Bilanz der Kollektivvertragsverhandlungen aus Sicht der Beschäftigten: Nicht genügend - setzen!
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- Erstellt am Mittwoch, 28. Januar 2009 14:48
- von Michael Csabai, Landesvorstandsmitglied SJ Oberösterreich
Die wichtigsten Kollektivvertragsverhandlungen 2008 wurden geführt, ohne nennenswerte Lohnzuwächse für die Lohnabhängigen zur Folge zu haben. Die Ergebnisse liegen knapp über oder knapp unter der Inflationsgrenze zum Zeitpunkt der Verhandlungen.
Gezeigt hat die Kollektivvertragsrunde aber ein schon lange nicht dagewesenes Potenzial, den Forderungen der Lohnabhängigen gewerkschaftlichen Nachdruck zu verleihen, andererseits aber eine auch aus Kapitalsicht in so schwierigen Zeiten wie diesen ach so ,verantwortungsbewusste' Gewerkschaftsführung.
Italien, Deutschland, Ungarn, ... Österreich?
Dieser Widerspruch wird sich über kurz oder lang in Form von heftigen Lohnkämpfen auflösen müssen, denn die materielle Lage der Lohnabhängigen verschlechtert sich zusehends. Betrugen die Nettoreallöhne 1991 im Durchschnitt noch 1.520 Euro, so lag dieser Wert 2008 nur mehr bei 1.505 Euro. Allein die sogenannte "kalte Progression" hat seit 2005 zu Mehrbelastungen in der Höhe von 1,9 Mrd. Euro für die Beschäftigten geführt, die durch die geplante Steuerreform gerade einmal ausgeglichen werden. In anderen europäischen Ländern ist die materielle Lage der Lohnabhängigen nicht viel anders. Drückt sich dies in manchen Ländern aber in teilweise sehr militant geführten Arbeitskämpfen aus (z.B. jener in der Schweizer Bauwirtschaft 2008), so hat es die österreichische Gewerkschaftsführung in den vergangenen Jahren geschafft, die Dampfventile zu verschweißen und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen konsequent zu verhindern. Gehörte es in Deutschland in den vergangenen Jahren zum "guten Ton", im Zuge von Tarifverhandlungen wenigstens Warnstreiks zu organisieren, so wird in Österreich oft bestenfalls eine Aussendung über das Verhandlungsergebnis an die BetriebsrätInnen geschickt.
In den vergangenen 12 Monaten fanden in unzähligen europäischen Ländern wichtige Lohnauseinandersetzungen statt. So sahen wir in Ungarn eine Reihe von Streiks bei der Eisenbahngesellschaft, am Budapester Flughafen und in anderen Branchen. In Griechenland erlebten wir kürzlich den zehnten Generalstreik innerhalb von 5 Jahren, dessen Ziel unter anderem die Erhöhung der Mindestlöhne von derzeit monatlich 701 auf 1.400 Euro war. Mitte des vorigen Jahres wurde Belgien von einer Reihe wilder Streiks heimgesucht, und im Frühling 2008 kam es in Dänemark zum größten Streik aller Zeiten im öffentlichen Dienst.
Während also in ganz Europa der Lohnstreik zum Alltagsgeschäft der Gewerkschaften gehört, scheint sich die Führung des ÖGB und der Fachgewerkschaften mit ihrer Politik in eine Sackgasse hineinmanövriert zu haben.
Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will!
Diese Politik fußt auf dem Vorurteil, dass die Lohnabhängigen ihre gemeinsamen Interessen nicht erkennen könnten, was zu dem Schluss führt, dass es deswegen auch unmöglich sei, diese Interessen gebündelt durch Streikaktionen zum Ausdruck zu bringen. Es ist nicht schwer zu erahnen, was die Konsequenz aus diesem Vorurteil ist; denn wenn sich die ArbeiterInnenbewegung ihrer Interessen und somit ihrer Aufgaben nicht bewusst ist, muss eine besondere Formation damit betraut werden, dieser Rolle gerecht zu werden.
Genau das kommt in Sätzen wie "Das haben wir für dich erreicht" oder "Wir kämpfen für dich" zum Ausdruck. Dieses angeblich mangelnde Bewusstsein auf Seiten der Lohnabhängigen soll durch die vollkommen untaugliche StellvertreterInnenpolitik des Apparates kompensiert werden. Aber letztlich ist nicht das mangelnde Vertrauen der Gewerkschaftsführung in die ArbeiterInnenbewegung ausschlaggebend für die StellvertreterInnenpolitik, die sie betreibt, sondern vielmehr die staatstragende Rolle, welche sie zu spielen versucht. Denn angesichts der rückläufigen Einkommensentwicklung der vergangenen Jahre, des Preisanstiegs bei Gütern des täglichen Bedarfs sowie der ersten Ausläufer eines ökonomischen Tiefdruckgebietes, aber auch auf Grund der immensen Erhöhung des Arbeitsdrucks selbst in den vergangenen "Boomjahren", könnte eine Streikbewegung eine unkontrollierbare Dynamik entwickeln und mehr Druck erzeugen als den Gewerkschaftsspitzen beliebte. Denn eine Streikbewegung birgt immer die Gefahr, dass vom ursprünglich formulierten Ziel der GewerkschaftsführerInnen und deren vorgegebenen Kampfmethoden abgewichen wird, die Vorgaben des Apparates als überholt erscheinen, also die StellvertreterInnenpolitik der Führung gegenüber einer Selbstorganisierung der Lohnabhängigen auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene an Boden verliert.
