Israelische Armee stürmt "Solidaritätsflotte"

In der Nacht von 30. auf 31. Mai 2010 stürmt die israelische Armee das Hauptschiff der "Solidaritätsflotte", die auf dem Weg nach Gaza war, um Hilfsgüter zu liefern. Bis jetzt gibt es 19 Tote und über 60 Verwundete.

Seit die Hamas 2007 im Gaza-Streifen an die Macht gekommen ist, gilt eine Seeblockade; dementsprechend müssen sämtliche Lieferungen nach Gaza über Israel laufen. Laut dessen Regierung reichen die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel – Menschenrechtsorganisationen hingegen sprechen von einer humanitären Katastrophe und vom größten Gefängnis der Welt. Schon vor dem Machtantritt der Hamas galt Gaza mit seinen 1,5 Millionen BewohnerInnen als das Armenhaus des Nahen Ostens.

Aufgrund der regelmäßigen Grenzabsperrungen durch Israel herrscht eine Arbeitslosigkeit von bis zu 70%, es gibt wenig Wasser, fast keine Kanalisation und auf wenigen Quadratkilometern hausen Tausende von Menschen auf engstem Raum. Diese Tatsachen dürften der Hauptgrund für die Machtübernahme der Hamas sein; sie sind gleichzeitig die politische Bankrotterklärung der Fatah nach 17 Jahren erfolgloser "Friedens"verhandlungen.

Die jüngsten Bombenangriffe der israelischen Armee auf den Gazastreifen vor ca. zwei Jahren verschlimmerten die Situation und machten die Region nahezu dem Erdboden gleich. Sie lieferten zugleich weitere Nahrung für die islamische Rechte, die v.a. mit Sozialprogrammen und Wortradikalität viele PalästinenserInnen für sich gewinnen konnten.

Die sechs Boote der "Friedensflotte" waren mit AktivistInnen aus mehr als 40 Ländern besetzt, die über 10.000 Tonen an Hilfsmitteln nach Gaza bringen wollten – darunter Medikamente, Zement und Unterrichtsmaterialien. Israel hatte wiederholt damit gedroht, die von pro-palästinensischen Gruppen und einem türkischen Menschenrechtsverband gecharterten Schiffe mit Gewalt zu stoppen.

Am 31. Mai wurde die Flotte bzw. deren erstes Schiff von der Armee gekapert. Zum Zeitpunkt der Schriftlegung dieses Textes scheint es, dass 19 Menschen getötet und über 60 verwundet worden sind. Während der israelische Staat von einer Verteidigungsmaßnahme spricht, berichten Menschenrechtsorganisationen und linke Vereinigungen, dass die AktivistInnen teilweise im Schlaf überrascht wurden und das Entern einem "Abschlachten" gleichkam. Die angebliche Bewaffnung der PassagierInnen dürfte ebenfalls eine Mär sein, da diese bewusst nur auf die internationale Beobachtung als Sicherheitsmaßnahme gesetzt haben und stets ihre friedliche Absicht betonten. Israels Außenminister Ehud Barak gibt den AktivistInnen die Schuld am Angriff. "Israel werde am Recht, sich zu verteidigen, festhalten".

Inwieweit sich ein militärisch hochgerüsteter Staat vor MenschenrechtsaktivistInnen verteidigen muss, bleibt offen. Fest steht, dass die israelische Regierung seit Obamas Amtsantritt versucht, Stärke zu zeigen, um sich als der wichtigste Bündnispartner in der Region ins Spiel zu bringen. Die gemäßigten Töne der USA in Richtung Iran missfallen Israel, das um den Verlust der bedingungslosen Unterstützung des US-Imperialismus bangt. Zudem ist die israelische Gesellschaft so zerrissen wie selten zuvor. Faschistoide Gruppen treten offen gegen sekuläre und linke Organisationen auf, ein PolitikerInnenskandal jagt den nächsten (Korruption, Missbrauch, …), die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer und die Mehrheit der Israelis wünscht sich Frieden mit den PalästinenserInnen auch unter Aufgabe von Teilen des "Heiligen Landes". Daher wurde ein gemeinsamer Außenfeind gesucht.

In der Zwischenzeit formiert sich international der Protest, weltweit finden Kundgebungen bzw. Demonstrationen vor israelischen Botschaften und Konsulaten statt. In der Westbank wurde zum Streik aufgerufen; in den meisten israelischen Städten (mit arabischen EinwohnerInnen) kam es zu Demonstrationen; die linken Parteien rufen ebenso zum Streik in Israel auf; in Ankara gab es bereits wütende Proteste vor der israelischen Botschaft. Und wie immer, wenn es um Israel/Palästina geht, mischt sich reaktionärer Pro-Islamismus und Antisemitismus mit dem unbeholfenen Schweigen von großen Teilen einer verunsicherten (deutschsprachigen) Linken.

Der Angriff auf die Flotte und die nach wie vor andauernde Besatzung von Gaza müssen scharf kritisiert werden. Zugleich muss jeder Versuch, die israelischen Massen in ein reaktionäres Eck zu stellen bzw. "JüdInnen" als AggressorInnen zu "entlarven", massiv zurückgewiesen werden, ebenso wie eine angeblich positive Rolle der Hamas. Beide Ideologien haben nichts mit Gleichheit, Freiheit und einer gerechten Welt zu tun.

Jene, die meinen, dass das Volk von Israel eine einzige reaktionäre Masse ist, verstehen gar nichts. Wäre das der Fall, wäre die Zukunft der PalästinenserInnen tatsächlich hoffnungslos. Aber das stimmt nicht. Bei mehr als einer Gelegenheit demonstrierten die Massen in Israel gegen die Brutalität ihrer eigenen ImperialistInnen und solidarisch mit den PalästinenserInnen.

Bei mehr als einer Gelegenheit haben israelische ArbeiterInnen Streiks und Generalstreiks organisiert. Der Klassenkampf existiert in Israel genauso wie in anderen Ländern. Es ist notwendig, ihn zu intensivieren und dadurch den reaktionären ZionistInnen den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Die palästinensische Frage ist Teil des Gesamtproblems, dem sich die Massen quer durch den Nahen Osten gegenüber sehen.

Die einzige reale Perspektive zur Lösung des Problems, ist die Schaffung einer sozialistischen Föderation aller Völker der Region, mit vollständiger Autonomie für die AraberInnen, JüdInnen, KurdInnen und die anderen Völker, welche dieses Land bewohnen. Der Kampf um ein freies und wirklich demokratisches Palästina wird als Teil der internationalen sozialistischen Revolution oder nie gewonnen werden. Unsere volle aktive Solidarität gilt den Opfern des Angriffes, der Bevölkerung im Gazastreifen und der internationale Bewegung für eine sozialistische Zukunft – im Nahen Osten und auf der ganzen Welt!

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