Umdenken – Gegenlenken: Eine Kritik zum Leitantrag an die GPA-djp Regionalforen

Der Leitantrag "Umdenken – Gegenlenken" bringt die aktuelle Situation in weiten Teilen der österreichischen Gewerkschaftsbewegung sehr gut zum Ausdruck. In einzelnen Aspekten und auch in der Sprache des Antrages spiegeln sich Entwicklungen in die richtige Richtung wider. Gleichzeitig zeigen andere Passagen eindeutig, dass ein Bruch mit den gewerkschaftlichen Traditionen der letzten Jahrzehnte noch nicht vollkommen vollzogen wurde, ja auch noch nicht vollzogen werden konnte; zu sehr sind die Gewerkschaften nach wie vor in die Strukturen des bürgerlichen Staats- und Herrschaftsapparates eingebunden; zu sehr muss die Gewerkschaftsbewegung nach der Meinung zahlreicher entscheidender SpitzenfunktionärInnen nach wie vor ihrer Rolle nachkommen, Lohnabhängige, die für ihre Arbeits- und Lebensbedingungen kämpfen (wollen), unter Kontrolle zu halten.

Gerade dieser Widerspruch zeigt aber auch deutlich, was alles in den Gewerkschaften in Bewegung gekommen ist. Manches davon war noch vor wenigen Jahren unvorstellbar. Daran gilt es positiv anzuknüpfen und diese Entwicklungen weiter voran zu treiben. So kann und wird es uns Lohnabhängigen auch gelingen, die Gewerkschaften wieder zu dem Kampfinstrument zu machen, dass wir zu unserer Verteidigung brauchen.

Krise

Bereits in den ersten Sätzen des Dokumentes zeigt sich der beschriebene Widerspruch hervorragend. "Das Debakel des neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells zeigt sich im verheerenden Ausmaß der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise. Es muss nun alles unternommen werden, damit diese keine lang andauernde soziale Krise nach sich zieht. Die GPA-djp hat seit langem auf das Krisenpotenzial hingewiesen, das sich auf unregulierten nicht effektiv beaufsichtigten Märkten durch Spekulation ergeben kann. Das ungehemmte Streben nach schnellen Gewinnen hat nun die langfristigen Wachstumsaussichten auf Jahre eingetrübt. Die Gewerkschaften stehen vor der fordernden Aufgabe zu verhindern, dass die ArbeitnehmerInnen als Opfer mehrfach für die Krise zahlen, währen die ‚Täter’ öffentlich gerettet werden."(S. 1f)

In dieser Formulierung sehen wir ein richtige Kritik an der gegenwärtigen Gesellschaft und ihrer Wirtschaftsordnung sowie die Forderung danach, dass nicht wir Lohnabhängigen die Kosten der Krise zahlen oder durch eine soziale Krise zusätzlich dafür büßen. Gleichzeitig wird das Kind nicht beim Namen genannt. Was so nett als neoliberal umschrieben wird, ist in Wirklichkeit noch immer schlicht und einfach Kapitalismus. Dieser als gesellschaftliches System hat immer schon periodisch wiederkehrende Krisen hervorgebracht und wird dies auch in Zukunft tun. Die Ursache aller Krisen liegt nämlich in seinem inneren Wesen, dem Streben nach Profit und der daraus resultierenden Konkurrenz unterschiedlicher Kapitalien, begraben. Insofern gehen die Formulierungen "unregulierte ... Märkte" und "ungehemmtes Streben nach ... Gewinnen" an der Wurzel des Problems vorbei. Das wahre Problem ist eben nicht die "Spekulation", welche die Krise unbestreitbar verschärft hat, sondern der Gewinn als solcher, der Markt als solcher. Es sind eben nicht die "Täter", welche die Krise zu verantworten haben – diese sind austauschbar, weil das System des Kapitalismus die Krise bereits in sich trägt wie eine Schlange den Giftzahn.

