Konferenz der besetzten Betriebe - Cipla-ArbeiterInnen stimmen für die Einführung der 30-Stunden-Woche
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- Erstellt am Dienstag, 12. Dezember 2006 15:47
- von Emanuel Tomaselli, Redaktion Der Funke
In den Räumlichkeiten der besetzten Fabrik Cipla im brasilianischen Joinville fand am Wochenende die Lateinamerikanische Konferenz der besetzten Betriebe statt. Mehr als 1000 ArbeiterInnen nahmen an der Eröffnung teil. Im Rahmen dieser historischen Versammlung stimmten die Cipla-ArbeiterInnen für die Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Unser Korrespondent aus Brasiien berichtet hier vom ersten Konferenztag. Die mit Menschen voll gepackte Halle war mit revolutionären und klassenkämpferischen Postern und Transparenten geschmückt. Die gesamte Belegschaft war zur Versammlung erschienen, um über die Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich zu entscheiden. Und das zu einer Zeit, wo die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Brasilien bei 44 Stunden liegt. Daran kann man erahnen, welch mutigen und revolutionären Schritt diese Maßnahme darstellt.
Neben den Cipla-ArbeiterInnen nahm eine große Anzahl an Delegierten aus ganz Brasilien und aus anderen lateinamerikanischen Ländern an der Konferenz teil. Insgesamt zählte die Konferenz 685 akkreditierte Delegierte und eine Vielzahl an Besuchern. Delegierte aus dem Nordosten Brasiliens hatten 70stündige Busreisen auf sich genommen, um nach Joinville zu kommen. Unter den TeilnehmerInnen waren ArbeiterInnen und revolutionäre AktivistInnen aus Argentinien, Bolivien (u.a. der Führer der Bergarbeiter), Paraguay, Uruguay, Venezuela, Spanien, Österreich, Großbritannien und Italien.
Die Eröffnungsrede hielt Serge Goulart, der bekannteste der SprecherInnen der Cipla-ArbeiterInnen und der besetzten Betriebe. (In Lateinamerika ziehen es die ArbeiterInnen vor von "wieder in Gang gesetzten Fabriken" zu sprechen.) In einer leidenschaftlichen Rede rief Serge in einer überzeugenden Rede zur Einführung der 30-Stunden-Woche auf. Entsprechend den demokratischen Traditionen bei Cipla fragte er alle Anwesenden, ob sie Zweifel oder alternative Vorschläge haben.
Drei ArbeiterInnen meldeten sich zu Wort und brachten ihre Zweifel zum Ausdruck. Es wurden jedoch keine alternativen Anträge eingebracht. Genosse Serge beantwortete ihre Argumente Punkt für Punkt. Die Abstimmung brachte dann ein eindeutiges Ergebnis. Der Antrag auf Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wurde bei 2 Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen. Das Abstimmungsergebnis wurde von den TeilnehmerInnen mit einem wahren Freudenausbruch begrüßt. Damit werden die Cipla-ArbeiterInnen ab jetzt bei einer 5-Tage-Woche 6 Stunden pro Tag arbeiten, und das ohne Lohneinbußen. Serge Goulart forderte alle Anwesenden auf, die Nachricht von dieser historischen Entscheidung zu verbreiten. Das war ein wahrlich inspirierender Beginn für die Konferenz.
Die Konferenz selbst wurde von Genossen Carlos Castro vom Rat der Cipla- und Interfibra-ArbeiterInnen eröffnet. Weitere Reden hielten Vertreter des Gewerkschaftsdachverbandes CUT. Dann wurden die internationalen Delegierten begrüßt, die die besetzten Betriebe in Paraguay, Uruguay, Argentinien und Venezuela vertraten. Neben einem Vertreter des palästinensischen Befreiungskampfes war auch ein junger Geistlicher geladen, der durch seine antikapitalistische Rede zu überraschen vermochte.
Roberto Chavez, der Generalsekretär der kämpferischen Bolivianischen Bergarbeitergewerkschaft (FSTMB) war der nächste Redner: "Genossnen, ich überbringe euch die Grüße der Bergarbeiter und Lohnabhängigen von Bolivien. Diese Versammlung markiert einen historischen Wendepunkt für die Arbeiterklasse in Lateinamerika. Wir sind Zeugen der revolutionären Entscheidung der Arbeiter von Cipla, den Arbeitstag auf 6 Stunden zu verkürzen. Das muss in allen Fabriken und Dörfern im Interesse der Arbeiterklasse berichtet werden. Nicht nur in Brasilien sondern in ganz Lateinamerika.
Wir, die bolivianischen Bergarbeiter, kämpfen dafür, dass die privatisierten Minen den Arbeitern wieder zurückgegeben werden. Es gibt bereits vier Minen in unserem Land, die sich wieder in den Händen der Arbeiter befinden. Dieser Kampf muss auf ganz Lateinamerika ausgedehnt werden. In Bolivien gab es seit 2003 große Massenbewegungen. Nun haben wir eine Regierung, das von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt wurde, einschließlich unseren Genossen, den indigenen Bolivianern.
