Cross Border Leasing: Vom Millionengeschäft zum Millonengrab

Die enorme Verschuldung nicht nur der Staaten, sondern auch der Länder und Gemeinden zwingt diese, nach alternativen Geldquellen zu suchen. Von der Mitte der 1990er bis zum Ausbruch der Wirtschaftskrise schienen die Gewinne an den Börsen kein Ende zu nehmen. Die Bürgerlichen waren der Überzeugung, dass dies auch so bleiben würde. Warum sollten darum Staaten, Länder, Städte und Gemeinden auf diese Möglichkeit, schnelles Geld zu machen, verzichten?

Die Initiative für die Spekulation mit öffentlichem Eigentum kam von renommierten Kreditinstituten. VertreterInnen der Kommunalkredit, der Creditanstalt oder der Raiffeisen Zentralbank besuchten die Amtsstuben von BürgermeisterInnen, FinanzstadträtInnen und die Zentralen von Betrieben der öffentlichen Hand und boten ein Produkt mit dem Namen "Cross Border Leasing" (CBL) an. Schließlich, so wurde den potentiellen KundInnen erklärt, sollte auch die öffentliche Hand ein Stück vom Kuchen an den Finanzmärkten haben. Es sei nicht mehr zeitgemäß, das Kapital des Stromnetzes, der Wasserversorgung, der Eisenbahnbetriebe usw. unprofitabel herumliegen zu lassen.

Die Methode des CBL biete die Möglichkeit, nahezu risikolos und unmittelbar Geld aus diesen Liegenschaften zu gewinnen. Funktionieren würde das auf folgende Weise: die Liegenschaft, also das Stromnetz, die Waggons, das Kraftwerk usw. wird an eineN US-amerikanischeN InvestorIn verkauft, wobei der/die ehemalige EigentümerIn gegen Gebühr weiterhin zur Nutzung berechtigt ist. Ein Teil (etwa 4-5%) des Verkaufserlöses, der so genannte "Barwertvorteil", wird dem/der VerkäuferIn sofort ausbezahlt; der Rest wird an Banken überwiesen, die dieses Geld veranlagen und mit dieser Rendite sowohl die Bezahlung der Nutzungsgebühr übernehmen, als auch einen Kapitalstock aufbauen, mit dem ein eventueller Rückkauf bewerkstelligt werden soll.

Grundsätzlich werden CBL-Verträge aus steuerrechtlichen Gründen mit einer Laufzeit von 99 Jahren abgeschlossen. Bei einer durchschnittlichen Entwicklung der Kapitalverzinsung gehört beispielsweise die Straßenbahn nach 30 Jahren wieder der Stadt, den Rest erledigen die involvierten Banken und RechtsanwältInnen. Dabei ergibt sich für die Stadt bei einer Transaktionssumme von 1 Milliarde Euro ein Sofortgewinn von 50 Millionen Euro. Ein verlockendes Angebot.

Vor allem in Deutschland und Österreich gingen viele Städte und Gemeinden Geschäfte dieser Art ein. Für die ArrangeurInnen war das oft mit einer Beförderung ihrer Karriere verbunden. Sie hatten es scheinbar geschafft, die Städte und Kommunen an den Gewinnen der Finanzmärkte teilhaben zu lassen und Geld in die leeren Kassen zu spülen. Die Umstände, unter welchen die Beschlüsse in den Stadt- und Gemeinderäten gefasst wurden und die Geheimhaltungsabkommen mit den US-amerikanischen VertragspartnerInnen lassen allerdings an der Ehrbarkeit dieser Personen zweifeln. Die ungemein komplexen Vertragswerke lagen den beschlussfassenden Gremien nur in englischer Sprache vor. Es verwundert kaum, dass ein Dokument, an dem unzählige JuristInnen mitgearbeitet haben und das oft mehr als tausend Seiten umfasst, selbst von den Hauptverantwortlichen in den Städten und Gemeinden nicht gelesen, geschweige denn verstanden, wurde. Zudem verpflichteten sich die Vertragsparteien dazu, über den Inhalt der Verträge Stillschweigen zu halten, wodurch diese quasi der öffentlichen Diskussion entzogen wurden. All das wirft ein fragwürdiges Licht auf die AkteurInnen in diesen Geschäften.

