Glanzstoff: ArbeiterInnen leisten Widerstand gegen Werksschließung

Die Belegschaft des St. Pöltner Chemiefaserherstellers Glanzstoff hielt am 24.08.2008 eine Kundgebung ab. Dichte Wolken hängen über der niederösterreichischen Landeshauptstadt. Es ist 8 Uhr Früh. Vor der Glanzstoff, einem der Traditionsbetriebe von St.Pölten, sammeln sich einige Frauen und Kinder. Beim Werkstor steht in großen Lettern "Viscose in perfection". Die Glanzstoff ist ein lebendiges Industriedenkmal. Der riesige Schlot und die Fabrikhallen sind Zeugen einer langen Geschichte des Werks, in dem schon Generationen von ArbeiterInnen ihre Arbeitskraft verkauft haben. Die Geschichte der Glanzstoff ist eine wechselvolle. Dieser Tage ist das Werk wieder an einem Wendepunkt angelangt. Der Eigentümer hat die Schließung der Viskosegarnproduktion mit Jahresende angekündigt.

Auf dem frisch renovierten Platz bei der Einfahrt zum Werk steht heute ein Sarg, der die drohende Endstation für die Glanzstoff symbolisieren soll. Bewacht von einem Arbeiter. Sein Blick ist ernst. Einen der anwesenden Journalisten weist er mit etwas schroffem Ton auf das Rauchverbot auf dem Betriebsgelände hin. Er gehört zu jener Gruppe von 6 Arbeitern, die am Tag zuvor erst den Beschluss gefasst haben, dass etwas geschehen müsse. Sie sind angewidert von den politischen Schaukämpfen rund um die Schließung ihres Werks, das sie als ihre Lebensgrundlage ansehen. Aus diesem Grund wollen sie ein Zeichen des Protests setzen und nicht länger tatenlos zusehen, wie ihnen die Existenz genommen wird. Als er hört, dass wir junge Sozialisten seien, kommt prompt die Aussage, dass ihre Aktion "nicht politisch" sei. Sie haben bewusst diese Initiative auch unabhängig vom Betriebsrat gemacht, damit niemand sagen könne, da stecke "die Partei" dahinter.

Unser Gespräch findet aber ein jähes Ende. Plötzlich kommen hinten vom Werkstättengebäude ein Dutzend Arbeiter in der grünen Glanzstoff-Montur mit schnellem Schritt zum Werkstor. Einige von ihnen tragen selbst gestaltete Transparente, die sie hinter dem Sarg entrollen. Viele von ihnen sind jung. Nun kommen auch aus anderen Gebäuden KollegInnen, einige in weißen Kitteln, einige ohne Arbeitskleidung.

Vor dem Sarg ergreift einer der Initiatoren der heutigen Kundgebung das Wort. Es soll mit der Aktion ein Zeichen gesetzt werden. Wenn es um die Schließung der Glanzstoff geht, dann könne nicht nur über die parteipolitischen Konflikte und den Standpunkt des Unternehmens berichtet werden. Das Schicksal von mehr als 300 Familien steht auf dem Spiel, Familien, die jetzt ihre Existenz gefährdet sehen. Die betroffenen ArbeiterInnen sollen mit diesem Protest endlich Gehör bekommen. Der Redner hat selbst schon einmal eine ähnliche Situation erlebt, damals bevor der jetzige Eigentümer, die CAG-Holding von Herrn Cornelius Grupp, die Glanzstoff übernommen hat. Seine einfachen Worte bringen das zum Ausdruck, was alle anwesenden ArbeiterInnen in diesen Tagen fühlen. Die Unsicherheit, die Angst vor der Zukunft. Niedergeschlagen waren die meisten, nachdem der Belegschaft die Entscheidung der Unternehmensführung in einer kurzfristig einberufenen Betriebsversammlung mitgeteilt wurde.

Mit dieser Kundgebung soll sich das aber ändern. Ein Teil der Betroffenen will um den Arbeitsplatz und die Erhaltung des Werks kämpfen. Auch wenn nur ein Funke Hoffnung bestehe, sie wollen zumindest von sich sagen können, dass sie es probiert haben. Viele nehmen wohl zum ersten Mal in ihrem Leben an einer derartigen Kundgebung teil. Angst und Verunsicherung einerseits und Kampfbereitschaft andererseits streiten in ihren Köpfen und Herzen darum, wer die Oberhand behalten wird.

Der Regen wird jetzt wieder stärker. Ein anderer Kollege tritt aus der Menge hervor, in der Hand hat er einen Packen Unterschriftenlisten. Gestern haben sich die sechs Kollegen entschlossen eine Unterschriftenaktion für den Erhalt der Glanzstoff zu starten. Die Kundgebung sei der Auftakt dafür. Vier, fünf Wochen wollen sie sammeln, um dann die ausgefüllten Listen dem Bürgermeister zu übergeben. Unter dem Vordach, wo auch die Stempeluhren hängen, sammeln sich die ArbeiterInnen um sich in die Listen einzutragen. Geduldig warten sie bis sie an der Reihe sind - Lehrlinge, ältere ArbeiterInnen, Ehefrauen. Wir bieten an, dass wir ein paar Listen mitnehmen und sammeln könnten. Das Angebot nehmen die KollegInnen erfreut an.

