Gutes österreichisches Kapital?

Der österreichische Konzern Melnhof Karton AG – Europas grösster Kartonhersteller, will seinen Standort im Schweizer Deisswil schließen. Dies verkündete Wilhelm Hörmanseder, CEO von Melnhof den geschockten 253 MitarbeiterInnen von Deisswil. Mit dieser plötzlichen Ankündigung der Stilllegung des Betriebes am 8. April 2010 hat der internationale Kartonkonzern die Belegschaft faktisch ausgesperrt.

Als Begründung dienten "drastisch gestiegene" CO2-Abgaben, die in der Schweiz bezahlt werden müssten. Dadurch sei der Standort Deisswil nicht mehr rentabel und müsse per sofort geschlossen werden. Einige Tage später wurde diese Lüge entlarvt, denn die Kartonfabrik Deisswil ist von der CO2-Abgabe befreit. In Wahrheit wollte Melnhof noch höhere Profite – diese sollten mit der Konzentration auf Hochleistungsstandorte und der Konzentration der Investitionen auf "Projekte mit kurzfristigem Payback" erzielt werden. Ein Konzern der trotz einer Gewinnsteigerung von 230 Millionen im Krisenjahr 2009 den Hals nicht voll genug kriegen kann, opfert für den Profit wieder 253 Menschen, deren Angehörigen und die betroffene Region; dabei erzielte Deisswil im letzten Quartal 2009 einen Überschuss von über 17 Millionen Euro.

Über 20 Jahre hat Melnhof die Belegschaft in Deisswill bis aufs Letzte ausgequetscht und nie in neue Maschinen investiert. Deshalb wurde am 17.04. vor der Kartonfabrik für die Wiederaufnahme der Produktion demonstriert. Aufgerufen dazu hatten einige Tage zuvor eine Facebookgruppe (inzwischen zählt diese an die 3.000 Mitglieder), die von drei jungen Deisswilern initiiert wurde. Solidarität erhält die betroffene Belegschaft auch von den ArbeiterInnen der Officine; diese hatten vor zwei Jahren erfolgreich über mehrere Monate gegen die Schließung der SBB-Werkstätten in Bellinzona gekämpft haben. "Wir müssen einfach Nein sagen, der Rest wird folgen", empfiehlt der Streikführer aus Bellinzona Gianni Frizzo den Beschäftigten der Karton Deisswil.

Diesen Rat befolgten die Deisswiler noch nicht. Nach einer Protestfahrt der Belegschaft nach Wien gab sich die Konzernleitung zwar wieder gesprächs¬bereit, dies erwies sich aber als Verzögerungstaktik. Jetzt hat Melnhof die substanziellen Vorschläge für Alternativlösungen diskussionslos zurückgewiesen und will lediglich Sozialplanverhandlungen führen. Auch ein Verkauf des Betriebes an eineN betriebsfremdeN InvestorIn oder ein Management- bzw. ein Angestellten-Buyout kommen für den Konzern nicht in Frage.

Es helfen jetzt keine Appelle und Bittgänge mehr. Die Belegschaft bleibt nur noch ein Weg offen. Dieser kann aber nur gegangen werden, wenn jetzt Stärke und Entschlossenheit gezeigt werden. Die Idee, die Gegenseite mit Kompromissen und Ruhighalten milde zu stimmen, ist gescheitert.

Jetzt muss für das Anliegen, die Betriebsschließung zu verhindern, eine breite Öffentlichkeit geschaffen werden. Die ganze Region muss wissen, welche sozialen und wirtschaftlichen Folgen zu erwarten sind – für die Belegschaft, für die Kaufkraft der Region, für die öffentliche Hand.

Dabei sollten alle KollegInnen aktiv mitarbeiten und gleichberechtigt und demokratisch mitbestimmen können. SprecherInnen, welche die Belegschaft nach außen vertreten und für sie sprechen können, sollten gewählt werden. Jeder Schritt sollte in Belegschaftsversammlungen diskutiert und beschlossen werden. Die bekannte StellvertreterInnenpolitik ist gescheitert. Alle KollegInnen müssen gemeinsam entscheiden können. Das schafft die Basis dafür, dass alle hinter dem Kampf stehen und diesen entschlossen mittragen.

Da Melnhof die Fabrik sowieso stilllegen will, ist eine Weiterführung durch die ArbeiterInnen die logische Konsequenz; heute ist das auch nicht mehr ungewöhnlich, wie mehrere internationale Beispiele (von Venezuela bis Italien) in der jüngeren Vergangenheit zeigen. Dort haben in ähnlichen Fällen Belegschaften den Betrieb einfach besetzt, um so für die Rettung ihrer Betriebe zu kämpfen – mit Erfolg!

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