We SHELL overcome!

"In der Lobau wird das Shell Werk besetzt". Diese Nachricht verbreitete sich in Windeseile in ganz Österreich. Kann es denn sein, dass über Nacht ein gallisches Dorf in Österreich entstanden ist, das sich der Logik des Kapitals widersetzt? Innerhalb von Sekunden nach der ersten Betriebsversammlung bei Shell Lobau wurden Info- und Solidaritäts-SMS von einer/m BetriebsrätIn zur/m nächsten geschickt. Die Botschaft war klar: Wir sind bereit!

Zu wenig Profit!

Das Schmiermittelwerk Wien-Lobau als einzige Produktionsstätte von Shell in Österreich soll mit nächstem Jahr geschlossen werden. Betroffen sind insgesamt 80 MitarbeiterInnen. Diese wurden davon ziemlich überrumpelt. Jahrelang wurde ihnen versichert, dass Shell Lobau Zukunft habe. Auf diesen Versprechungen wurden Familien gegründet, Häuser gebaut und Kredite aufgenommen. Versprechungen die sich jetzt als Lügen herausstellen.

Shell Österreich beschäftigt derzeit noch rund 250 MitarbeiterInnen. Zuletzt setzte das Unternehmen 1,5 Milliarden Euro um. Konkret heißt das: Obwohl das Werk Gewinne schreibt, obwohl die Arbeitsleistung immer als zufriedenstellend beurteilt wurde und obwohl sich die dort Beschäftigten ihr (Arbeits-)Leben nach dem Konzern richteten, wird die Produktionsstätte geschlossen, weil neue Produktionsstätten in Russland und China mehr Profit versprechen. In einem Konzern wie Shell sind die ArbeiterInnen und Angestellten einzig ein Kostenfaktor. Die Konzernleitung hat die Macht zu entscheiden, ob und wie die Arbeitskraft eingesetzt wird. Das kann heute bedeuten, dass ständig Überstunden anfallen, morgen aber heißen, dass ArbeiterInnen entsorgt werden, und die Arbeit an einem anderen Standort verrichtet wird.

Belegschaft macht mobil

Am 25. November 2009 hatte Shell Austria die Schließung bekannt gegeben. Die Belegschaft wollte diese menschenverachtende Entscheidung nicht widerstandslos hinnehmen. Auf einer Betriebsversammlung wurden Kampfmaßnahmen beschlossen. Auf der Homepage der Produktionsgewerkschaft PRO-GE war zu lesen, wie sich die Gewerkschaftsführung in Person des stellvertretenden Bundesgeschäftsführers der GPA-djp Karl Proyer und des PRO-GE Bundessekretärs Manfred Anderle am 2. Dezember hinter die Betroffenen stellte: "Betriebsrat und Beschäftigte können sich weiterhin auf die volle Unterstützung der Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp verlassen, die bereits vorsorglich alle Beschlüsse für die Unterstützung von Kampfmaßnahmen getroffen haben".

Von Anfang an gab es breite Unterstützung für einen Arbeitskampf. Offiziell wurde der Erhalt des Werks und der Jobs als Kampfziel formuliert – gleichzeitig war die Gewerkschaftsführung darauf bedacht zu erklären, dass dieses Ziel nicht realistisch sei und es deshalb darum gehen müsse, einen möglichst guten Sozialplan zu erkämpfen. Wie in vorangegangen Arbeitskämpfen zeigte sich, dass die Basis zu radikaleren Schritten bereit ist als ihre eigene Gewerkschaftsführung. Mit einer Protestkundgebung vor den Werkstoren wurde ein erstes Zeichen gesetzt. Bereits dort zeigte sich, dass die Gewerkschaftsführung eine Eskalation des Konflikts unbedingt vermeiden wollte. Sie folgte dem Argument der Polizei, dass das Blockieren der Tanklaster gegen das "öffentliche Interesse" sei und warnte davor, dass der Betriebsratsvorsitzende dann mit Schadenersatzklagen eingedeckt würde. So war es dann nicht verwunderlich, dass viele ShellanerInnen die Aktion als sinnlos empfanden und nicht mehr kamen. Diese musste daher frühzeitig abgebrochen werden.

