Interview mit Ataollah Samadani (Betriebsrat bei Siemens PSE)

Frage: Was ist der Hintergrund des Arbeitskampfes bei Siemens PSE?

Antwort: Wir sind die Programm- und SystementwicklerInnen von Siemens. Die PSE hat 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Hälfte sind MaturantInnen und HTL-IngenieurInnen, die andere Hälfte sind AkademikerInnen. Wir haben einige Tochterfirmen im Ausland und wir sind äußerst erfolgreich, seit Jahren schon. So, und jetzt gibt es einen Teil von uns, cirka 200 Leute, die Anlagen machen. Die Hardware dieser Telefon- und Computeranlagen wird wo anders gemacht, wir sind nur für die Programmierung zuständig. Jetzt ist es so, dass der Teil von Siemens, der die Gerätehardware herstellt und vertreibt, weltweit verkauft wird. Das hat mit uns jetzt unmittelbar gar nichts zu tun, abgesehen davon, dass wir für diese Leute programmiert haben. Dann hat es plötzlich geheißen, dass wir die neu zu gründende Firma leichter verkaufen können, wenn auch die ProgrammiererInnen ausgegliedert werden.

Dieses Risiko ist für mich zu groß. Diese Leute einfach irgendwohin zu schicken mit dem Wissen, dass diese Leute verkauft werden. Ich mache einen Vergleich: Wenn die Gemeinde Wien der Besitzer der Wiener Linien und vom Zentralfriedhof ist, und wenn es jetzt aus irgendwelchen wirtschaftlichen Gründen notwendig wird, den Zentralfriedhof zu verkaufen, verkauft man doch die Linie 71 nicht einfach auch, nur weil die Linie dort hin fährt. So ungefähr ist es auch bei uns, wenn wir verkauft werden, nur weil wir für diese Geräte programmiert haben. Wenn ich ProgrammiererInnen von dort abziehe und in die Medizintechnik oder den Handybereich stecke, können diese dort genauso gut arbeiten. Und daher sehe ich keinen Grund für die Ausgliederung. Jetzt wo die Unternehmensleitung schon mit dieser Idee an die Öffentlichkeit gegangen ist, ist ein Rückzieher für sie natürlich extrem schwer.

Wir sagen, wenn sich 30, 40 Leute finden, die das freiwillig probieren wollen und ausgegliedert werden wollen, und die Firma ihnen anständigerweise eine Rückkehrgarantie gibt, dann sind wir gerne bereit, das zu akzeptieren. Aber die sagen, wir gliedern einfach 200 Leute aus, und kein Mensch weiß, was mit den Leuten zum Zeitpunkt der Ausgliederung oder nachher passiert. Wer vertritt sie? Die müssen einen neuen Betriebsrat bilden, und der ist zu neu und zu unerfahren.

Zum Zeitpunkt der Ausgliederung kommt es weder zu Gehaltskürzungen noch zu Kollektivvertragsveränderungen. Aber ausnahmslos alle Beispiele in Österreich zeigen, dass es nachher zu Gehaltskürzungen und Kündigungen gekommen ist. Oft existiert zwar die Firma, wenn man sich aber die Leute anschaut, sind das andere Leute, jüngere Leute, mit anderem Kollektivvertrag und oft der Hälfte des früheren Gehalts. Ein junger Mensch von heute, wenn er Arbeit sucht, überlegt sich nicht lange, welchen Job er annimmt. Das nutzen sie aus. Wir haben zum Beispiel im Jahr 2000 den Bereich "Ton- und Studiotechnik" ausgegliedert. Jetzt kann man hingehen und schauen, was mit den Leuten heute ist, die früher dort gearbeitet haben. Die wurden entweder gekündigt oder in Frühpension geschickt. Warum soll ich bei so einer Schweinerei mitmachen. Wo ist hier der Vorteil für die ArbeitnehmerInnen?

Frage: Wie ist die Stimmung in der Belegschaft, wie ist die Kampfbereitschaft?

Antwort: Die Stimmung für Kampfmaßnahmen war noch nie so gut wie jetzt. Es gibt auf jeden Fall Kampfbereitschaft. AkademikerInnen sind ja normalerweise nicht sehr kampfbereit. Aber, wenn es ihnen so schlecht geht, dass 1.500 Menschen es wert finden zum Austria Center zu kommen, um dort zu sagen: ich lasse mir das nicht gefallen; wenn 1.500 in einer geheimen Abstimmung zu 97,3 % für einen Streik stimmen, da müsstest du dumm sein als Betriebsrat, das nicht durchzuführen. Überlegt Euch bitte: Es geht nicht um ein paar Alte wie mich, die bald in Pension gehen. Es geht um die Zukunft der ArbeitnehmerInnenvertretung.

Frage: Wie siehst Du die Gewerkschaft in diesem Arbeitskonflikt? Wie könnte die Gewerkschaft kampfkräftiger werden?

