Verhandlungen um den grafischen Kollektivvertrag: Abstimmung mit Folgewirkungen

Am Mittwoch, den 11. November 2009 lud der Wirtschaftsbereich 08 (Druck, Medien und Kommunikation) der GPA-DJP zu einer "außerordentlichen Bundesauschusssitzung". Aus ganz Österreich folgten etwa 70-80 Beschäftigte, vorwiegend Betriebsratsvorsitzende und Bundesauschussmitglieder, der Einladung.

Da die UnternehmerInnenseite in Form des Hauptvorstands des Verbandes Druck & Medientechnik weitere Verhandlungen zu einem einheitlichen Kollektivvertrag abgelehnt hatte, musste bei diesem Treffen eine Entscheidung seitens der Gewerkschaft und deren FunktionärInnen getroffen werden. Es solle in einer geheimen Wahl ermittelt werden, ob man das noch gültige Angebot des ArbeitgeberInnenverbandes an unsere Gewerkschaft vom 1. August 2009, (das von vielen Funktionärinnen und Funktionären abgelehnt wurde) annimmt, oder einen Beschluss für einen Streik fasst.

Nach neunmonatigen zähen Verhandlungen mit den ArbeitgeberInnen und der Art und Weise, wie die Unternehmen die sogenannte "Sozialpartnerschaft" teilweise mit Füßen getreten haben, welche "diktatorischen Forderungen" sie gestellt haben, war ich felsenfest davon überzeugt, dass die Gewerkschaft in einen Streik gehen wird. Auch deshalb, weil das "Letzt-Angebot" der Gewerkschaft an die Unternehmen vom 1. August 2009 von diesen nicht angenommen wurde. Außerdem waren viele BetriebsrätInnen mit diesem, vom Verhandlungsführer der Gewerkschaft Franz Bittner ausverhandeltem Ergebnis, nicht einverstanden.

Auch nach der erfolgreichen "DruckerInnendemo" am 29. September 2009 in Wien, wo 2.000 Beschäftigte gegen die "diktatorischen Maßnahmen" der Unternehmen protestierten, hatte man als Funktionär das Gefühl: die Gewerkschaft macht Ernst – die "Kampforganisation" erwacht! Ebenso nach einer Sitzung in Linz/Leonding am 2. Oktober 2009, bei der einige GewerkschafterInnen großmundig erklärten, dass es nun kein Zurück mehr gebe und man den Unternehmen zeigen werde, dass man mit uns so nicht umspringen könne. Leider weiß ich heute: dies alles waren nur "Lippenbekentnisse".

Bei der oben angeführten Bundesauschusssitzung also wurde bei einer emotionalen Diskussion das "Für und Wider" unter den Funktionärinnen und Funktionären ausgelotet. Will man einen Streik oder eben das Angebot vom 1. August? Leider stellte sich heraus, dass es etliche Betriebsrätinnen und Betriebsräte gibt, die sprichwörtlich "die Hosen voll hatten und haben". Diese sagten ganz klar, dass sie in ihren Betrieben nicht streiken werden und um die Annahme des "Angebotes 01. August" bitten!

Nun muss man fairerweise sagen, dass in vielen Betrieben seit Beginn dieses Jahres Beschäftigte gekündigt wurden und auch Betriebe zugesperrt haben. Aber dennoch: für mich war und ist es unverständlich, dass man hier so "die Hosen herunterlässt". Noch unverständlicher ist aber, dass keiner der Gewerkschaftsbosse (sprich Bittner und seine Adjutanten), diesen von Angst geprägten Betriebsrätinnen und Betriebsräten Mut zugesprochen hat. Entweder konnten oder wollten sie nicht. Ich persönlich behaupte zweiteres!

Vielleicht hat aber auch das immer wieder bei den vielen Versammlungen vorgebrachte "Horrorszenario" von Franz Bittner, nämlich, dass wenn es zu keiner Einigung mit den Unternehmen kommt, es dann unter Umständen für die Beschäftigten der Betriebe noch schlechter werden könnte, seines dazu beigetragen, dass die Angst so groß war.

Fakt ist: die anschließende Wahl brachte ein Ergebnis von 70 zu 30. Das heißt, dass 70% aller Stimmberechtigten gegen einen Streik und für die Annahme des Verhandlungsergebnisses vom 1. August gestimmt hatten. Unter der Voraussetzung, dass die UnternehmerInnenseite dieses Angebot jetzt annimmt, steht somit fest: die Beschäftigten der grafischen Betriebe Österreichs haben einen neuen Kollektivvertrag. Zu welchem Preis - das ist eine andere Frage! Das heißt auch: Zeitungs-, Bogen- und Rollendrucker werden unterschiedliche Lohnerhöhungen haben und sind somit ein für alle mal "gespalten". Dies wollten wir mit unserem Arbeitskampf eigentlich verhindern, und hat man es dennoch zugelassen!

Da auch Nachtschicht und Überstunden-Zuschläge gekürzt werden, bedeutet dies für die Kolleginnen und Kollegen einen realen Lohnverlust, den man momentan zwar nicht beziffern kann, der aber sicherlich dem einen oder anderen sehr weh tun wird.

Als Bundesausschussmitglied war ich von Anfang an bei den Verhandlungen dabei. Auch ich war und bin voller Überzeugung dass man hier hätte Härte zeigen müssen; es hätte zu einem Streik kommen müssen. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass sich die ZeitungsdruckerInnen mehr oder weniger geschlossen hinter den Bogen- und Rollendruck gestellt hätten. Diese Chance wurde mit diesem Ergebnis kläglichst vertan.

Ich glaube sogar, dass diese Abstimmung Folgen haben könnte. Nämlich insofern, dass die Gewerkschaft enorm geschwächt wurde und es in Zukunft sehr, sehr schwierig sein wird die bestehenden "Errungenschaften" zu verteidigen. Auch könnte dies eine Folgewirkung für andere Wirtschaftsbereiche innerhalb der Gewerkschaft haben, die momentan in schwierigen Verhandlungen stehen. Auch werden sich einige Mitglieder, nachdem sie die ersten Löhne des "neuen" Kollektivvertrages "spüren" werden, die Frage der Mitgliedschaft stellen.

Wir sind ÖGB is powered by Joomla!®