Jetzt mischt sich auch der ArbeiterInnenbetriebsrat, der gleich bei der Einfahrt sein Büro hat, unter die Kollegen. Als er am Vortag von der Kundgebung informiert worden war, sagte er nur: "Gut, wir sind demokratisch, wenn Ihr was machen wollts, dann machts." Hinter vorgehaltener Hand sagen einige Kollegen, dass der Betriebsrat immer nur beschwichtigt hat und den Arbeitern gesagt habe, noch abzuwarten. Viel wichtige Zeit sei so vergangen. Jetzt steht Willi Edelbacher, der auch im Bundesvorstand der Chemiearbeitergewerkschaft sitzt, mitten in Verhandlungen. Über diesen Weg wolle er gemeinsam mit der roten Stadtregierung die Eigentümer davon überzeugen, den Standort nicht aufzugeben und die nötigen Investitionen zur Erfüllung der Umweltauflagen zu tätigen. Der Idee von Kampfmaßnahmen stehe er prinzipiell offen gegenüber, aber zuerst müsse geschaut werden, was auf dem Verhandlungsweg bis Anfang August möglich sei. Diese Geduld wollen nicht mehr alle aufbringen.

Überall bilden sich kleinere Gruppen, vor allem rund um die KollegInnen, die zu der heutigen Kundgebung aufgerufen haben. Auf die Frage, warum von den vielen türkischstämmigen ArbeiterInnen im Werk nur so wenige gekommen seien, antwortete einer: "Viele haben Angst, gerade diese Kollegen haben viel zu verlieren. Aber wir sind eine Belegschaft, wir arbeiten alle im selben Werk, haben dieselben Interessen. Man darf nicht rassistisch sein."

Ein anderer Arbeiter erklärt, welche Folgen die Schließung für viele Betroffene hätte. Ein gutes Beispiel ist seine eigene Familie. Nicht nur er arbeitet im Werk, auch sein Bruder und jetzt auch sein Sohn. Neben ihm steht seine Frau. Sie erzählt, dass sie früher auch hier gearbeitet habe. Die Verbundenheit mit der Glanzstoff ist nicht zu überhören.

Langsam kehren die ArbeiterInnen wieder in ihre Werkstätten und Abteilungen zurück und nehmen die Arbeit wieder auf, die sie für mehr als eine Stunde niedergelegt hatten.

Ein Kollege, der in seiner Freizeit zur Kundgebung gekommen ist, fragt uns, woher wir seien. Wir zeigen ihm unsere Zeitung. Er beginnt zu erzählen. Nach dem Großbrand Anfang des Jahres seien Millionen in das Werk investiert worden, ein riesiger Aufwand sei betrieben worden, obwohl es unklar war, ob die Produktion wieder angefahren werden kann. Die Auftragsbücher seien jedenfalls voll, Gewinn mache der Herr Grupp genügend. Die Kunden stünden Schlange, und trotzdem hindert man die ArbeiterInnen daran, diese zu bedienen. Die ArbeiterInnen können unter diesen Umständen einfach nicht verstehen, warum die Glanzstoff Geschichte sein soll.

Wenn das Werk schließen würde, dann wäre das für viele eine Katastrophe. Die Glanzstoff-ArbeiterInnen verdienen nicht schlecht. Viele haben in den letzten Jahren ein Haus gebaut, mussten Kredite aufnehmen, wenn sie jetzt arbeitslos werden oder einen schlechter bezahlten Job annehmen müssen, dann wird das für viele Existenz bedrohend. Angesichts der massiven Teuerung wäre der Verlust des Arbeitsplatzes für viele eine Katastrophe. Vor allem die älteren Kollegen würden keine Chance auf einen neuen Arbeitsplatz haben. Kaum ein Betrieb in der Umgebung nimmt derzeit Leute auf. Die Aussagen der Arbeiter zeugen von großem Misstrauen in "die Politik".

Erreichen wollen sie mit ihrem Protest den Erhalt des Werks oder zumindest eine klare Begründung, warum die Glanzstoff zugemacht werden soll. Auch der Betriebsrat spricht das zentrale Problem an: "Der Herr Grupp ist ein Eigentümer, der sich nicht in die Karten schauen lässt. Wir haben keinen Einblick in die Bücher und können deshalb nicht viel sagen." In den kommenden Wochen steht viel auf dem Spiel für die Belegschaft der Glanzstoff. Heute haben sie den Kampf aufgenommen. Es wird noch eine harte Auseinandersetzung, die auf sie wartet. In diesem Kampf haben sie unsere vollste Solidarität verdient.

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