Streik der TabakarbeiterInnen von TEKEL
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- Erstellt am Freitag, 19. Februar 2010 14:47
- von Gerwin Goldstein, Vertrauensmann der IG Metall und Betriebsrat bei Mercedes
Bericht über die Erfahrungen einer Solidaritätsdelegation deutscher GewerkschafterInnen
Seit über 60 Tagen halten in der türkischen Hauptstadt Ankara mehrere Tausend KollegInnen des privatisierten ehemaligen staatlichen Tabakmonopols Tekel einen Teil der Einkaufs- und Fußgängerzone mit Zelten besetzt und protestieren gegen Stellenabbau. Damit protestieren sie gegen die türkische Regierung und Ministerpräsident Recep Erdogan. Die Regierung hat die staatliche Zigarettenindustrie an den Konzern British American Tobacco verkauft und den ArbeiterInnen neben geringen Abfindungen keine Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst angeboten. Da der US-amerikanische Zigarettenkonzern nur neue Beschäftigte einstellen will, werden die Tekel-ArbeiterInnen nach spätestens 11 Monaten (so lange bekommen die KollegInnen einen Teillohnausgleich) ohne Geld und Beschäftigung auf der Straße stehen.
Nach Gesprächen mit mehreren GewerkschaftsfunktionärInnen nahmen wir mit einem eigenen Transparent ("Wer seine Lage erkannt hat, wer sollte den noch aufhalten?" – in Anlehnung an ein Zitat von Bertolt Brecht) an einer Solidaritätskundgebung teil und wurden dort enthusiastisch von den ArbeiterInnen empfangen. In kurzen Solidaritätserklärungen bekundeten wir, warum wir hier sind und dass wir ihren Kampf um ihre Arbeitsplätze und gegen die türkische Regierung unterstützen. Ich persönlich habe in meinen über 35 Jahren Gewerkschaftszugehörigkeit selten so eine emotionale Kundgebung erlebt. Noch nie habe ich so eine entschlossene ArbeiterInnenschaft gesehen, die bereit ist, bis zum Sieg zu kämpfen. Nach 60 Tagen Kampf gegen diese Regierung, die mit Polizeiknüppeln, Wasserwerfern und Tränengas auf die Forderungen bei Demonstrationen antwortete, habe ich den allerhöchsten Respekt vor diesen Menschen.
Nach der Solidaritätskundgebung wurden wir zu den 18 ArbeiterInnen geführt, die sich im Hungerstreik befinden. Es war eine seltsame Atmosphäre. Diese KollegInnen wollen mit dem Einsatz ihres Lebens erreichen, dass sie wieder arbeiten dürfen. Ich werde diesen Blick in den Augen der KollegInnen bestimmt lange nicht vergessen. Der Blick sagte nur eins: Wir brauchen eure Solidarität. Ohne eure Solidarität werden wir diesen Kampf nicht gewinnen. Dies habe ich den KollegInnen versprochen. Alle ArbeiterInnen müssen erfahren, wie das türkische Kapital und seine Regierung mit diesen ArbeiterInnen umgehen. Kurz nach unserem Besuch bei den Hungerstreikenden wurde einer von der Ambulanz aus dem Saal getragen. Er war vor Erschöpfung einfach zusammengebrochen.
Wir konnten dann in zahlreichen Gesprächen in den Zelten immer wieder feststellen, dass alle bereit sind, diesen Kampf weiter zu führen. TürkInnen und KurdInnen, Männer und Frauen, gemeinsam kämpfen diese ArbeiterInnen gegen ihre Entlassung. Somit können nationale und religiöse Unterschiede, verschiedene Parteizugehörigkeiten diese Einigkeit nicht spalten. Die Bemühungen der Herrschenden, die Beschäftigten nach dem Motto "Teile und Herrsche" auseinander zu dividieren, fruchteten nicht.
"Keine Arbeit, kein Brot, kein Frieden", diese Parole hörten wir immer wieder. In Diskussionen mit den Streikenden musste ich feststellen: Diese KollegInnen haben ihre Lage erkannt. Nämlich, dass sie nur auf ihre eigene Kraft vertrauen dürfen und nicht auf FunktionärInnen, die nur ihre eigenen Absichten verfolgen.
Am späten Abend zogen dann ca. 2.500 DemonstrantInnen mit Fackeln durch die riesige Fußgängerzone. Schwerbewaffnete PolizistInnen säumten unseren Weg zur Kundgebung. Uns wurde eine hohe Ehre zuteil, wir durften mit unserem Transparent an die Spitze des Zuges und wir wurden immer wieder von den KollegInnen beklatscht. Jeder wollte das Transparent berühren. Immer wieder wurden Parolen gerufen. Kein Trauerzug, wie die meisten Demos unserer Gewerkschaft, sondern ein Darstellen von Entschlossenheit und Kampfesmut.
Nach der Kundgebung diskutierten wir die halbe Nacht weiter und gegen 2 Uhr 30 Uhr schliefen wir dann im Gewerkschaftshaus auf Matratzen erschöpft, aber mit der Erkenntnis, dass wir hier mit unserer Solidarität einen kleinen Teil zur internationalen Solidarität unter ArbeiterInnen beigetragen haben, ein.
Was nehme ich persönlich für meine Gewerkschaftsarbeit aus Ankara mit? Ganz einfach. Nicht mit Co-Management zwischen Gewerkschaft und Kapital, sondern nur mit Klassenkampf gegen das Kapital und Regierung kann die ArbeiterInnenklasse ihre Situation ändern. Und diese ist nicht viel anders als in Ankare und dem Rest der Türkei. Arbeitslosigkeit und Armut einerseits und Reichtum auf Kosten der arbeitenden Menschen andererseits. Ich habe meine Lage erkannt und werde gegen diese ankämpfen.