Daseinsvorsorge - Tragende Säule für Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt
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- Erstellt am Donnerstag, 27. Januar 2011 10:38
- von Friedrich Klug, Institut für Kommunalwissenschaften IKW Linz
Anmerkung der Redaktion: Auch wenn der folgende Artikel in manchen Teilen (z.B. "ausgewogenes Verhältnis von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand") nicht die Meinung der Redaktion teilt, halten wir diesen doch für einen höchst interessanten Beitrag, der zeigt, wie weit die Kritik an den Privatisierungen der letzten Jahrzehnte in die Wissenschaft vorgedrungen ist, aber auch zur vorherrschenden Meinung in einer der wichtigsten Gewerkschaften Österreichs (der GdG-KMSfB) geworden ist. Insbesondere die Kritik an den Verbetriebswirtschaftlichungstendenzen in ausgegliederten und privatisierten Betrieben, aber auch in der öffentlichen Hand selbst ("New Public Management") halten wir für höchst zutreffend. Diese kann aus unserer Perspektive den Kampf für die Wiedereingliederung positiv befruchten.
Daseinsvorsorge als Staatsziel
Eine zentrale Forderung des Österreichischen Städtebundes, des Österreichischen Gemeindebundes und der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten ist die Daseinsvorsorge als Staatsziel, wobei das öffentliche Interesse gegenüber der Gewinnmaximierung eindeutig im Vordergrund steht, ein Konnex zwischen Aufgaben- , Ausgaben- und Einnahmenverantwortung hergestellt und die Solidarität Vorrang vor dem Wettbewerb haben soll. Seit langem wird die Verankerung der kommunalen Daseinsvorsorge als Gemeindeaufgabe in der Bundesverfassung gefordert (Forderungspapier Oktober 2008).
Wenn nun die Unterziele Gewinnorientierung und Effizienz über das öffentliche Sachziel gestellt werden, kommt es zu einer Zieltransformation in Richtung Privatisierung und werden der Staat und ihre demokratisch gewählten Repräsentanten vom Markt gesteuert.
"Moody's rules the world": Die Rating-Agenturen maßen sich an, den Staat zu bewerten und ihn über Schulden und Zinsen zu steuern; die Politik wird so ins Abseits gedrängt
Dabei wurde völlig übersehen, dass der Rechnungsstil vom Rechnungsziel abhängt und der öffentliche Dienst ganz andere Ziele, nämlich gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsziele verfolgt. Das öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen gründet sich auf dem öffentlichen Recht.
Bund, Länder und Gemeinden sind keine Kaufleute, sondern dienen dem öffentlichen Interesse der Bürger!
Österreich verfügt über ein einheitliches Haushaltswesen auf Basis öffentlichen Rechts. Das Rechnungsziel ist nicht der Gewinn, sondern die Wohlfahrt, weshalb kein Anlass besteht von der Kameralistik abzugehen. Benötigt wird ein Haushaltswesen, das den finanz-, betriebs- und gesamtwirtschaftlichen Ansprüchen gerecht wird.
Die Übertragung von New Public Management-Methoden (NPM) sowie die Einführung der kaufmännischen Buchführung in Anlehnung an Standards wie IPSAS wird nicht empfohlen. So kommt eine OECD-Studie über die Haushaltsreform in Australien zu folgendem Urteil: "The experience of accrual budgeting has been disappointing ...". NPM wird neuerdings als veraltet erkannt und sogar für "tot erklärt" - eine leider sehr späte Erkenntnis!
NPM und neuerdings die "wirkungsorientierten" Modelle entsprechen dem neoliberalen Zeitgeist der Privatisierung, sie sind von verwaltungsfremden Interessen geprägt und führen zu einer irreversiblen und kostenintensiven Abhängigkeit von privaten Anbietern. Der Begriff Wirkungsorientierung ist unklar, eine transparente und nachvollziehbare Definition liegt nicht vor. Die "Wirkung" überschneidet sich mit dem Verfassungsprinzip der Zweckmäßigkeit.