Bleiben wir realistisch ...!

Die fehlende Bereitschaft der Geschäftsleitung Verhandlungen über die Zukunft des Werks oder zumindest über einen anständigen Sozialplan zu führen, ließ die Situation aber weiter eskalieren. Nachdem ein Gesprächstermin keine Ergebnisse brachte, organisierte der Betriebsrat am 12.12. eine Versammlung der ArbeiterInnen, auf der ein Streikbeschluss gefasst und eine Streikleitung gewählt wurden. Die Belegschaft zeigte sich auf dieser entschlossen und kampfbereit. Doch schon zu diesem Zeitpunkt war die Belegschaft leider nicht mehr geschlossen, da der Angestelltenbetriebsrat die Teilnahme am Streik ablehnte, um eigene Privilegien nicht zu gefährden. Die Arbeiter waren so auf sich gestellt, wenn auch die Mehrheit der Angestellten für einen Streik zu haben gewesen wäre, hätten erstere konsequent weiter gemacht.

Der Streik hätte in der Nacht vom 13.12. beginnen sollen. Die anwesenden Gewerkschaftssekretäre machten aber schon dort klar, dass das erklärte Ziel – der Erhalt des Werks und der Arbeitsplätze – nicht realistisch sei, dass es aber allein schon zur Erreichung eines Sozialplans Kampfmaßnahmen brauche.

Hier zeigte sich voll die Fantasielosigkeit (oder vielleicht auch Feigheit) der österreichischen Gewerkschaftsführung: In keinster Weise wurde diskutiert, wie ein Produktionsstätte (und die Arbeitsplätze) erhalten werden können. Der Sozialplan als einziges Heilmittel ist verantwortlich für Werksleichen à la Semperit, Quelle, Glanzstoff … und unzählige menschlicher Tragödien.

Abgedreht und ausverkauft!

Zwischen der Versammlung, auf welcher der Streik demokratisch diskutiert und beschlossen wurde und dem geplanten Streikbeginn wurden jedoch Kräfte aktiv, die diesen mit allen Mitteln abwenden wollten. Es ist offensichtlich, dass sich die Gewerkschaftsführung darum bemühte, die Geschäftsleitung, doch noch einmal an den Verhandlungstisch zu bringen. Nach altbekannter ÖGB-Tradition, wonach sobald es Verhandlungen geben könnte nicht gestreikt werden dürfe, wurde den BetriebsrätInnen zu verstehen gegeben, dass sie die Kampfmaßnahmen abblasen sollten. Für die Arbeiter, die Sonntag Abend noch fest davon überzeugt waren, dass sie am nächsten Tag streiken würden, kam diese Wende völlig überraschend.

Statt dem erwarteten SMS mit der Information über den Beginn der Kampfmaßnahmen kam eine Kurznachricht, dass es am darauffolgenden Tag um 7 Uhr eine neuerliche Betriebsversammlung und ab 8 Uhr Verhandlungen geben werde. Während die Belegschaft und anscheinend auch der Betriebsrat entmachtet wurden, verhandelten die zuständigen Gewerkschaften ohne Rücksprache mit den Betroffenen einen Deal aus: Da das Werk nicht zu retten sei (ja natürlich!), dürfen (!) die Beschäftigten bis Juni 2010 weiterarbeiten (vielen Dank für die Extraausbeutung) und bekommen einen Golden Handshake (lies: einen Tritt in den A***). Keine Diskussion, keine Urabstimmung, Deal ist Deal! "Es ist unverständlich, Menschen auf die Straße zu setzen und dabei solche Gewinne einzustecken. Die Geschäftsführung des Werkes war bei den Verhandlungen letztlich kooperationsbereit. ... Die Vorgangsweise des Konzerns und die Schließung eines erfolgreichen Standortes ist nicht nachzuvollziehen", sagte Anderle. Umso unverständlicher erscheint dann die Handlungsweise der Gewerkschaftsführung.

