Flugblatt zum Konflikt um den Chemie-Kollektivvertrag

Das folgende Flugblatt von AktivistInnen der Kampagne "Wir sind ÖGB" in der chemischen Industrie wurde am 16.04.2009 bei der BetriebsrätInnenkonferenz von GdC und GPA-djp in Wien verteilt.

Konflikt um den Chemie-KV: Eure Krise zahlen wir nicht!

Die Unternehmen der Chemiebranche haben bei den Kollektivvertragsverhandlungen 0,54% Lohnerhöhung für eine Laufzeit von fünf Monaten angeboten. Das ist eine Verhöhnung der Arbeiterinnen und Arbeiter dieser Branche. Nach Jahren fetter Gewinne sollen die Beschäftigten nun die Zeche zahlen.

Die Unternehmen blasen zum Generalangriff. Angesichts des massiven Preisverfalls bei beinahe allen Chemieprodukten sind die ManagerInnen eher bereit einen Arbeitskampf in Kauf zu nehmen, als den Beschäftigten ein akzeptables Angebot zu machen. Neben Maßnahmen wie Intensivierung der Arbeit und verstärkter Überwachung der KollegInnen am Arbeitsplatz werden die Unternehmen versuchen, den Kollektivvertrag (KV) für die Beschäftigten in der chemischen Industrie auszuhebeln. Der Versuch, einen KV für nur fünf Monate abzuschließen, ist bereits ein Schritt in diese Richtung. Sie setzen darauf, dass die Gewinne innerhalb der nächsten fünf Monate noch weiter einbrechen und somit der Druck auf die Gewerkschaften gesteigert werden kann. Sorgen wir dafür, dass diese Rechnung nicht aufgeht!

Die Rolle der Gewerkschaftsführung

Vor Abbruch der Verhandlungen war die Gewerkschaftsführung sogar bereit, eine Lohnerhöhung von 1,3 Prozent (+ Einmalzahlung von 300 Euro) für einen Zeitraum von fünf Monaten anzunehmen. "Wir wollen für die ArbeitnehmernInnen in Ruhe verhandeln und haben kein Interesse die Verhandlungen unnötig in die Länge zu ziehen. Auch an Konflikten oder an Polemik dieser Art haben wir in der aktuellen Situation auch im Anbetracht der wirtschaftlichen Lage kaum Interesse. Wir wollen faire Verhandlungen", so GdC-Vorsitzender Alfred Artmäuer. Sprich: Wir wollen nicht kämpfen, aber wir brauchen ein Ergebnis, das wir den KollegInnen in den Betrieben irgendwie als Erfolg verkaufen können. Aber 0,54 Prozent sind nun mal kein Erfolg …

Die Gewerkschaftsführung denkt folgendermaßen: Die Unternehmen müssen Profite machen können, damit sie gegen die Konkurrenz bestehen können, der Standort gesichert ist etc. Wenn die Profite in den Keller rasseln, müssen die ArbeiterInnen eben ein wenig zurückstecken, damit die BesitzerInnen ihre Betriebe nicht schließen. Und in ein paar Jahren geht's ja wieder bergauf … es braucht halt nur ein geschicktes Krisenmanagement. Wie aber die letzten Jahre eindeutig bewiesen haben, kriegen wir Beschäftigten selbst in Boom-Zeiten, wenn es Megaprofite gibt, kein "gerechtes Stück vom Kuchen" - außer wir erkämpfen uns dieses selbst.

Nach dieser Logik soll jedeR seinen/ihren Beitrag zur Krisenbewältigung leisten. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Führung der ChemiearbeiterInnengewerkschaft in keiner Weise von Faymann, Foglar & Co. Die Gewerkschaftsführung bietet den BetriebsrätInnen und ArbeiterInnen überhaupt keine Perspektive, wie der Offensive des Managements in den Betrieben Einhalt geboten werden könnte. Im Gegenteil: Sie biedert sich den KapitalistInnen als Laufbursche an, wenn es darum geht, den Angriffen des Managements einen rosaroten Anstrich zu verpassen.

Wie sollen wir kämpfen?

Wer ernsthaft kämpfen will, muss die politische Grundlage dafür schaffen. Diese besteht in einem Bruch mit dem Dogma, dass Kapital unter allen Umständen Profit abwerfen muss. Unsere Parole muss lauten: Wir bezahlen keinen Cent für diese Krise und leisten unter keinen Umständen unbezahlte Mehrarbeit!

Wenn das Kapital nicht in der Lage ist, die Betriebe ohne Massenkündigungen und Lohnkürzungen zu führen (und in dieser Situation werden wir bald auch in unserem Sektor sein!), dann müssen wir die Betriebe selbst in die Hand nehmen und für deren Verstaatlichung unter der Kontrolle der Beschäftigten kämpfen. Niemand hat das gottgegebene Recht, ohne jegliche demokratische Legitimation über das von den ArbeitnehmerInnen geschaffene Kapital zu schalten und zu walten.

Genauso ist es notwendig, mit der StellvertreterInnenpolitik der Gewerkschaften zu brechen. Nur wenn die Entscheidungen von den KollegInnen selbst getroffen werden, kann ein Streik die nötige Verankerung im Betrieb finden. Die Bedingungen, unter denen ein Streik begonnen, fortgesetzt oder beendet wird, dürfen allein von den Beschäftigten bestimmt werden. Es geht um das persönliche Schicksal der Kolleginnen und Kollegen, darum müssen sie auch ohne Einschränkungen entscheiden können!

Wir schlagen vor:

  • 10% Lohnerhöhung für die Beschäftigten der chemischen Industrie! Holen wir uns die Reallohnverluste und den Produktivitätszuwachs der letzten Jahre zurück!
  • Eine Urabstimmung über Streikmaßnahmen, und zwar ohne zweideutige Fragestellung!
  • Kein Abschluss eines KV für fünf Monate! Das ist der erste Schritt, um mit dem KV endgültig Schluss zu machen!
  • Bildung von demokratischen Betriebsgruppen, in denen alle KollegInnen, die aktiv ihre Interessen verteidigen wollen, mitmachen können. In diesen Aktionskomitees soll die Umsetzung von Kampfmaßnahmen konkret geplant werden.
  • Einen gemeinsamen KV der Beschäftigten in der Papier-, Mineralöl- und chemischen Industrie!
  • Gleichbehandlung der KV-Löhne und Ist-Löhne! Gegen die Spaltung der Belegschaften in ArbeiterInnen und Angestellte!
  • Überlassen wir die Öffentlichkeit nicht der bürgerlichen Presse! Gehen wir für unsere Interessen auf die Straße!
  • Verstaatlichung der chemischen Industrie unter der Kontrolle der Beschäftigten!
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