Frankreich zeigt: Kämpfen lohnt sich!
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- Erstellt am Samstag, 03. Oktober 2009 14:47
- von Martin Zuba, SPÖ Floridsdorf
Quer durch Europa stellt sich Frage, wie sich die ArbeiterInnen gegen die Folgen der Krise wehren können. In Frankreich haben sie einen eigenen Ansatz entwickelt.
"Bossnapping" ist der Begriff für ein Phänomen, das in Frankreich seit dem Frühling 2009 die Welt ein bisschen gerechter macht: Vor der Kündigung stehende ArbeiterInnen greifen zu unerhört militanten Mitteln um ihre Forderungen durchzusetzen. So wurden ManagerInnen von Sony Frankreich nach einer Nacht Gefangenschaft im Betrieb verhandlungsbereit genug, um pro Entlassenem 45.000 Euro Abfertigung zu zahlen.
Etwas weiter gingen die ArbeiterInnen des Autozulieferers New Fabris, der wegen schlechter Auftragslage und Zahlungsrückständen der Hauptabnehmer Renault und Peugeot-Citroen Insolvenz anmelden musste. Die Belegschaft platzierte explosive Gasflaschen im Werk und drohte, diese zu sprengen, sofern ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Mit 12.000 Euro bar auf die Hand für jedeN MitarbeiterIn, Lohnfortzahlung in Höhe von 95% ein Jahr lang nach der Kündigung und einem Umschulungsprogramm können diese weitgehend als erfüllt gelten.
Natürlich sind die ChefInnen in Frankreich entsetzt darüber, womit ihre Belegschaften offenbar durchkommen. ArbeitgeberInnenverbände warnen vor den möglichen Folgen, wenn jetzt Präzedenzfälle geschaffen werden. Doch dem Staat sind die Hände gebunden. Angesichts von glasklaren Gesetzesverletzungen im Zuge des Klassenkampfs, beschränkt sich Frankreichs Paradeprovokant Sarkozy auf die Feststellung, dass so ein Verhalten "nicht gesund für die Demokratie" sei.
Zur Erinnerung: Als Sarkozy im Winter 2006/2007 die verarmten Jugendlichen in den Banlieues als "Abschaum" bezeichnete, der "mit dem Kärcher gesäubert" werden müsse, löste das in Frankreichs Vorstädten einen monatelangen Flächenbrand von Protesten aus, dem die Polizei hilflos gegenüberstand. Die Entscheidung Sarkozys, die ArbeiterInnen beim Gesetzesbruch gewähren und nicht durch die Polizei niederknüppeln zu lassen, ist in diesem Sinne eine kluge Entscheidung. Immerhin findet eine Mehrheit von 56% der Lohnabhängige militante Kampfmaßnahmen gut, weil sie zum Ziel führen (Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CSA im April). Angesichts dieser heißen Stimmung musste die Regierung sogar auf die Forderungen der ArbeiterInnen eingehen und hat angekündigt, in Zukunft alle industriellen (Schließungs-)Entscheidungen einer "objektiven Prüfung" zu unterziehen. Die Reaktion der Regierung beweist, dass der Staat selbst in Fällen von klarem Gesetzesbruch kaum Chancen hat, gegen kämpfende ArbeiterInnen vorzugehen.
Diese kämpferischen Belegschaften verdienen unsere volle Solidarität. Mit ihren Aktionen strafen sie alle GewerkschafterInnen Lügen, die behaupten, dass angesichts der tristen Wirtschaftslage eben nichts für die Lohnabhängigen herauszuholen sei. Doch gleichzeitig müssen wir sehen, dass ihnen eine weitergehende Perspektive (noch) fehlt. Sie erkämpfen Abfertigungen, verhindern aber keine Entlassungen und Werkschließungen. Soll das gesellschaftliche Kräfteverhältnis grundlegend und dauerhaft geändert werden, muss die ArbeiterInnenbewegung von punktuellen Defensivkämpfen um Abfertigungszahlungen in die Offensive übergehen. Betriebsbesetzungen müssen zum Ziel haben, dass der Betrieb verstaatlicht und unter ArbeiterInnenkontrolle weitergeführt wird. Die Gewerkschaftsbewegung muss von Verschlechterungen bedrohte Belegschaften international vernetzen, Streiks und Großdemonstrationen organisieren, also die Macht des Kapitals durch militante Massenaktionen brechen.