France Telekom: Ein Gewerkschafter legt Zeugnis ab

Ich habe viel über die Selbstmorde bei France Telekom gelesen und gehört. Vor kurzem aus diesem Unternehmen in den Ruhestand gegangen, habe ich die Not meiner KollegInnen gesehen und kenne sie. In meiner Niederlassung in Nizza war ich Personalvertreter der CGT und Sekretär des Komitees für Arbeitshygiene, -sicherheit und -bedingungen. Ich schreibe also in Kenntnis der Umstände. Als Gewerkschafter war ich täglich mit den verheerenden Auswirkungen der strategischen und finanziellen Entscheidungen des Unternehmens über seine Angestellten konfrontiert.

2005 ernannte die Regierung Monsieur Lombard zum Chef der France Telekom. Er folgte Thierry Breton, der Finanzminister geworden war, nach. 2007 avancierte der neue Geschäftsführer zum Kommandanten der Ehrenlegion. Dort gibt es nur Kumpel und Spitzbuben! An der Spitze eines Unternehmens, das jedes Bilanzsemester Millionen von Euro einfährt, ließ sich Lombard als erstes mittels Abstimmung im Aufsichtsrat eine hübsche Gehaltserhöhung zukommen. Man ist sich selbst der Nächste! Andererseits verweigerte er Verhandlungen zu Gehaltserhöhungen für das Personal.

Angesichts dessen, was sich bei der France Telekom ereignet, müssten die Führungskräfte der Niederlassung vor Gericht stehen. Die Maßnahmen, die dazu bestimmt sind, die Arbeitsbedingungen und -sicherheit zu verbessern, wurden regulär vor den PersonalvertreterInnen abgestimmt. Doch sie wurden abgebrochen, bevor sie überhaupt durchgeführt worden waren. Als wir diese Tatsachen bekanntgegeben haben, mündlich wie schriftlich, erhielten wir kein Echo, weder intern noch von öffentlicher Seite (Arbeitsinspektorat, Ministerium, Regierung).

Angesichts des Zusammenbruchs ihres Berufsfelds und der unaufhörlichen Restrukturierungen haben viele Beschäftigte versucht, sich in Arbeitsunfähigkeit zu flüchten. Manche haben durch halbseidene Absprachen mit den Vorgesetzten prekäre Lösungen gefunden. Andere, die am Boden Zerstörten, haben ihrem Leben ein Ende gesetzt. Die Rahmenbedingungen – von der Direktion gewünscht und aufrecht erhalten – treiben die Beschäftigten zu einem point of no return. Bei France Telekom führt das seit langem dazu, dass es für gefährdete Personen keine Unterstützung gibt.

Das Übel reicht von weit her. Seit der Ausgliederung der PTT und der Privatisierung des Unternehmens musste das Personal Senkungen der eigenen Kaufkraft, Postenabbau, Flexibilisierung, Schikanen und Erniedrigungen hinnehmen. Der Angestellte wird dazu angehalten zu schweigen, weil es "noch Unglücklichere als ihn gibt " – und er als Beamter die Garantie auf seinen Arbeitsplatz hat. Ich habe oft gehört: "Wenn du nicht zufrieden bist, kannst du anderswo hingehen. Berufswechsel… " Das hat viele Leute zermürbt und zerstört.

Die fortwährenden Restrukturierungen haben die Männer und Frauen ihres Berufs entfremdet. Neulich wurden technische Arbeiten, durchgeführt von Angestellten der FT an Dalkia, Filiale Véolia (Konkurrent von France Telekom), geliefert. Das Ziel der Direktion war, um jeden Preis Investitionen für die wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Unternehmens zu erlangen. Für die Beschäftigten Zwangsausübung, oft auf Kosten ihrer Gesundheit – und für das Unternehmen die Profite. Das Management kommt sehr oft der Propaganda und der Manipulation gleich.

Ich habe extreme Notfälle gekannt. Aufgrund meines Gewerkschaftsmandats war ich auf einer Sitzung zu Berichten von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten in Paris. Man verlangte von traumatisierten oder verunglückten MitarbeiterInnen Unmögliches. Sie mussten sich – nebst anderem – selbst einen mit ihrer Krankheit zu vereinbarenden Posten suchen. Das Unternehmen war unfähig, seine eigenen Angestellten zu versorgen.

Hilflos angesichts des Stresses der Angestellten haben die ArbeitsmedizinerInnen systematisch unsere Direktionen benachrichtigt. Doch sie wurden ignoriert. Ihre Unabhängigkeit ist übrigens regelmäßig bedroht. Seit sie nicht mit der Doktrin des Managements von France Telekom konform gehen, werden die Tätigkeiten der ArbeitsmedizinerInnen behindert. Angesichts dieser Lage haben viele von ihnen gekündigt.

Im Gefolge eines Selbstmords eines Angestellten am 28. September in Annécy hat der Arbeitsmediziner der Filiale die Intervention eines Psychiaters mit Spezialkenntnissen auf dem Gebiet der von Arbeit verursachten Leidenszustände beantragt. Doch dem Psychiater wurde der Zutritt zum Unternehmen verwehrt.

Gegenwärtig gibt es für das Personal eine kostenlose Hotline. Ein anonymer Fragebogen soll verteilt werden, um die Befindlichkeit des Personals zu erfassen. Gut! Doch es würde genügen, dass die Direktion die jährlichen Berichte der MedizinerInnen liest und die Untersuchungen, die Ende der 1990er über die Abteilungen gemacht wurden und sie hätte viel darüber erfahren, was das Leiden der Beschäftigten in diesem Unternehmen erklärt.

Trotz der langen Selbstmordserie hat Finanzministerin Madame Lagarde offiziell ihr Vertrauen in Didier Lombard bekräftigt. Er musste einen Vertrag für den Fall, dass er das Unternehmen vorzeitig verlässt, unterschreiben. Währenddessen finden zur Ablenkung Pressekonferenzen und Standortbesichtigungen statt.

Mit 55 Jahren habe ich trotz guter Gesundheit entschieden, diese Firma – dank des Rentengesetzes Fillon – mit einer armseligen Pension, v.a. verglichen mit dem vergoldeten Ruhestand, den Didier Lombard zu erwarten hat, zu verlassen. Doch während der 36 Jahre Arbeit bei FT habe ich meine Energie dafür verwendet, um Beschäftigte gegen Vorgesetzte zu verteidigen, die Ausgebeuteten gegen die Ausbeutenden. Ich grüße Sie nicht, Monsieur Lombard. Ich bin nicht Ihr Knecht geworden. Ich bin ein freier Mensch geblieben.

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