Die Regierung ist einem strukturellen Wandel verpflichtet. Das bedeutet, dass das Erdgas und Erdöl des Landes sowie die privaten Bergwerke entschädigungslos verstaatlicht werden. Die Menschen unterstützen diese Forderungen, welche auf den erbitterten Widerstand der Großkonzerne und der Oligarchie stoßt. Die bolivianische Revolution hat 2003 begonnen und muss 2007 vollendet werden.
Die Bergarbeiter wurden brutal angegriffen. In Huanuni wurden Bergarbeiter, die in Genossenschaften arbeiten, von den Kapitalisten so manipuliert, dass sie versuchten 2 Minen gewaltsam zu besetzen. Die Bergarbeiter verteidigten sich. Im Zuge des blutigen Konflikts wurden 5 Genossen ermordet. Doch wir denken, dass es dieses Opfer wert war um die Minen zu retten.
"Nach dem Konflikt forderten wir die Arbeiter aus den Genossenschaften auf mit uns gemeinsam die Mine zu führen. In der Mine arbeiten nun 5.000 Menschen. Wir müssen eine Lösung für dieses Problem finden. Der einzige Ausweg lautet Verstaatlichung der Bergwerke unter Arbeiterkontrolle. Nur so können die Arbeitsplätze verteidigt und die Sicherheit der Arbeiter garantiert werden."
Der nächste Sprecher lieferte eine große Überraschung. Es war Vater Dulce, ein junger Priester, der in Bälde zum Bischof ernannt werden soll. Statt einer schwarzen Kutte trug er ein gelbes T-Shirt der Bewegung der besetzten Betriebe. Er hielt eine der kämpferischsten Reden an diesem Tag. "Welche Freude für mich, an diesem historischen Treffen teilnehmen zu können", so der Priester. "Arbeitszeitverkürzung ist der einzige Weg, auf dem sich die Menschen voll entfalten und ihr kulturelles und Bildungsniveau heben können."
Mit der Bibel in der Hand übte er dann scharfe Kritik an den Reichen. Im Grunde wünschte er allen, die sich weigern, die 30-Stunden-Woche zu akzeptieren, nichts weniger als das Höllenfeuer. "Wir alle haben eine große Verantwortung, um eine vollständige Veränderung des Arbeitssystems zu erreichen. Unser globalisiertes System hat alles verändert. Es ist die Ursache des Elends, obwohl die Bedingungen dafür existieren, dass alle in Wohlstand leben könnten. Möge die Kraft Gottes Euch alle mit der Entschlossenheit erfüllen, die es braucht, damit wir die Forderungen der Arbeiter durchsetzen können. AMEN!!" Das Publikum war angesichts dieses unüblichen Segens begeistert.
In der Folge sprachen Lluis Perernau, Aktivist der UGT aus Barcelona und Paolo Brini von der italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM. Dann war Alan Woods an der Reihe: "Genossen und Freunde, ich überbringe Euch im Namen der Internationalen Marxistischen Tendenz die Grüße von Arbeitern, Gewerkschaftern und revolutionären Jugendlichen aus mehr als 30 Ländern auf fünf Kontinenten.
Vor mir sehe ich das wahre Gesicht der Arbeiterklasse: das Gesicht freier Männer und Frauen, die für ihre Rechte kämpfen. Die Gesellschaft ist in zwei sich feindlich gegenüber stehende Klassen gespalten: jene, die alles besitzen und nichts produzieren und jene, die nichts haben und alles produzieren. (Applaus.)
Lasst mich Euch eine Frage stellen. Wie viele Reiche gibt es in Brasilien? Wie viele Reiche gibt es in Bolivien? Ihr wisst nicht wie viele, ich auch nicht. Doch ich weiß, dass es eine kleine Minderheit ist. Wir sind viele und sie sind wenige! Darin liegt unsere Stärke! (Applaus)
Doch es gibt eine andere Frage. Wie ist es möglich, dass eine so kleine Minderheit eine so große Mehrheit beherrschen kann? Es geht nicht mittels Waffengewalt. Wir wissen, dass der Staat ein Unterdrückungsinstrument einer Klasse über eine andere. Doch offene Repression ist nur das letzte Mittel, sie wird nur selten angewandt. Die Herrschaftsmethode ist eine andere.
Über Generationen hat die herrschende Klasse den Arbeitern eingeredet, dass sie die Industrie und die Gesellschaft nicht führen können. Die meisten Arbeiter sind davon voll und ganz überzeugt. Sie sagen: 'Wie können wir die Industrie oder die Gesellschaft führen, wenn uns das nötige Wissen fehlt?'
Dieses Problem wird durch die Tatsache verschärft, dass jene, die angeblich die Führer der Arbeiterklasse sind, diese Idee ständig wiederholen: 'Seid vorsichtig! Wir können das nicht!'