Wir sehen hier also eine Kritik, die an den richtigen Ausgangspunkten beginnt, sich allerdings davor scheut, weit genug zu gehen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Keine Reformen dieser Welt werden künftige Krisen verhindern können. Egal wie wenig spekuliert wird, wie reguliert Märkte und ManagerInnen auch immer sein mögen – die nächste Krise kommt bestimmt. Eine Gewerkschaft, die die Interessen der arbeitenden Menschen tatsächlich ernsthaft vertreten will, müsste also die an und für sich logische Schlussfolgerung ziehen und das gegenwärtige "Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell" grundsätzlich in Frage stellen, also dafür eintreten, den Kapitalismus auf dem Misthaufen der Geschichte zu entsorgen.

Arbeitsbedingungen

Auch in einem zweiten Kernbereich der Gewerkschaftsarbeit zeigt sich ein ähnlicher Widerspruch. So wird zu Recht darauf hingewiesen, dass dort, wo die Unternehmen "kein Entgegenkommen"(S. 2) signalisieren, die Gewerkschaften auch den Mut haben müssen, "ihren Anliegen durch Konflikte zum Durchbruch zu verhelfen – das heißt, außerhalb des Verhandlungssaals und wenn notwendig auf der Straße"(a.a.O.). Tatsächlich ist die GPA-djp in den letzten Jahren bei Kollektivvertragskonflikten zunehmend auf die Straße gegangen, ob im IT-Bereich, bei den DruckerInnen, im Handel oder im Sozialbereich. Bei den meisten dieser Beispiele hat dieser Strategiewechsel wohl zu besseren Ergebnissen geführt als sie sonst möglich gewesen wären.

Immer wieder aber wurden die Konflikte zu früh abgebrochen. Im Sozialbereich etwa wären die Beschäftigten zu einer Verschärfung des Kampfes bereit gewesen – und dann wären sicherlich noch viel bessere Ergebnisse möglich gewesen. Bei den DruckerInnen andererseits wurde der Konflikt zu früh abgeblasen und so der älteste und beste Kollektivvertrag des Landes zu Grabe getragen. Wir sehen also auch hier, dass die Gewerkschaften sich unter dem Druck sich verändernder objektiver Gegebenheiten zu wandeln beginnen, ihre Vorgehensweise ändern, aber tatsächlich noch nicht bereit sind, weit genug zu gehen. Im konkreten Fall würde das erfordern, im Leitantrag klar und eindeutig zu formulieren, dass wir unsere Forderungen in Zukunft ohne Wenn und aber durchsetzen werden, mit Kämpfen, die alle erforderlichen Mittel einschließen.

Zu diesem Schritt ist aber die Gewerkschaftsspitze noch nicht bereit. Das zeigt sich auch an der Schönfärberei im Bereich der Kollektivvertragspolitik, wo dargelegt wird, dass es gelungen sei, die Interessen von uns Beschäftigten zu einem großen Teil durchzusetzen. Wer sich die Ergebnisse der letzten Kollektivvertragsverhandlungen ansieht, wird schnell sehen, dass nichts falscher sein könnte. Und alle KollegInnen, die in den letzten Jahren kontinuierliche Lohneinbußen und permanente Arbeitszeitflexibilisierungen hinnehmen mussten, könnten selbst ein Lied davon singen.

Uns darf auch nicht verwundern, wenn der "Kollektivvertrag als wichtigstes Instrument der Gewerkschaften zur Interessendurchsetzung"(S. 3) bezeichnet wird. Allen von uns ist klar, dass Verträge – und nichts anderes sind auch Kollektivverträge – selbst noch gar nichts durchsetzen. Sie sind das verschriftlichte Ergebnis dessen, was durchgesetzt wurde. Aber zu sagen, dass der Arbeitskampf das einzige Instrument zur Durchsetzung unserer Interessen wäre, liegt in Anbetracht von Jahrzehnten des sozialpartnerschaftlichen Ausverkaufs unserer Interessen noch außerhalb der Denkmöglichkeiten der meisten SpitzengewerkschafterInnen. Dazu bräuchte es zuerst einen Bruch mit der Logik der Sozialpartnerschaft, zu dem diese KollegInnen noch nicht bereit sind.

Frage der Methode

Folglich darf es uns auch nicht weiter verwundern, dass das Standortdenken (S. 14) in diesem Dokument nach wie vor fröhliche Urständ feiert. So wird positiv auf die "Wettbewerbsfähigkeit"(S. 16) unserer Volkswirtschaft Bezug genommen. Doch wem bringt diese tatsächlich etwas – uns Lohnabhängigen oder dem Kapital? Steigen durch mehr Wettbewerbsfähigkeit unsere Löhne oder ihre Gewinne? Die radikale Umverteilung von Lohn- zu Gewinneinkommen in den letzten Jahrzehnten spricht hier eine deutliche Sprache.

Die selbe Logik zeigt sich leider auch in den Passagen zur Immigration wieder, welche nach wie vor eine Spaltung in In- und AusländerInnen aufrechterhalten, obwohl die GPA-djp in diesem Bereich – insbes. mit der Interessengemeinschaft work@migration – eigentlich eine positive Tradition aufzuweisen hat, indem bestehende Probleme bei der Arbeitsmigration zumindest bewusst aufgegriffen werden. Formulierungen wie "Interessen ... des Aufnahmenlandes, seiner Wirtschaft und seiner Bevölkerung"(S. 17) werden aber im Gegensatz dazu keinen positiven Beitrag zur Überwindung der genannten Spaltung leisten und somit die KollegInnen, welche in anderen Ländern geboren wurden, weiterhin zu Lohnabhängigen zweiter Klasse degradieren.

Auch im Bereich der Arbeitszeitpolitik müssen wir leider einen Rückschritt erkennen. So findet sich im Leitantrag nirgendwo die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche, welche schon seit Jahrzehnten die offizielle Position des ÖGB – und mittlerweile eigentlich längst überholt – ist. Zusätzlich wird in der entsprechenden Formulierung auch erstmals auf den vollen Lohnausgleich verzichtet, so dass Lohneinbußen möglich werden. Gleichzeitig wird auch die wichtige Forderung nach einem vollen Personalausgleich nicht erhoben, so dass es den Unternehmen möglich wird, die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze zu verhindern, indem zum Ausgleich einfach der Arbeitsdruck weiter erhöht werden kann, wie es z.B. in Frankreich im Rahmen der Einführung der 35-Stunden-Woche der Fall war.

In der Folge darf es uns auch nicht wundern, dass die Forderung nach der Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70% des letzten Einkommens zwar in die richtige Richtung geht, aber weit hinter dem zurück bleibt, was die arbeitslosen KollegInnen wirklich brauchen. Selbiges gilt auch für die Forderungen zu einer Umverteilung der Steuerlast zwischen Unternehmen und Lohnabhängigen. Überall stimmt die Richtung, aber das Ziel wird zu nieder angesetzt. Hier fehlt schlicht und einfach der Mut, offen den Konflikt mit dem Kapital einzugehen. V.a. aber fehlt der Mut, mit der eigenen Tradition zu brechen, indem Konflikt statt Konsens als Devise aufgestellt wird.

Nichtsdestotrotz: Im Gegensatz zum Vorsitzenden der SPÖ, welcher einzig Kurs halten als Devise ausgibt, zeigt die GPA-djp mit diesem Dokument, dass sie bereit ist, ihren bisherigen Kurs kritisch zu hinterfragen. Diese Ansätze gilt es, auch wenn sie oft nicht weit genug gehen, zu unkonkret sind oder die erforderlichen Kampfmaßnahmen zu ihrer Umsetzung vermissen lassen, positiv zu unterstützen, indem wir die Diskussion darüber weiter vorantreiben, gleichzeitig aber immer wieder betonen, dass jede einzelne dieser Forderungen nur umgesetzt werden kann, wenn die GPA-djp wieder zu einer Kampforganisation wird, in der die gesamte Basis alle relevanten Fragen demokratisch entscheidet.

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