Geldsegen?

Die Grundlage dieser CBL-Geschäfte war eine Steuerbegünstigung im US-amerikanischen Steuergesetz, wodurch diese Geschäfte erst ökonomisch sinnvoll wurden. Dieser Steuervorteil wurde dann sozusagen zwischen den Vertragsparteien aufgeteilt. Im Jahre 2004 wurde dieses Steuergeschenk wieder zurückgenommen, wodurch auch die CBL-Geschäfte an Attraktivität verloren. Die Prämisse, nach welcher die CBL-Verträge abgeschlossen wurden, war ein stetiges Wachstum der Gewinne oder zumindest eine gewisse Stabilität an den Finanzmärkten. Die Krise hat die Anlagewerte, mit denen diese Leasing-Geschäfte besichert waren, enorm schrumpfen lassen. Vor allem der Absturz des US-amerikanischen Versicherungskonzerns AIG, der nur durch zwei gigantische Geldspritzen gerettet werden konnte, hat viele Kommunen Millionen gekostet. Die Devise lautet nun: Raus aus den Verträgen, und zwar so schnell wie möglich!

Als Beispiel sei das Kanalsystem der 120.000 Einwohner Stadt Ulm in Baden-Württemberg angeführt – stellvertretend für viele Städte, die nun mit denselben Problemen zu kämpfen haben. Hier wurde ein CBL-Vertrag mit einem Volumen von 209 Millionen Dollar abgeschlossen. Eingefädelt wurde das Geschäft von der Beraterfirma Ernst&Young, deren VertreterInnen Ende 2002 im Rathaus erschienen. Sie hatten in der Umgebung schon mehrere Geschäfte dieser Art angebahnt und zum Abschluss gebracht, was durchaus Vertrauen erweckt haben mag. Mit im Spiel war auch die Finanztochter des Autoproduzenten Daimler-Chrysler, Debis, die in Deutschland fast ein Drittel aller CBL-Geschäfte arrangiert und die Kommunen über Jahre hinweg systematisch "bearbeitet" hat. Noch während in der Stadt die Auseinandersetzung über diesen Deal tobte und Gewerkschaften sowie ATTAC Podiumsdiskussionen veranstalteten, inspizierten VertragsingenieurInnen des Investors, der US-Bank Pittsburgh National Corporation (PNC) das Ulmer Kanalsystem. Nachdem nach hitzigen Debatten im Stadtrat keine Mehrheit gefunden werden konnte, wurde ein CBL-Spezialist der Kanzlei Clifford Chance aus München zu einer Stadtratssitzung geladen. Dieser bezeichnete das Risiko für die Stadt als "rein theoretisch".

Das in englischer Sprache abgefasste, über tausend Seiten umfassende Dokument muss schon abschreckend gewirkt haben, und ein Spezialist musste es doch schließlich wissen. "Die Frage ist doch, wer von den Bürgervertretern so gut Englisch kann, das war doch eine Situation wie bei einem typischen Haustürgeschäft", so ein Stadtrat.

