Widersetzen, Besetzen und Produzieren!

Bericht von der Konferenz der besetzten Betriebe

Im Kampf um die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze halten die Belegschaften von etwa 280 Fabriken und Bergwerken in Lateinamerika die von den Unternehmern stillgelegten Betriebe besetzt und produzieren unter ihrer Kontrolle. Im Dezember 2006 versammelten sich VertreterInnen dieser Bewegung aus ganz Lateinamerika zu einer repräsentativen Konferenz um gemeinsame politische Ziele und Aktionsformen zu formulieren.

Ort der Konferenz ist der plastikverarbeitende Betrieb CIPLA in Joinville/Brasilien. Gleich zu Beginn der Konferenz beschloss die 800köpfige Belegschaftsversammlung des Unternehmens die Verkürzung der Arbeitszeit von 40 auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Die Unterzeichnung dieser Betriebsvereinbarung zwischen dem brasilianischen Gewerkschaftsdachverband CUT und dem Sprecher der besetzen Fabrik, Serge Goulart, wird von Jubelstürmen begleitet. Schöner hätte der Auftakt der Konferenz nicht ausfallen können.

Internationale Konferenz

Die 691 Delegierten aus 12 Ländern und 13 brasilianischen Bundesstaaten vertreten rund 30.000 ArbeiterInnen, die in besetzten Betrieben arbeiten. Die größte Anzahl von besetzten und/oder durch die ArbeiterInnen wiederaufgesperrten Betriebe gibt es mit 220 in Argentinien. Die argentinische Delegation war u.a. mit VertreterInnen aus Metallbetrieben, Dienstleistungsunternehmen, Schlachthöfen etc. präsent. In Uruguay gibt es insgesamt 16 besetzte Betriebe, von denen zwölf repräsentiert waren, in Paraguay produzieren 3 Fabriken unter ArbeiterInnenkontrolle, die alle waren repräsentiert waren. Die Mehrzahl der anwesenden KollegInnen waren klarerweise aus Brasilien selber. Die vier besetzten Betriebe wählten Delegierte, außerdem waren wichtige Gewerkschaftsfunktionäre aus allen Sparten und Bundesstaaten anwesend. Die Gewerkschaftsvorsitzende von PLASCALP, des größten lateinamerikanischen Produzenten von medizinischem Hygienematerial, beantragte am Anfang der Konferenz die Aufnahme in den Verband der besetzten Betriebe Brasiliens, was einstimmig und unter großem Applaus geschah. Damit hat die Bewegung der Betriebsbesetzungen erstmals im Norden des Landes Fuß gefasst. Weiters war eine zehnköpfige Delegation der FRETECO aus Venezuela anwesend, sie repräsentierten 4 von insgesamt 12 in der FRETECO organisierten Betrieben, VertreterInnen aus anderen Unternehmen waren am Flughafen von Bogota festgehalten worden. Eine kleine aber sehr hochrangige Delegation der bolivanischen Bergarbeitergewerkschaft leistete sehr wichtige Beiträge zur Konferenz. Sie standen noch voll unter dem Eindruck des Versuches von selbstständigen, von Unternehmern angestachelten Bergleuten die unter ArbeiterInnenkontrolle stehende staatliche Mine von Huanuni zu erobern. In einer zweitägigen Auseinandersetzung, die 5 Tote forderte, verteidigten sie nicht nur ihre Mine, sondern konnten die Angreifer überzeugen ihre Minen unter ArbeiterInnenkontrolle zu führen. Evo Morales reagierte auf ihren Druck und nominierte einen Gewerkschafter für den Posten des Ministeriums für Bergbau. Sie schilderten eindrücklich wie nur die ArbeiterInnenkontrolle einen effizienten und sicheren Abbau der Mineralien garantieren könne, und damit nicht nur das Leben und Einkommen für Tausende Familien garantiert, sondern auch dass der hier abgebaute Reichtum tatsächlich der Bevölkerung zugute kommt. Sie präsentierten einen ambitionierten Aktionsplan, wie der gesamte Bergbau Boliviens wieder unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden soll.

ArbeiterInnenkontrolle oder Solidarwirtschaft?