Die Ursachen der riesigen Finanz- und Wirtschaftskrise im Zeitalter der neoliberalen Globalisierung sind systemisch bedingt. Sie liegen im Verlust an ethischen Werten, im hemmungslosen Egoismus, im Machtmissbrauch, kurzum in den Attitüden der modernen Wettbewerbs- und Profitwirtschaft, wie Habsucht, Gier, Geiz, Neid und Eitelkeit, begründet. Neben der tatsächliche Werte schöpfenden Realwirtschaft hat sich eine virtuelle "Schattenfinanzwirtschaft" etabliert und zu einer Luftblase aufgebläht, die mit einem Schlag auf den Boden der Realität zurückfiel.
Die absolute Dominanz des "Shareholder Values" führte zur Gewinnmaximierung im Interesse der Aktionäre, aber auch des Managements durch Gewährung von Gehältern, Prämien und Aktien-Optionen.
Aspekte der Daseinsvorsorge, der Nachhaltigkeit, des Umweltschutzes, der Gesundheit, Bildung, Forschung, Arbeitsplatzsicherung und des sozialen Ausgleichs wurden der kurzfristigen Betrachtung geopfert. Die hohen Gewinne wurden nicht re-investiert, sondern auf den hochspekulativen Finanzmarkt geworfen, der neue Anlagemöglichkeiten suchte und bei den Pensions-, Private Equity- und Hedgefonds auch fand. Die Managereinkommen stiegen an, während die Entlohnung der Mitarbeiter gekürzt wurde und der Konsum stagnierte.
Der Ruf nach weniger Staat und mehr Privat war immer lauter zu hören und ist sogar jetzt in der Krise noch und schon wieder (!) präsent. Dies führte zu einer Privatisierungswelle noch nie dagewesenen Ausmaßes und erschloss dem im Überfluss vorhandenen, anlagewilligen Kapital lukrative und sichere Beteiligungsmöglichkeiten. Der Druck zur Privatisierung wurde durch Steuersenkungen, Steuerwettbewerb und steuerliche Begünstigung privater Anlageformen, zumal Pensionsfonds, Cross-Border- und PPP-Konstruktionen, erhöht. Allerdings wurden nur die rentablen "Filetstücke" privatisiert, während die verlustbringenden Betriebe in der öffentlichen Hand blieben und das Defizit weiter erhöhten.
Nichtbeachtung des Leistungs-Gegenleistungs-Prinzips (Haushaltsausgleich)
Hauptursache der Budgetkrise ist die Nichtbeachtung des fundamentalen ökonomischen Prinzips von Leistung des Staates und Gegenleistung durch Steuerzahlung (Haushaltsausgleich). Die im öffentlichen Interesse kraft demokratischer Entscheidung dargebotenen Leistungen dürfen nicht nur durch Schulden finanziert werden, sondern sind letztlich durch Steuern und Abgaben als Gegenleistung zu finanzieren, um ein nachhaltiges Gleichgewicht zu erzielen.
Es darf nicht übersehen werden, dass die Steuerbasis des Staates permanent ausgehöhlt wird und die Gewinne steuerfrei in Steueroasen, wie Jersey, Cayman, Bermudas, Liechtenstein, Monaco, Macao, Hongkong, Singapur, etc. , transferiert und somit dem Staat und somit uns allen entzogen werden.
Die Budgetkrise hat ihre Ursache in der Wirtschaftskrise und diese wieder in der weltweiten Finanzkrise als Ursprung der Katastrophe.
An der Staatsverschuldung zur Ankurbelung der Wirtschaft verdienen nämlich wiederum die Kapitalgeber, die ihr Geld möglichst steuerfrei anlegen und dem Staat als Kredit zinsbringend zur Verfügung stellen und nicht bereit sind, leistungsadäquaten Steuern zu zahlen. Dies belastet den "Mittelstand" und die ärmeren Bevölkerungsschichten durch Reduktion von Transferleistungen ("Sparen"). Das unproduktive, für Spekulationen eingesetzte Kapital müsste wieder für produktive Zwecke dem Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden.
