Nach dem Rücktritt von Verzetnitsch – welchen ÖGB brauchen wir?

Der Rücktritt von Fritz Verzetnitsch aus der Funktion des ÖGB-Präsidenten in Folge des BAWAG-Skandals kommt einem politischen Erdbeben gleich. Ein halbes Jahr vor den Nationalratswahlen werden die Karten neu gemischt. Der ÖGB und mit ihm die SPÖ sind plötzlich schwer in der Defensive. Wie kann ein Ausweg aus dieser Krise aussehen?

Fritz Verzetntisch stand seit 1987 an der Spitze des ÖGB. Als Anton Benya, das Urgestein der Sozialpartnerschaft, damals abtrat, wurde Verzetnitsch als Kompromisskandidat auf den Schild des ÖGB-Präsidenten gehoben. Seine Präsidentschaft ist gekennzeichnet vom zusehends schwindendem Einfluss der Gewerkschaftsbewegung. Die 1990er Jahre werden ganz und gar von einem immer offensiveren bürgerlichen Lager dominiert. Die SPÖ, für die Verzetnitsch als Abgeordneter bis zuletzt im Nationalrat saß, wurde von einer offen bürgerlichen Führung dominiert. In den Jahren der Großen Koalition verkam die Sozialdemokratie zum Krisenverwalter, der sich politisch kaum von den traditionellen bürgerlichen Parteien unterschied. Verzetnitsch hatte in diesen für die ArbeiterInnenbewegung sehr schwierigen Jahren eine bedeutende Rolle. Er sollte garantieren, dass der Unmut gegenüber dieser Politik der neoliberalen Gegenreformen in ruhigen Bahnen gehalten wird. Der ÖGB ließ sich in den 1990ern vor alle Projekte des bürgerlichen Lagers spannen: den EU-Beitritt, Kürzungen im Sozialstaat, eine restriktive Ausländerpolitik, Privatisierungen usw.

Die Vertretung der Interessen der ArbeitnehmerInnen wurde angesichts dieser „höheren Ziele“ im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen Standorts systematisch hintangestellt. Als 1996 mit der angedrohten Schließung des Reifenwerks Semperit auch in Österreich die „Globalisierungsdebatte“ konkrete Formen annahm, ließ Verzetnitsch die kampfbereite Semperit-Belegschaft im Regen stehen.

Verzetnitsch bekleidete jahrelang auch die Funktion des Präsidenten des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). Unter seiner Führung blieb dieser jedoch ein zahnloser Tiger. Zwar kam es immer wieder zu Arbeitskämpfen von internationaler Dimension (UPS, Alcatel, Hafenarbeiter,...), die eine wirkliche Internationalisierung der europäischen ArbeiterInnenbewegung auf Grundlage eines klassenkämpferischen Programms möglich gemacht hätten, seitens des EGB wurden diese Ansätze aber nie aktiv unterstützt. Verzetnitsch war auch hier ein extremes Hindernis. Sein Ziel war es vielmehr auf europäischer Ebene eine Sozialpartnerschaft nach dem Modell Österreichs mit aufzubauen. Dazu fehlten ihm aber die „Partner“. Das EU-Kapital setzt lieber auf direktes Lobbying bei den EU-Institutionen und sieht keinerlei Notwendigkeit einen EGB, der ohnedies nur auf dem Papier zu existieren scheint, einzubinden.

Ansonsten stand Verzetnitsch aufgrund seines Penthouses in nobler Lage in der Wiener Innenstadt immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Der ehemalige Lehrling und Metallarbeiter hatte sich offensichtlich auch in seinem ganzen Lebensstil von seiner Basis entfremdet.

Die schwarz-blaue Wende

Als im Jahr 2000 ÖVP und FPÖ die Regierung bildeten und die Sozialdemokratie auf die Oppositionsbank verbannt wurde, begann auch für den ÖGB ein neues Kapitel. „Speed kills“ lautete das Motto der bürgerlichen Strategen. Das Ende der Sozialpartnerschaft schien gekommen. Die Bürgerlichen stellten ihre Macht unter Beweis und fuhren über die Gewerkschaften drüber. Der ÖGB wurde ab 2000 systematisch von seinen Einflussmöglichkeiten auf die Politik weggedrängt.