Der Deal brachte der Stadt Ulm 8,2 Millionen Euro. Der Investor PNC brachte 209 Millionen Dollar auf, 39 Millionen davon als Eigenkapital. Den Rest finanzierten zwei Töchter des US-amerikanischen Versicherungsriesen AIG und die Landesbank Baden-Württemberg. AIG bürgte zudem als Depotbank. Bis zum September des Jahres 2008 blieb alles ruhig; das Geschäft schien ein echter Erfolg zu werden. Doch der Zusammenbruch des Versicherers AIG wurde auch für die Stadt Ulm zum Desaster. Denn der Vertrag legte fest: Sinkt die Kreditwürdigkeit der AIG unter eine gewisse Schwelle, muss die Stadt Ulm dem Investor entweder eineN neueN VertragspartnerIn mit sehr hoher Kreditwürdigkeit präsentieren, eineN BürgIn für die AIG besorgen oder US-Staatsanleihen als zusätzliche Sicherheiten kaufen. Also kaufte die Stadt Ulm für 37 Millionen Dollar US-Staatsanleihen; davon mussten 8 Millionen Euro aus der Stadtkasse zugeschossen werden.

Vom Millionengewinn ist somit fast nichts mehr übrig. Doch der Spuk ist noch nicht zu Ende; ein vorzeitiger Ausstieg aus dem Vertrag könnte die Stadt bis zu 30 Millionen Euro kosten. Die Kanzlei, die nun der Stadt Ulm beim Ausstieg aus dem Vertrag zur Seite steht, ist übrigens dieselbe, die einst das Risiko des CBL-Geschäfts als "rein theoretisch" bezeichnete.

Folgen

Die Wirtschaftskrise hat die Lage der Länder und Gemeinden noch weiter verschärft. Die Bürgerlichen werden die Angriffe an drei Fronten führen, um das finanzielle Gleichgewicht wieder herzustellen: Kürzungen bei den Gehältern der Gemeindebediensteten, Kürzungen bei den kommunalen Sozialleistungen und Privatisierungen. Gerade letzteres ist für die Bürgerlichen von besonderer Bedeutung, weil Investitionen in den produktiven Sektor zur Zeit einer Überproduktionskrise für sie keinen Sinn machen.

Mit den CBL-Geschäften wird den Lohnabhängigen das Fell zwei Mal über die Ohren gezogen: das erste Mal, indem die Profite der US-amerikanischen Investoren und der involvierten Banken von US-SteuerzahlerInnen berappt werden müssen, das zweite Mal, indem die europäischen SteuerzahlerInen für die Verluste der Kommunen geradestehen müssen. An den CBL-Geschäften haben sich KapitalistInnen dies- und jenseits des Ozeans bereichert, während die europäischen und US-amerikanischen SteuerzahlerInnen die Zeche für ihre fetten Profite zahlen 'dürfen'.

Auch in österreichischen Aktenschränken schlummert einiges, das uns Lohnabhängige noch teuer zu stehen kommen könnte. Das prominenteste Beispiel für CBL-Verträge in Österreich sind vermutlich die Wiener Linien. Weniger bekannt dürfte sein, dass auch Städte wie Linz und Innsbruck ihre Abwassersysteme verkauft haben. Aber auch viele österreichische Großunternehmen gehören zu den KundInnen: ÖBB, Telekom Austria, Verbund, Post, OÖ Ferngas, Kelag und die Tiroler Wasserwerke sind allesamt mit hunderten Millionen in diese Geschäfte involviert.

Verstaatlichung – aber wie?

Die Tatsache, dass viele Betriebe der öffentlichen Hand an diesen Geschäften beteiligt sind, zeigt, dass diese nicht im Interesse ihrer Beschäftigten und der KonsumentInnen geführt werden. Verstaatlichung allein ist noch keine hinreichende Maßnahme, um Betriebe der Profitlogik zu entziehen, wofür auch die Entwicklung der ehemaligen Verstaatlichten in Österreich spricht.

Städtische und kommunale Betriebe müssen unter die Kontrolle ihrer Beschäftigten und der KonsumentInnen gestellt werden – als einzig wirksame Methode, um den Missbrauch öffentlicher Gelder zu verhindern und die Grundversorgung der Bevölkerung den Interessen des Kapitals zu entziehen. Daher: Offenlegung aller CBL-Verträge! Die ProfiteurInnen müssen beim Namen genannt und zur Kasse gebeten werden!

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