Mit dem kleinen Finger Serbien bewegen

Verheerende Kriegsfolgen, Privatisierung und Deindustrialisierung haben in den letzten 15 Jahren dazu geführt, dass die politische und soziale Situation der ArbeiterInnen in Serbien immer katastrophaler wurde. Sie wehren sich immer öfter.

Novi Pazar, das Zentrum der jugoslawischen Textilindustrie, blieb von der Privatisierungswelle nicht verschont. Das Textilkombinat Raska war das Herzstück des "Jeansvalleys" im ehemaligen Jugoslawien. Seit 1993 wurde im TK Raska massiv Personal abgebaut. Einzig und allein ein minimaler Bruchteil von 100 Beschäftigten, überwiegend DirektorInnen und TechnikerInnen, blieb im Werk zurück. Im Jahr 1996 wurden dann auch die letzten Männer in die Armee einberufen und die noch beschäftigten Frauen (ca. 1.500) endgültig in den Zwangsurlaub geschickt.

Zehn Jahre später stellten sie fest, dass der Krieg zwar längst vorbei war, aber weder Löhne ausbezahlt noch die Beiträge für die Altersvorsorge in den letzten 10 Jahren einbezahlt wurden. Aus diesem Grund begann die Belegschaft, die zu vier Fünftel aus Frauen besteht, mit ersten Protesten. Da die Regierung die Fortzahlungen mittels Einleitung eines Konkursverfahrens verhindern wollte, griffen sie zu härteren Mitteln des Klassenkampfes.

Aus mangelndem Vertrauen in die "unabhängigen Gewerkschaften" begannen sie, sich selbst in der "Vereinigung der TextilarbeiterInnen von Novi Pazar" zu organisieren und wählten Zoran Bulatovic zum Vorsitzenden. 2009 traten sie in ihren ersten Hungerstreik gegen die Pläne der Regierung. Nachdem dieser harte Kampf in den Medien totgeschwiegen wurde, entschlossen sich die ArbeiterInnen von RASKA, zu drastischeren Mitteln zu greifen. Die Meldung der Selbstverstümmelung von Zoran Bulatovic, der sich als Zeichen des Protests den kleinen Finger abhackte, ging durch die Medien, und die Regierung gab schließlich den Forderungen der ArbeiterInnen von Raska nach. Das Unternehmen blieb erhalten. Seither macht der Spruch im Land die Runde: "Mit dem kleinen Finger Serbien bewegen".

Aber dies war nur ein Mittel, um den ArbeiterInnen von Raska zu ihren Rechten zu verhelfen. So gewährte der Direktor der Belegschaft erst Einblick in die Geschäftsbücher nachdem er gewürgt worden war. Mit diesen für Serbien neuen Kampftraditionen legten die ArbeiterInnen von Raska einen Grundstein für eine neue Welle des Klassenkampfes und wurden zum Vorbild für andere.

Ein weiteres Beispiel für einen erfolgreichen kollektiven Arbeitskampf boten vor wenigen Monaten die 350 ArbeiterInnen von Jugoremedija, einem Arzneimittelwerk im Norden Serbiens. Grund dafür war die Privatisierungswelle, die zur Folge hatte, dass das Unternehmen zu einem Schnäppchenpreis an einen Spekulanten verkauft wurde. In der Folge besetzten die ArbeiterInnen den Betrieb für drei Tage und Nächte. Das Ministerium lenkte ein, nachdem die kämpfende Belegschaft auch das Ministerium in Belgrad besetzte, und erklärte die Kaufverträge für nichtig. Seitdem gehört das Arzneimittelwerk wieder zu 60 Prozent den ArbeiterInnen und zu 40 Prozent dem Staat. Unter der Kontrolle der Beschäftigten selbst geht es mit dem Unternehmen jetzt wieder bergauf. So konnten in letzter Zeit bereits wieder neue MitarbeiterInnen eingestellt werden.

Seither zieht eine Protestwelle über das Land. Zehntausende ArbeiterInnen waren in den letzten Monaten an Streiks und Demonstrationen beteiligt. Es gibt nun erste Versuche, über einzelne Orte hinweg ArbeiterInnen zu vernetzen. Kürzlich kam aus der Industriestadt Kragujevac die Forderung, alle serbischen ArbeiterInnen in einer gemeinsamen ArbeiterInnenvereinigung zu organisieren.

Es haben in den letzten Monaten auch erste Ansätze zu einer internationalen Solidaritätskampagne mit den kämpfenden Belegschaften in Serbien entwickelt. Höhepunkt dieser Bemühungen war eine Veranstaltungsreihe in Österreich, Deutschland und der Schweiz, wo es u.a. zu einer bemerkenswerten Solidaritätskundgebung in der Officina in Bellinzona gekommen ist. Im Namen ihrer KollegInnen verkündete dort die RASKA-Arbeiterin Seneda Rebronja unter dem Applaus der Anwesenden: "Auch wir wollen siegen wie ihr in den Officina von Bellinzona, und dann machen auch wir ein großes Fest, zu dem wir euch alle einladen werden!"

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