Kollektivvertrag im grafischen Gewerbe: Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren

Flugblatt für die BetriebsrätInnen-Konferenz der DruckerInnen am 04.06.2009

Es waren einmal drei Brüder. Die beiden Älteren waren sehr kräftig und stark, nur der Jüngste war relativ schwach. Wenn der jüngere Bruder mal Probleme hatte, dann eilten ihm die anderen zu Hilfe und verteidigten ihn. Eines Tages kam ein reicher Mann in die Stadt und bot den drei Brüdern Arbeit an. Nach einigen Wochen meinte er, er könne sich so hohe Löhne nicht mehr leisten und forderte von den drei Brüdern, dass sie für weniger Geld arbeiten. Als er sehen musste, dass die drei Brüder sich das nicht gefallen lassen, holte er den Ältesten und Stärksten der drei Brüder zu sich und bot ihm an, dass er seinen Lohn nicht kürzen würde. Er dürfe ab sofort aber nichts mehr mit seinen Brüdern unternehmen. Der älteste Bruder hatte zwar ein schlechtes Gewissen, doch nach langen Überlegungen stimmte er zu. Dann holte der reiche Mann den zweitältesten Bruder zu sich und machte ihm ein ähnliches Angebot. Auch dieser Bruder stimmte zu. Dann holte er den Jüngsten zu sich und teilte ihm mit, dass er seine Arbeit nur behalten könne, wenn er auf einen Teil seines Lohns verzichten würde. Als dieser seine beiden älteren und stärkeren Brüder rufen wollte, taten diese so, als würden sie ihn nicht kenne ...

Uns Beschäftigten im grafischen Gewerbe geht es ähnlich wie diesen drei Brüdern. Seit Monaten kämpfen wir für unseren Kollektivvertrag (KV), der das Ergebnis eines 160 Jahre langen Kampfes um höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen ist. All die sozialen Errungenschaften, die auf den 210 Seiten dieses KV niedergeschrieben sind, sind das Ergebnis einer starken, geeinten Gewerkschaft in unserer Branche. Dieser KV ist den ArbeitgeberInnen ein Dorn im Auge. In Zeiten der Krise wollen sie sich einen solchen KV nicht leisten. Und deshalb haben sie sich das schwächste Glied in unserer Kette, die BogendruckerInnen, ausgesucht und wollen dort unsere Einheit sprengen.

Beim Zeitungs- und Rollendruck haben sie zu sehr Angst, dass wir ihnen wirtschaftlich schaden können. Beim Bogendruck sehen sie für sich die besten Ausgangsbedingungen für diese Auseinandersetzung, die darauf abzielt, die Löhne und Arbeitsbedingungen aller DruckerInnen zu drücken.

Sie drohen mit Standortverlagerungen und warnen vor massivem Arbeitsplatzverlust, weil viele österreichische Betriebe gegen die internationale Konkurrenz nicht mehr wettbewerbsfähig seien. Doch wie schaut die Situation tatsächlich aus? Es stimmt, dass wir in den Druckereien massive Überkapazitäten haben. In Folge der Anarchie der viel gepriesenen Marktwirtschaft, wo jedes Unternehmen die Konkurrenz aus dem Markt werfen will, indem es selber immer billiger produziert, wurde in den letzten Jahren massiv in neue Maschinen investiert. Maschinen, mit denen immer schneller immer größere Aufträge übernommen werden können. Jetzt ist aber schön langsam der Punkt erreicht, wo dieses Hochrüsten der einzelnen Betriebe bei gleichzeitigem Einbrechen wichtiger Märkte (z.B. Werbung), an seine Grenzen stößt. Das Versagen der kapitalistischen Marktwirtschaft, die zwangsläufig solche Krisen verursacht, ist die wahre Ursache für diesen Konflikt, in dem wir uns jetzt befinden.

Unter diesen Bedingungen können sich die Unternehmen die alte Sozialpartnerschaft nicht mehr leisten. Wer glaubt, dass die ArbeitgeberInnen wieder an den Verhandlungstisch zurückkommen, wenn wir uns nachgiebig zeigen und vielleicht auch noch die schwächsten Glieder unserer Kette aufgeben, so wie es der ältere der drei Brüder gemacht hat, ist auf dem Holzweg.