Der Parlamentarismus des ÖGB
So gehen die ÖGB-Spitzen einem betrieblichen Konflikt konsequent aus dem Weg und vertrauen die 'Umverteilung' des gesellschaftlichen Reichtums der Politik an, wo diese dann in parlamentarischen, d.h. geregelten Bahnen, fernab einer Auseinandersetzung im Betrieb, stattfinden kann. Doch die Lohnsteuerreform etwa, auf die sich die Große Koalition kürzlich verständigt hat, ist nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein, wodurch den Lohnabhängigen ein Teil dessen zurückgegeben wird, was ihnen in den vergangenen Jahren z.B. durch die kalte Progression ohnehin weggenommen worden war.
Die momentane Wirtschaftkrise macht Zugeständnisse gegenüber den Lohnabhängigen sowohl auf politischer wie auch auf betrieblicher Ebene noch unmöglicher, solange diese nicht durch Mobilisierungen bis hin zu Streiks erzwungen werden. So wird die Sozialpartnerschaft (neu) zum wichtigsten Anhängsel der Großen Koalition und die ÖGB-Spitze zum fünften Rad am Wagen des österreichischen Kapitals. Foglar&Co. wirken wie eine Betondecke auf der ArbeiterInnenbewegung, indem sie ihren Beitrag dazu leisten, dass sich die Wirtschaft auf Kosten der Lohnabhängigen und Präkarisierten auskuriert.
Die ÖGB-Führung und die österreichische ArbeiterInnenklasse
Je mehr das hartnäckige Stillhalten der ÖGB-Führung an der betrieblichen Front mit der Notwendigkeit der Lohnabhängigen, für höhere Löhne und den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu kämpfen, kollidiert, desto mehr Risse wird diese Betondecke bekommen. Je länger sie sich dem betrieblichen Kampf verweigert, desto mehr BetriebsrätInnen und kämpferische KollegInnen werden gezwungen sein, selbst die Initiative zu ergreifen. Die KollegInnen sind heute schon zum Kampf bereit, wie es sich z.B. an der Konferenz von 2.500 BetriebsrätInnen der Metallindustrie in St. Pölten oder den Mobilisierungen in der IT-Branche im Zuge der letzten Kollektivvertragsrunde gezeigt hat.
Doch die ÖGB-Führung ließ diese Chance ungenutzt, und der Kampfeswille war schnell verpufft. Hätten die MetallerInnen ihre bereits vorbereiteten über 700 Betriebsversammlungen durchgezogen oder gar zu weitergehenden Maßnahmen gegriffen, wäre der Abschluss in dieser Branche - mit seiner üblichen Vorbildwirkung auf alle anderen Bereiche - mit Sicherheit deutlich höher ausgefallen. Gleichzeitig zeigt sich daran, dass sich die Methoden, zu welchen die KollegInnen selbst greifen, unweigerlich von jenen der Gewerkschaftsspitzen unterscheiden. So würden regionale und überregionale BetriebsrätInnenkonferenzen in den Branchen die Verhandlungsziele beschließen. Wollen wir unsere Arbeitsbedingungen vor weiteren Verschlechterungen schützen, müssen wir aber noch einen Schritt weiter gehen. Die Gewerkschaftsmitglieder müssen in Urabstimmungen nicht nur über die adäquaten Mittel, mit denen sie ihre Forderungen durchsetzen können, sondern in demokratischen Abstimmungen auch über das Verhandlungsergebnis entscheiden. Bei allen Beriebsversammlungen, BetriebsrätInnenkonferenzen und sonstigen Formen von Gewerkschaftsversammlungen muss darüber diskutiert werden, was die notwendigen nächsten Schritte in den Auseinandersetzungen sein könnten.
Erst wenn es gelingt, den KapitalvertreterInnen deutlich zu machen, dass sie es nicht nur mit einigen FunktionärInnen zu tun haben, sondern mit ganzen Belegschaften, werden sie die österreichische ArbeiterInnenklasse wieder als ernsthafte Gegnerin betrachten. Erst dann können wir - schon bei den bevorstehehenden Kollektivvertragskonflikten (z.B. in der chemischen Industrie) - wieder damit beginnen, unsere Interessen durchzusetzen.