Wurden die Gewerkschaften unter der Großen Koalition aktiv in die Umsetzung der neoliberalen Offensive und die Verteidigung des Standorts eingebunden, so zielten die Bürgerlichen nun auf das Brechen der Gewerkschaftsmacht. Neben Sozialabbau und Privatisierungen lancierte die Regierung 2001 mit der Reorganisierung der Sozialversicherungen einen Frontalangriff auf die sozialdemokratisch dominierte Gewerkschaftsbewegung. Hans Sallmutter (GPA) wurde von Schwarz-Blau von der Spitze der Sozialversicherung beseitigt und durch einen regierungsfreundlichen Nobody ersetzt. Der ÖGB mobilisierte zu einer Großdemo nach Wien, wie so oft nach der Wende blieb es aber bei symbolischem Protest. Das „Wir kommen wieder!“ von Anton Benya bei der Abschlusskundgebung blieb eine leere Versprechung.

In der Gewerkschaft mehren sich aber angesichts dieser Attacken der Regierung die Stimmen, die eine kämpferischere Gewerkschaft einfordern. Viele verstehen, dass die Sozialpartnerschaft von den Bürgerlichen begraben wurde und dass sich die Gewerkschaft auf diese neuen Umstände einstellen muss.

Fritz Verzetnitsch ist in dieser Phase ein Hindernis auf dem Weg zur Veränderung der Gewerkschaften. Er beharrt auf einem sozialpartnerschaftlichem Kurs und greift nach jedem Strohhalm. Zu einer Zeit, wo die Lohnabhängigen ständig unter Beschuss sind, tollt er sogar bei einem gemeinsamen Ausflug mit den Regierungsspitzen am Arlberg demonstrativ mit Schüssel & Co. im Schnee herum und macht auf Schmusekurs. Christoph Leitl, der Chef der Wirtschaftskammer und des ÖVP-Wirtschafsbundes, lobt Verzetnitsch dementsprechend noch mal zu seinem Abschied: „Wir haben in einer turbulenten Zeit viel weitergebracht. Ich zolle Verzetnitsch Respekt und sage Dankeschön dafür, was wir gemeinsam bewegt haben. Unser vertrauensvolles Verhältnis ist ja bekannt.“ (Interview in DIE PRESSE, 28.3.2006)

Im Jahr 2003 bringt die Regierung mit ihren Plänen zu einer weiteren Pensionsreform das Fass tatsächlich zum Überlaufen. In den Betrieben entsteht ein derartiger Druck, dass die ÖGB-Spitze handeln muss. Gegen diese massiven Angriffe auf das Pensionsrecht startet der ÖGB eine Großmobilisierung. Es kommt zu flächendeckenden Streiks und Demonstrationen. Bei Sturm, Dauerregen und Hagel marschieren im Mai 2003 rund 200.000 GewerkschafterInnen in Wien auf. Verzetnitsch steht plötzlich an der Spitze einer gewerkschaftlichen Protestbewegung.

Verzetnitsch, an dessen Sessel gewerkschaftsintern bereits kräftig gesägt wurde, ist nun wieder der unumstrittene Mann an der Spitze des ÖGB. Dieses neu gewonnene Vertrauen nutzt er jedoch umgehend um die Streikbewegung wieder in ruhigere Kanäle zu führen und abzudrehen. Das „alternative“ Pensionsmodell der ÖGB-Führung akzeptiert vollends die Logik der Regierung, wonach wir länger arbeiten und weniger Pension bekommen sollen. Im Endeffekt haben die größten Streiks seit 1950 in diesem Land in einer Niederlage geendet. Dies gilt auch für den Streik der Eisenbahner ein halbes Jahr später gegen die Zerschlagung der ÖBB. Auch in diesem Fall unternimmt Verzetnitsch alles, um den Streik noch rechtzeitig abzuwürgen bevor er seine volle Wirkung entfalten und die Regierung in die Knie zwingen kann.

Bei kleineren Arbeitskämpfen (z.B. bei der AUA) spielt er die gleiche Rolle. Hand in Hand mit Leitl versucht er zu beweisen, dass die Sozialpartnerschaft doch noch existiert. Und immer fällt er damit den Lohnabhängigen in den Rücken. Fritz Verzetntisch wird nach Franz Olah als der größte Streikbrecher der österreichischen Nachkriegsgeschichte eingehen.