Damit kann man die widersprüchlichste Debatte auf der Konferenz beschreiben. Zwar war diesem Thema keine eigene Debatte gewidmet, allerdings zog sich diese Diskussion durch alle Beiträge durch. Diese Diskussion ist keine neue. Das Genossenschaftswesen ist in vielen Ländern Teil der bürgerlichen Rechtsordnung und wird von der katholischen Soziallehre bis zu Teilen der globalisierungskritischen Bewegung als Alternative gesehen. Alter Wein wird hier in neuen Schläuchen serviert, wie etwa in einem Beitrag Christian Felbers in der ÖGB-Zeitung "Solidarität" vom Januar 2007. Die kapitalistische Krise soll laut diesem Konzept durch die Schaffung eines völlig deregulierten "sozial- statt profitorientierten tertiären Sektors" begegnet werden. Dieser Idee liegt zugrunde, dass der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit dadurch gelöst wird, dass ArbeiterInnen und Kapital im Genossenschaftswesen verschmelzen. In den Worten von Serge Goulart wird dadurch die Avantgarde der ArbeiterInnenbewegung auf "eine lächerliche Bewegung von Kleinkapitalisten ohne Kapital, die untereinander in einem permanenten Kampf um ihren Betrieb und zur Aufrechterhaltung ihrer Lebensgrundlage stehen“, reduziert.

Diese Aussage ließ sich anhand der Erfahrungen vieler anwesender Belegschaftsvertreter leicht nachvollziehen. Je nach vorherrschender politischer Orientierung in den besetzten Betrieben wirkt sich die gewählte Strategie sofort auf die Lebenssituation der Beschäftigten aus. In Paraguay etwa sind die drei besetzten Betriebe allesamt in der Keramikindustrie. Die KollegInnen beschwerten sich darüber, dass sie gegeneinander konkurrenzieren müssen, sich keinen fixen Lohn auszahlen können und einen Zwölfstundentag abarbeiten müssen um ihr Leben finanzieren zu können. In Uruguay etwa mussten besetze Betriebe nach Jahren eine Kooperation mit Kapitalgebern eingehen um die notwendigen Modernisierungen durchführen zu können. Die venezolanische Erfahrung ist nicht minder interessant. Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit dem vom Ministerium vorgeschlagenen Kooperativenmodell für die enteigneten Betriebe setzt sich in der Praxis der in der FRETECO vernetzten Betriebe die Praxis und der Kampf für die ArbeiterInnenkontrolle durch. Auch die bolivianischen KollegInnen erklärten ihre volle Ablehnung des Kooperativenmodells und wiesen gekonnt nach, wie dieses Modell sowohl den Interessen der Bergarbeiter als auch der gesamten Gesellschaft entgegensteht.

Am überzeugendsten jedoch ist die Erfahrung von CIPLA selber. Der Betrieb agiert permanent im rechtsfreien Raum. Die Polizei versuchte mehrmals die Fabrik zu stürmen, was allerdings nicht gelang. Seit die CIPLA unter ArbeiterInnenkontrolle steht wagte es kein Kapitalist im Industriezentrum Joinville (chemische, metallverarbeitende Industrie, Fahrzeugbau) mehr Massenentlassungen auszusprechen. Die Entscheidung für die Einführung der 30-Stunden-Woche hat sofort eine Krisensitzung des lokalen Industriellenverbandes ausgelöst, weil ein Überspringen dieser Bewegung auf andere Fabriken befürchtet wird. Steuererklärungen werden verweigert, stattdessen werden Deklarationen für die Verstaatlichung abgegeben. Die Belegschaft kooperiert eng mit denen anderer Betriebe sowie mit anderen sozialen Bewegungen, wie etwa den Landlosen.

Gemeinsamkeiten

Alle KonferenzteilnehmerInnen setzten auch große Hoffnung in die Venezolanische Revolution. Schon jetzt haben viele der anwesenden Betriebe Handels-, Investitions- und Kooperationsabkommen mit venezolanischen Betrieben oder Institutionen.

Nicht alle Widersprüche in der Herangehensweise ließen sich in den drei Tagen völlig ausdiskutieren. Einig war man sich aber in einem. Der uruguayanische Sprecher der Rechtskommission formulierte es so: "Welche rechtliche Absicherung unserer Betriebe wir auch immer wählen und wählen müssen, das wichtige ist: wir sind Teil und die Avantgarde der Arbeiterklasse und keine Selbstverwaltungskapitalisten!" So wurde auch in der Schlussdeklaration einstimmig die Orientierung auf die Losung nach Verstaatlichung der Betriebe unter ArbeiterInnenkontrolle angenommen. Ein internationales Verbindungskomitee wird den fortgesetzten politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Austausch zwischen den Betrieben vorantreiben. Das nächste panamerikanische Treffen der besetzten Betriebe soll heuer in Venezuela stattfinden.

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