Antwort: Also was unsere Gewerkschaft, die GPA, betrifft, sieht es so aus, als habe man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Ehrlich gesagt, so viel Unterstützung wie ich jetzt von der GPA habe, hab ich noch nie gehabt. Wir haben einen Sekretär bekommen, der mit uns unterwegs ist, die ganzen Juristereien erledigt, Karl Proyer [Anm. d. Red: stellvertretender Bundesgeschäftsführer und Wiener Regionalgeschäftsführer der GPA] steht zu 100% auf unserer Seite. Es hat zwei Tage gedauert, bis das Präsidium der GPA unseren Streikbeschluss genehmigt hat. Natürlich muss man noch viel, viel, viel machen, wenn du die Strukturen der Gewerkschaft ansprichst. Da gibt’s noch viele Krankheiten, die man beseitigen muss.

Frage: Was ist Dir bezüglich des Reformprozesses, indem sich die Gewerkschaft befindet, wichtig?

Antwort: Auf jeden Fall braucht es mehr Mitgliederbeteiligung. Mitglieder sind zwar wichtig, um vertreten zu werden. Ich höre aber nicht, dass Mitglieder auch wichtig sind, um Entscheidungen zu treffen und das ist sehr, sehr schwach. Weiters ist der ÖGB zwar überparteilich, aber an dem, was der ÖGB unter überparteilich versteht, da muss man schon viel machen, viel ändern. Die Überparteilichkeit der Gewerkschaft muss mehr in den Vordergrund gerückt werden.

Zur Kampfbereitschaft der GPWenn sie vorhanden ist, dann sieht man sie nicht. Das muss transparenter werden. Transparenter kann es werden, wenn du dich als GewerkschafterIn nicht abhängig von irgendwelchen BetriebsrätInnen machst, die auch noch 100.000 andere Probleme haben. Sondern da muss man meiner Ansicht nach die schon in den Statuten vorgesehenen gewerkschaftlichen Betriebsgruppen organisieren. Ohne diese hast du einfach keine Zähne. Ein Betriebsrat hat einfach noch andere Probleme, die er regeln muss. Bei Kampfgeschichten, da muss einfach eine Organisation da sein, vor der die ArbeitgeberInnen Respekt haben. Mit dem Betriebsrat muss der Arbeitgeber leben, aber da muss noch irgendwer da sein, der immer mit dem Zeigefinger da steht. Und das fehlt einfach. Für mich ist das schwierig, weil momentan muss ich beide Rollen spielen. Da kennt sich die Firma nicht mehr aus.

Frage: Welche Rolle spielt Brigitte Ederer [ehem. SPÖ-Staatssekretärin, Anm.] im Siemens-Management?

Antwort: Ich bin kein Parteimitglied. Brigitte Ederer ist ein Phänomen für sich. Sie muss extrem gut sein. Allein die Tatsache, dass sie in einer so patriarchalisch geführten Firma so weit gekommen ist, da muss man schon viel können. Man muss nur aufpassen, wenn man von der Sozialdemokratin zur Konzernlenkerin mutiert, weil wir wissen alle, was bei Mutationen herauskommen kann: MutantInnen, da muss man aufpassen, aber ich glaube, sie ist eine extrem intelligente Frau. Sie wird das schaffen. Aber alles andere, das müssen sich die SozialdemokratInnen unter sich ausmachen.

Frage: Was erwartest Du Dir an Solidarität?

Antwort: Wir sind jetzt PionierInnen. Was wir machen, ist ja in Österreich nicht üblich. In Frankreich wird so eine Auseinandersetzung von den Zeitungen gar nicht beachtet, weil das zur normalen Auseinandersetzung zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen gehört.

Aber wenn es jetzt BetriebsrätInnen gibt bei AUA oder bei PSE, die etwas wollen, und die auch überzeugt sind, dass sie die Belegschaft auf ihrer Seite haben, dann sollte der ÖGB so weit sein, diese Leute zu vernetzen.

Ich habe in den vergangenen zwei Monaten so viel Erfahrung gesammelt, wie vorher nicht in den ganzen 18 Jahren, in denen ich Betriebsrat bin. Das kann man mit jemandem teilen. Man kann so Fehler minimieren, Sachen besser machen. Versuch einmal über den ÖGB ein Handbuch zu bekommen, wie du einen Streik organisierst. Ob es schön ist oder nicht, aber das sind unsere Waffen. Wir haben ja sonst nichts. Das sind die Waffen, die wir einsetzen müssen, und da muss sich halt jemand darum kümmern, dass diese Waffen auch intakt bleiben. Vielleicht gibt es keineN SekretärIn, der sich auskennt, wenn wir Hilfe brauchen? Ein banales Beispiel: Wenn wir jetzt sehr euphorisch eine Protestversammlung in der Siemensstraße organisieren, und dann komme ich drauf, dass wir keine polizeiliche Anmeldung haben. Das gehört alles organisiert. Aber ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg.

Frage: Und welche Form von Solidarität können Jugendgruppen zeigen?

Antwort: Mir ist das erst im Austria Center eingefallen, dass Jugendliche zum Beispiel als OrdnerInnen gut gewesen wären. Dann hätten die das mitbekommen, was wir alten BetriebsrätInnen für Motive haben und wir hätten auch die Intentionen der Jugend besser kennen gelernt. Das muss aber irgendwo organisiert werden. Das wäre zum Beispiel etwas, was man in Zukunft machen könnte.

Ich danke Dir für das Interview.

Das Interview wurde geführt von Josef S. Falkinger, Kampagne "Wir sind ÖGB"
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