Von der Schönheit des Kämpfens und der Welle der Solidarität

Besonders beeindruckend war die Entschlossenheit der ArbeiterInnen. Konfrontiert mit einer der wahrscheinlich schwierigsten persönlichen Situationen im Leben, versuchten sich viele im Kampf gegen das Unternehmen, ihre Würde zurückzuholen. Ein Arbeiter hielt einem Kollegen, der sich unsicher war, ob Streik die richtige Antwort sei, entgegen: "In einem Buch hab ich folgenden Spruch gelesen: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren." Eine Arbeiterin meinte: "Der große Kater kommt vielleicht noch. Im Moment fühle ich mich gut, weil ich kämpfe. Es ist schön zu erleben, wie wir alle zusammenhalten und füreinander da sind. Dafür lohnt es sich!"

Fast alle ArbeiterInnen waren sofort bereit (Frei)Zeit und Geld für ihren Kampf zu opfern. Diese Entschlossenheit musste auch das Management gespürt haben, das seine arrogante Ignoranz aufgab und doch wieder Gesprächsbereitschaft signalisierte. Zugleich entsand eine spontane Welle der Solidarität. Binnen Stunden gründete sich ein Solidaritätskomitee, dem sich neben vielen Gewerkschafts- und UniaktivistInnen, auch die SJ und die SP-Linke anschloss. Vorrangiges Ziel war es für den Arbeitskampf eine Öffentlichkeit zu schaffen: mit Betriebsdelegationen, eine Informationskampagne und Kundgebungen.

Neue Zeiten – neue Methoden

An den Unis und in den Betrieben hat sich gezeigt, dass angesichts katastrophaler Missständen und provokanter Kapitalangriffe große Kampfbereitschaft herrscht. Es braucht daher eine Abkehr von der Krisenmitverwaltung durch Kurzarbeit, Sozialpläne, Lohnzurückhaltung usw. hin zu einer konsequenten Vertretung der Interessen der Beschäftigten. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass sich kämpfen lohnt.

Entscheidend ist aber, wie der Kampf geführt wird. Ein Streik muss dort treffen, wo es dem Kapital weh tut. Es muss unmöglich gemacht werden, Profite zu machen. Im Fall von Shell war mit Sicherheit die Bestreikung der Betankung bzw. die Blockade der Werkstore das größte Druckmittel. Die Belegschaft musste zeigen, dass das Werk ohne sie nicht funktioniert. Gegen Drohungen mit Schadensersatzklagen muss die Öffentlichkeit gewonnen werden. Die Gründung eines Solidaritätskomitee ist dabei ein wichtiger Schritt. Das Wichtigste aber ist, dass die Betroffenen selbst über Form und Inhalt des Arbeitskampfes bestimmen. Sie müssen ihre Köpfe hinhalten, deshalb haben auch sie das Entscheidungsrecht. Gewählte Streikkomitees, Betriebsversammlungen und Urabstimmungen sind die alten Methoden, die es neu zu beleben gilt.

Ob der Erhalt des Werks und der Arbeitsplätze eine realistische Option wird oder nicht, hängt davon ab, wie und mit welcher politischen Perspektive ein Arbeitskampf geführt wird. Für die Rettung der Banken waren und sind Milliarden vorhanden. Warum also nicht auch für Shell? Zugleich muss die Frage gestellt werden, ob einige Wenige über das Leben vieler entscheiden dürfen und welche wirtschaftliche Alternative den Menschen vor Profite stellt.

Jahrelang haben die Unternehmen einen Rekordprofit nach dem anderen eingefahren. Nun werden wir Beschäftigten auch noch zur Kasse gebeten, um deren Krise auszubaden. Ein Erfolg bei Shell hätte eine unglaubliche Signalwirkung gehabt, die nicht nur das Management sondern wahrscheinlich auch die Gewerkschaftsführungen und die Regierung zum Wanken gebracht hätte. Ein Sieg hätte eine Wende bedeutet, eine neue Ära, in der sich die ArbeitnehmerInnen zurückholen, was ihnen zusteht!

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