GenossInnen, ich habe eine Botschaft für Euch: JA, WIR KÖNNEN ES! (Applaus)
Vor langer Zeit sagte ein französischer Revolutionär: 'Sie erscheinen nur in unseren Augen so mächtig, weil wir vor ihnen knien. Erheben wir uns! (Applaus)
Lasst uns aufstehen! Die Bevölkerung von Venezuela hat sich erhoben. Die Arbeiter in Bolivien haben sich erhoben. Und die ArbeiterInnen hier bei Cipla ebenfalls. Das ist die Antwort auf all die Reformisten und Skeptiker. (Applaus)
Genossen und Freunde, ich habe schon viele Fabriken in einer ganzen Reihe von Ländern gesehen. Ich habe aber noch nie eine so gut geführte, so saubere, so disziplinierte Fabrik wie diese gesehen. (Applaus) Die Arbeiter haben diese Fabrik gut geführt und sind damit erfolgreich. Das ist die Antwort an all jene, die meinen, die Arbeiter könnten die Industrie nicht führen! Und ich frage Euch eins: Wenn die Arbeiterklasse eine Fabrik verwalten kann, warum soll sie dann nicht auch die ganze Gesellschaft verwalten können? (Beifallsrufe und Applaus)
Eigentlich wollte ich heute aus der Bibel zitieren, aber der Genosse Priester ist mir zuvorgekommen. (Gelächter.) Deshalb will ich aus einem noch älteren Buch zitieren. Ich werden den griechischen Philosophen Aristoteles zitieren, der einst sagte: 'Der Mensch beginnt zu philosophieren, wenn seine grundlegenden Bedürfnisse befriedigt sind. Deshalb wurden die Mathematik und die Astronomie in Ägypten erfunden, weil die ägyptischen Priester nicht arbeiten mussten.'
Da habt Ihr es – historischer Materialismus 2400 Jahre vor Marx! Wollt Ihr die Antwort auf die von mir zu Beginn gestellte Frage wissen? Wie kann es sein, dass eine kleine Minderheit die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft beherrschen kann? Es ist, weil sie das Monopol auf Kultur, auf Kunst, auf Wissenschaft und die Regierung haben. Das ist das wahre Geheimnis der Klassengesellschaft.
Deshalb ist auch die heute hier getroffene Entscheidung von solch revolutionärer Bedeutung. Nur durch die Verkürzung der Arbeitszeit ist es möglich, dass die Arbeiterklasse die nötige Zeit hat, um sich die kulturellen und wissenschaftlichen Fähigkeiten anzueignen, die sie zur Verwaltung der Gesellschaft benötigt.
Lasst mich noch eine Begebenheit von Lenin zitieren, die Ihr vielleicht nicht kennt. 1919 organisierten die ArbeiterInnen in Bayern einen Aufstand und errichteten eine Räterepublik, die jedoch nur kurze Zeit überleben sollte. Als Lenin davon erfuhr, sandte er umgehend ein Telegramm an die Bayrische Räterepublik. Was schrieb er in diesem Telegramm? Es beinhaltet keine revolutionäre Rhetorik, keinen blumigen Phrasen, nur ein einziger Satz: 'Führt sofort die 40-Stunden-Woche ein, sonst seid Ihr verloren.'
In der Verkürzung der Arbeitszeit liegt eine enorme Bedeutung. Deshalb ist die Entscheidung der Cipla-Arbeiter auch derart wichtig. Die ganze Geschichte zeigt, dass es nicht möglich ist, eine Insel des Sozialismus in einem Meer des Kapitalismus aufzubauen. Wenn Ihr erfolgreich sein wollt, dann müsst Ihr rausgehen zu den anderen Fabriken, Büros, Dörfern, Schulen und erklären was Ihr hier macht. Ihr müsst Unterstützung aufbauen - nicht nur in Joinville und Santa Caterina, sondern in ganz Brasilien und darüber hinaus.
Es stimmt, dass große Verantwortung auf Euren Schultern lastet. Diese Konferenz kann in der Tat ein historischer Wendepunkt sein, wenn sie in konkrete Aktionen mündet. Wir dürfen nach der Konferenz nicht einfach nur nach Hause gehen und so weitermachen wie bisher. Diese Konferenz muss der Ausgangspunkt für eine landesweite und internationale Kampagne zur Unterstützung der besetzten Betriebe, für die Arbeiterkontrolle, für die Verstaatlichung des Landes, der Banken und der Großindustrie sein. Das ist der einzige Weg zur Lösung der grundlegenden Probleme der Arbeiterklasse!" (Enthusiastischer Applaus)
Am Ende der Sitzung überreichten Mitglieder der Menschenrechtsorganisation Maria da Graca Braz der Bewegung der besetzten Betriebe einen Preis, der von Serge Goulart angenommen wurde. Am Ende ihrer Rede rief die Menschenrechtsaktivistin: "Lang lebe der Kampf der ArbeiterInnen in der ganzen Welt!" Und die Delegierten erhoben sich mit einem lauten "Viva!!"