Renaissance des Staates - Re-Kommunalisierung
Angesichts der kapitalen Finanzkrise nimmt die Finanzwirtschaft ausgerechnet beim so verpönten Staat Zuflucht, also bei der Gemeinschaft, die mit ihren Steuern einspringen, bürgen und womöglich auch zahlen soll. Henry Paulsen, US-Finanzminister, ehemals bei Goldman-Sachs, rettete die riesige American International Group AIG mit öffentlichen Mitteln, weil Goldman-Sachs sonst Milliarden-Verluste zu befürchten gehabt hätte. Niemand versteht, wieso jene "Schatten-Banken", die Milliarden im weltweiten Casino verspielt haben, mit öffentlichen Geldern gerettet werden und wieso die Staatshilfe ohne verpflichtende Auflagen gewährt wird. Einige Zeit nach der Sanierung soll dann die Staatsbeteiligung wieder rückgängig gemacht werden und kann möglicherweise das Spiel wieder von Neuem beginnen.
Die neueste Entwicklung hat den systemischen Fehler erkannt und spricht von einer Renaissance des Staates, einem Revival des öffentlichen Sektors im Zeitalter des "Post-Neoliberalismus". Auf Gemeindeebene findet eine Re-Kommunalisierung statt.
Die Erkenntnis setzt sich immer mehr durch, dass Extrema schädlich sind: Zuviel Staat schadet der Wirtschaft genauso wie ungehemmte Marktwirtschaft. Zwischen beiden Polen ist eine Synthese herzustellen. Das Finden eines Optimums und Ausgleichs zwischen den beiden Sektoren im Zeitalter des "Post-Neoliberalismus" ist eine hohe wirtschaftspolitische Kunst, die nur durch Solidarität, Kooperation von Markt und Staat, Nachhaltigkeit im Wirtschaften und Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe beherrscht werden kann und nicht durch Radikalität in der Durchsetzung einer bestimmten, einseitigen Ideologie.
Dem Auseinanderdriften von Arm und Reich, von Realwirtschaft und Geldwirtschaft ist Einhalt zu gebieten. Der Staat und die internationale Gemeinschaft sind aufgerufen durch entsprechende Gesetzgebung klare Regeln aufzustellen und diese auch wirkungsvoll zu überwachen.
Der Glaube an die "Selbstheilungskräfte des Marktes" hat sich in der Realität als Illusion erwiesen und bedarf im Falle des Ausuferns der ungezügelten Kräfte der staatlichen Regulierung, um Fehlentwicklungen zu vermeiden.
Systemimmanente Disharmonie ist zu überwinden
Die Hauptursache der Krise ist eine systemimmanente Disharmonie in der Zuteilung der Finanzen, Produktionsfaktoren und in der Verteilung des Einkommens und Vermögens.
Die öffentliche Hand müsste für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen. Die Umverteilung vom im Überfluss vorhandenem Einkommen und Vermögen zu den ärmeren Bevölkerungsschichten würde nämlich Wohlfahrtsgewinn für alle bringen!
Zwischen Staat und Wirtschaft besteht, dem neoliberalen Zeitgeist entsprechend, ein kontradiktorisches Verhältnis, das nicht vom Willen getragen ist, ein von Kooperation geprägtes Optimum zu erzielen. Weder auf die Zukunft, noch auf die Umwelt, noch auf die Nachhaltigkeit wird geachtet, sondern nur auf den kurzfristigen Erfolg hedonistisch-egoistischer Prägung. Zwischen Staat und Privatwirtschaft ist wiederum eine ausgewogene Balance zur Steigerung der Wohlfahrt zu finden.
Die Wirtschaft muss durch öffentliche Investitionen und Stärkung der konsumtiven Nachfrage durch entsprechende Lohn-, Preis- und Pensionspolitik gefördert werden. Denn:
- Geht's uns allen gut, geht's auch der Wirtschaft gut
- Soziale Marktwirtschaft beruht auf der Realwirtschaft und Solidarität
- Gemeinden dienen der Daseinsvorsorge und dem sozialen Zusammenhalt!