In den letzten Wochen hat sich unsere Gewerkschaftsspitze mehrfach kompromissbereit gezeigt. Schon bei den Beschäftigtenkonferenzen vor der letzten Verhandlungsrunde wurde uns mitgeteilt, die Gewerkschaft sei bereit „viel Geld über den Tisch zu schieben“. Im Endeffekt stimmte unser Verhandlungsteam einem KV zu, der unter dem Strich durch das Streichen von Zulagen und sonstige Verschlechterungen deutliche Einkommensverluste bringen würde. Diese Vorgangsweise war eindeutig gegen den Willen der überwältigenden Mehrheit der KollegInnen. Der Unmut unter vielen BetriebsrätInnen und Beschäftigten ist nicht zu überhören.

Den ArbeitgeberInnen war selbst dieser Kniefall noch zu wenig. Auf ihrem heurigen Druckertag in Linz haben die UnternehmerInnen den erzielten Kompromiss abgelehnt, nachdem sie sich unter dem Schutz eines eigenen Sicherheitsdienstes die Bäuche voll gestopft und sich den einen oder anderen edlen Tropfen genehmigt haben. Sie wollen unseren KV und damit die Gewerkschaft zerstören, um dann freie Bahn zu haben und einen Bereich nach dem anderen aufzumischen. Sie werden beim Bogendruck beginnen und sich dann die anderen Bereiche vornehmen.

Unsere Gewerkschaft muss diese Provokation entschlossen bekämpfen. Unser Ausgangspunkt muss sein, dass die UnternehmerInnen die Sozialpartnerschaft nicht mehr wollen. Da hilft kein Bitten und Betteln. Wenn wir uns schwach und nachgiebig zeigen, ist das für die Herren Hochenegg & Co nur eine Einladung zu noch aggressiverem Auftreten. Nur wenn wir Stärke beweisen, werden sie sich genötigt sehen, wieder ernsthaft zu verhandeln.

Die Gewerkschaft ist kein Briefmarkensammlerverein, sondern eine Kampforganisation. Es geht um die Verteidigung unserer bisherigen Errungenschaften und um das Erkämpfen weiterer Verbesserungen. Jetzt geht es einmal darum, das Aufbrechen des KV zu verhindern. Die BetriebsrätInnenkonferenz am 4. Juni muss die Wiederherstellung der Einheit zwischen den Zeitungs-, Rollen- und BogendruckerInnen zum Ziel haben. Und ausgehend davon müssen wir die Zeit nützen, um einen Arbeitskampf zu organisieren, mit dem wir den KV wirklich verteidigen können. Diese Krise wurde nicht von uns produziert, weshalb wir sie auch nicht ausbaden müssen. Keine Kompromisse und Zugeständnisse auf unsere Kosten! Die Zeit der symbolischen Protestaktionen ist vorbei. Der Arbeitskampf muss nach dieser BetriebsrätInnenkonferenz in den Unternehmen unter Einbindung der Belegschaften demokratisch organisiert werden. Streik ist die einzige Antwort, die diese Herren und Damen verstehen. Aber ein Streik darf nicht wie in der Vergangenheit von oben verordnet und auch wieder abgedreht werden. Streiks können nur dann erfolgreich sein, wenn alle Beschäftigten in Urabstimmungen über Beginn, Dauer, Kampfmethoden und -ziele, aber auch die Annahme oder Ablehnung der Verhandlungsergebnisse bzw. Beendigung der Kampfmaßnahmen abstimmen.

Wir rufen alle KollegInnen dazu auf, bei der BetriebsrätInnenkonferenz am 4. Juni ihre Meinung zu vertreten. Sorgen wir für eine offene, demokratische Diskussion, auf deren Grundlage wir den Arbeitskampf führen können – und zwar aktiv getragen von den Belegschaften. Dann können wir DruckerInnen wie schon so oft zum Vorbild für die österreichische ArbeiterInnenbewegung werden. Der Kampf gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen steht heute in nahezu jeder Branche auf der Tagesordnung. Wenn wir in unserem Kampf dagegen erfolgreich sind, ist das die beste Form der Solidarität, die wir gerade in der Krise unbedingt brauchen.

Anmerkung der Redaktion: Der Text des Flugblattes ist das Ergebnis eines Diskussionsprozesses mit betroffenen Kollegen aus mehreren Bundesländern.
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