Aufgrund dieser Leistungen für die Bürgerlichen wurde Verzetnitsch von den Massenmedien immer wieder ein gutes Zeugnis ausgestellt. In der jüngsten Vergangenheit galt er als wichtiger Architekt einer zukünftigen Koalition zwischen ÖVP und SPÖ. Der überzeugte Großkoalitionär wurde sogar als möglicher SP-Vizekanzler gehandelt.

Der BAWAG-Skandal

Doch es kam anders. Verzetnitsch stolperte völlig überraschend über den BAWAG-Skandal. Die im Eigentum des ÖGB stehende BAWAG machte jahrelang Spekulationsgeschäfte und versuchte im Rennen der „Heuschrecken“-Kapitalisten ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Verzetnitsch und ÖGB-Finanzreferent Weninger haben von diesen Geschäften gewusst und sie gedeckt. Als die BAWAG mit gewaltigen Verlusten aufgrund dieser Spekulationsgeschäfte ins Trubeln geriet, sprang Verzetnitsch helfend ein und stellte den in einer Privatstiftung zwischengebuchten Streikfonds des ÖGB als Sicherstellung zur Verfügung. Diese Entscheidung trafen Verzetnitsch & Co. im Alleingang unter Umgehung des gewählten Bundesvorstands. Dieser Aspekt spricht Bände über das Verständnis von Gewerkschaftsdemokratie, das im ÖGB vorherrscht.

Die Bürgerlichen haben den Braten gerochen und sehen nun eine einzigartige Chance den ÖGB und die Arbeiterkammern zu diskreditieren. Sie vergießen Krokodilstränen über die Gewerkschaftsbeiträge der normalen Mitglieder und kritisieren das Verhalten der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung. In Wirklichkeit wollen sie damit die ganze Gewerkschaftsbewegung ins Eck drängen. Es ist eine reine Heuchelei wenn Leute vom Schlage eines Molterer, Grasser, Haider oder Strache plötzlich ihr Herz für die kleinen Leute zur Schau stellen. Sie wissen ganz genau, dass die Gewerkschaft, die in den letzten Jahren mehrfach ihre potentielle Stärke zur Schau gestellt hat, die einzige relevante Kraft darstellt, die die bürgerliche Offensive stoppen könnte. Dieses Hindernis will man mit einer medial unterstützten Kampagne aus dem Weg räumen. In einem Aufwaschen soll dazu noch die SPÖ geschwächt werden, damit diese nicht auf der vorhandenen Grundstimmung der Unzufriedenheit gegenüber der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung bei den kommenden Wahlen einen Sieg einfahren kann. Unser Motto gegenüber den Bürgerlichen kann nur lauten: Hände weg von der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer!

Das darf aber nicht bedeuten, dass wir der Gewerkschaftsführung einen Blankoscheck ausstellen. Es hat sich offen gezeigt, dass die Spitze unserer Bewegung über unzählige Fäden mit den Bürgerlichen verbandelt ist und ein handfestes materielles Interessen an der Aufrechterhaltung einer sozialen Friedhofsruhe hat. Nicht zufällig stellen sich nun etliche GewerkschaftsaktivistInnen die Frage, ob diese Entscheidung von Verzetnitsch, mit dem ÖGB-Streikfonds die BAWAG abzusichern, die Erklärung für sein passives, abwieglerisches Verhalten in den Jahren der schwarz-blauen Wende liefert. Hätte sich der ÖBG überhaupt einen langen Streik leisten können? Führen diese Unternehmungen dazu, dass an Streiks erst gar nicht gedacht wird, weil sie das Wirtschaftsimperium des ÖGB schädigen könnten?

Diese Überlegungen dürften mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine gewisse Rolle gespielt haben. Die Antwort auf die Frage über die Rolle des ÖGB in den letzten Jahren liegt aber tiefer.

Welche Gewerkschaft brauchen wir?

Als der ÖGB in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegründet wurde, da wurde ihm von Anfang eine wichtige Rolle im kapitalistischen Wiederaufbau des Landes zugedacht. Die gesamte Organisationsstruktur des ