QuerHerumBetrachtet: Tsipras goes gaga
- Details
- Erstellt am Mittwoch, 01. Oktober 2014 07:11
- von Axel Magnus, Betriebsratsvorsitzender SDW
Nach Monaten der Geheimverhandlungen war es endlich so weit – die Hoffnung der europäischen Linken, der Führer der griechischen Syriza, Alexis Tsipras, traf Papst Franziskus (und das nur wenige Wochen nach einem mit Argusaugen betrachteten Treffen mit Spitzenvertretern der griechisch-orthodoxen Kirche). Nach dem Gespräch erklärte der bekennende Atheist dann, dass er und der Papst in Bezug auf Banken und Profite der gleichen Ansicht seien.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass von Papst Franziskus in Bezug auf den sozialen Kahlschlag in Griechenland außer Krokodilstränen bisher kaum etwas zu bemerken war. Gleiches gilt auch für seine wohltuenden Worte zur weltweiten Armut und zahlreichen anderen großen Problemen, die er als erster Papst seit langem offen anspricht – das sei ihm zugestanden. Doch ändern wird sich daran nur durch Taten etwas. Und die missen wir auch bei diesem Papst bisher. Woher also die Schlussfolgerung von Tsipras stammt, dass der Dialog zwischen europäischer Linker und katholischer Kirche vertieft werden müsse, bleibt zumindest dem Autor dieser Zeilen schleierhaft.
Auch wenn Syriza aktuell nach wie vor bei den Meinungsumfragen für die nächsten griechischen Parlamentswahlen führt und es durchaus wahrscheinlich ist, dass sie diese auch gewinnt, so zeigt diese seltsamen Koalition doch mehr als deutlich, dass diese Partei den griechischen Massen keinen dauerhaften Ausweg aus dem nach wie vor andauernden sozialen Kahlschlag im Lande weisen kann. Dazu würde es 1. andere politischen PartnerInnen brauchen als die nach wie vor mit den Herrschenden verbandelte Kirchenbürokratie – noch dazu in Bezug auf ein Land, in welchem die katholische Kirche aufgrund der orthodoxen Tradition praktisch keine Rolle spielt. Vor allem aber bräuchte es 2. politische Klarheit. War es in den letzten Jahren schon Usus, dass Syriza zu relevanten Fragen wie etwa der Zugehörigkeit des Landes zur EU und zum Euro, aber auch der noch wesentlich wichtigeren Frage der Streichung der Staatsschulden innerhalb kürzester Zeit die Positionen gewechselt hat wie ein Fähnchen im Wind, so wird das sicher nicht besser werden, wenn zur ohnedies enormen ideologischen Breite in der Partei auch noch pseudoreligiöse Versatzstücke dazukommen.
Eigentlich ist Syriza bis heute keine Partei im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern ein – unbestreitbar sehr erfolgreiches – Sammelsurium verschiedenster politischer Strömungen. Die Mehrheitspositionen zu politischen Fragen können daher innerhalb kürzester Zeit wechseln. Das spricht durchaus für eine sehr demokratische Kultur innerhalb der Partei. Ob es aber der griechischen ArbeiterInnenklasse die politische Führung gibt, nach welcher diese mehr als laut schreit, darf bezweifelt werden.
Da wären vielmehr politische Klarheit und eine gewisse Kontinuität in den Positionen ein Gebot der Stunde. Etwa in der Frage, ob es für die Menschen in Griechenland ein Zukunft auf Basis des Kapitalismus gibt, ist zunehmend in den Hintergrund gerückt. Trotzdem ist die Partei nach wie vor sehr erfolgreich. Doch das darf uns nicht über die Realitäten hinwegtäuschen. Die Ursache dafür ist nämlich nicht so sehr in der eigenen Stärke zu suchen, sondern vielmehr in der absoluten Diskreditierung der traditionellen politischen Parteien im Lande bis hin zur KKE (der kommunistischen Partei), die sich nach der letzten Wahl weigerte ein linkes Bündnis zu unterstützen, welches die Konservativen von der Macht hätte fernhalten und damit das soziale Kettensägenmassaker zumindest hätte einschränken können. Das trifft aber auch auf neue politische Formationen wie DIMAR zu, welche sich gleich nach der Wahl der Austeritätspolitik untergeordnet haben und in eine Regierung des Sozialabbaus eingetreten sind. Sie ist damit in den Augen der Massen genauso unwählbar geworden wie die Sozialdemokratie, welche seit Jahren eine führende Rolle beim Sozialabbau spielt und dadurch zur Kleinstpartei geworden ist.
Und dann gibt es da noch Tsipras selbst. Unbestreitbar hat der Mann Charisma, er kann reden, die Menschen begeistern und mitreißen. Doch alle diese Eigenschaften können ebenso für eine falsche wie für eine richtige Politik eingesetzt werden. Seit der letzten Parlamentswahl ist bei Tsipras eine durchgängige Tendenz zur Mäßigung festzustellen, deren Hintergrund einzig darin besteht, dass er Syriza regierungsfähig, „respektabel“ machen will. Dass damit den Bedürfnissen der Massen nicht gedient sein wird, liegt auf der Hand.
In Griechenland wie in vielen anderen Ländern der EU besteht heute das Hauptproblem der arbeitenden Menschen darin, dass sie keine echte politischen Vertretung mehr haben. Gerade heute hat die sozialdemokratisch geführte französische Regierung ein neues Sparpaket im Gesamtvolumen von 21 Milliarden Euro angekündigt. Der Großteil dieser Einsparungen soll im Sozialbereich erfolgen. Und das soll sozialdemokratische Politik sein? Wenn den arbeitenden Massen nicht bald eine glaubwürdige politische Alternative gegeben wird, dürfen wir uns nicht wundern, wenn diese in ihrer verzweifelten Suche nach einem Ausweg aus ihrer persönlichen Krise vermehrt den RattenfängerInnen von AfD, FN, FPÖ, Goldener Morgenröte, M5S usw. ihre Stimme geben. Die Stärkung der Rechten, die wir alle zurecht befürchten und bekämpfen ist in Wirklichkeit nur die Folge des Versagens der Linken.
Eine glaubwürdige Alternative aber bedeutet ohne Wenn und Aber für die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung einzutreten, ohne Rücksicht auf den Standort, ohne Rücksicht auf den Profit des heimischen Kapitals, ohne sog. sozialen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit. Eine solche politische Alternative könnte den Ausweg aus der derzeitigen sozialen Krise der breiten Massen in Europa und der ganzen Welt weisen.
Alexis Tsipras, einst Hoffnungsträger einer Entwicklung in diese Richtung, ist vom Weg dahin mehr als deutlich abgekommen. Wenn er den Kurs nicht bald korrigiert wird er wie so viele andere einstige Lichtgestalten einer neuen Linken zu einer Randnotiz der Geschichte verkommen.