in diesem Bereich hätten eine solche Erhöhung dringend nötig. Doch diese solidarische Lohnbewegung wird es jetzt nicht mehr geben.

Wichtig ist es uns aber auch mit aller Klarheit festzuhalten: Wenn die Arbeitszeiten nun in den kommenden Monaten mit jedem Fachverband, angefangen mit der FMMI, branchenspezifisch abgehandelt werden, dann ist das nun kurz vor der Nachspielzeit ein aufgelegter Elfer für das gegnerische Team. Das ist die Nachricht, die alle aufrütteln muss.

Das sagen die Unternehmen

Eine Einschätzung des gestrigen Kompromisses wäre nicht komplett, wenn wir uns nicht die Bilanz des FMMI anschauen würden. Herr Knill lässt uns dort folgendes wissen: „Beim Thema Arbeitszeit sind wir außerdem einen Riesenschritt weiter gekommen. Im Unterschied zu den unverbindlichen Absichtserklärungen der letzten Jahre hat der FMMI heuer einen im KV festgehaltenen Fahrplan mit einem verbindlichen Stichtag (30. Juni 2014, Anm.) vereinbart. Damit können wir für unsere Mitglieder innerhalb des nächsten halben Jahres eine allgemein akzeptierte Branchenlösung für das immer brennendere Auslastungsthema erarbeiten und als FMMI eine jahrelang heftig diskutierte Standortfrage lösen.“

Im Klartext: Der FMMI ist nach Selbsteinschätzung drauf und dran, den gemeinsamen MetallerInnen-KV endgültig aufzulösen. Es wird nach jetzigem Stand auch zur Arbeitszeit keine gemeinsamen Verhandlungen mit allen sechs Fachverbänden mehr geben. In dieser Frage haben sich die ArbeitgeberInnen ihrer Meinung nach schon voll durchgesetzt, die Gewerkschaftsbewegung hat hier den Retourgang eingelegt. Die Verhandlungsgemeinschaft in der gesamten Metallindustrie ist endgültig Geschichte, wenn sie nicht wieder erkämpft wird. Und das wäre objektiv notwendig. Aus anderen Branchen, wie den Druckereien wissen wir, dass die Spaltung der Einstieg in den Abstieg war, der heute alle erfasst hat. Arbeitsplatz wurde hier im Übrigen kein einziger gerettet.

Die Kampagnenfähigkeit weiterdenken!

An dieser Herbstlohnrunde war das Bemühen um die „Kampagnenfähigkeit“ der Gewerkschaften sehr beachtlich. BetriebsrätInnenkonferenzen, Betriebsversammlungen und die Demonstrationen in Wolkersdorf, Weiz und Hohenems waren Demonstrationen der Stärke. Wir sind der Meinung, dass – sogar wenn man auch nur die Chance gesehen hätte, um ein Zehntelprozent besser abzuschneiden – es vorteilhafter gewesen wäre, heute zu streiken und unter dem Eindruck dieses Ereignisses weiter zu verhandeln. Denn abgesehen von den aktiven Teilen der Gewerkschaftsbewegung, die mit Leib und Seele bei der Sache sind, werden viele Kolleginnen und Kollegen diesen Abschluss nicht als das Resultat ihrer Bemühungen erleben. Die Gewerkschaftsbewegung hätte hier wichtige Erfahrungen sammeln können. Das Engagement der Belegschaft kann nicht an- und abgedreht werden wie ein Wasserhahn. Diese Erfahrung hat die österreichische ArbeiterInnenbewegung schon schmerzhaft erlebt, aber das Wissen um diese elementare Wahrheit ist unter den EntscheidungsträgerInnen unserer Bewegung ungenügend verbreitet.

Spätestens jetzt, mit der separaten Verhandlung der Arbeitszeit, wird die Kampagnenfähigkeit zu einem ganzjährigen Auftrag. Die Gewerkschaft kann jetzt nicht mehr nur in den Monaten September und Oktober präsent sein, sondern muss das ganze Jahr Kampfbereitschaft an den Tag legen.

Mit Blickrichtung auf den Gewerkschaftstag im November sollte jetzt in den Betrieben eine möglichst breite Debatte geführt werden, wie wir unsere Kampfstärke vergrößern können. Rainer Wimmers wiederholte Appelle an den notwendigen Einsatz von unten, damit oben was Tragfähiges zusammenkommt, müssen mit Leben und Kraft gefüllt werden. Unserer Meinung nach kann die Interessensvertretung ausgehend von den Werkshallen und Büros gestärkt werden, wenn im Betrieb gewerkschaftliche Aktivgruppe gegründet weden. Jene KollegInnen, die sich in den vergangen Tagen am aktivsten und kämpferischsten gezeigt haben, sollen angesprochen und eingeladen werden sich an einer betrieblichen Aktivgruppe zu beteiligen. Dies kann ein wichtiger Hebel für eine intensive Verständigung über die Lage und die möglichen Maßnahmen zur Verbesserung oder zumindest Aufrechterhaltung der Situation im Betrieb und der Gewerkschaft sein.

Der Ausgangspunkt für Verhandlungen zur Arbeitszeit sollte unserer Meinung nach sein, dass bei vielen Arbeiterinnen und Arbeitern ein Punkt erreicht ist, wo weitere Einkommensverluste und weniger Kaufkraft nicht mehr verkraftbar sind. Die Streichung der Überstundenzuschläge muss daher mit allen Mitteln verhindert werden. Auf diesen Verteidigungskampf müssen wir uns ab sofort vorbereiten.

Der Kapitalismus schafft unter dem Druck der Krise in den Betrieben eine neue Realität, und zwar auf Kosten der Löhne und Rechte der Beschäftigten. Dieser Logik, dass der Profit über allem steht, müssen wir als Gewerkschaftsbewegung unsere eigene Logik entgegensetzen. Es sind unsere Bedürfnisse nach einem Einkommen und Zeit zum Leben, die über allem stehen müssen! Kompromisse machen wir dabei nur, wenn wir die gesamte Kraft der Bewegung ausgespielt haben. Gerade aufgrund der Tatsache, dass die Lage so ernst ist, geht eine Stärkung der Gewerkschaften und BetriebsrätInnen nur über die direkte Einbindung der Belegschaften in Entscheidungsprozesse und den Kampf.

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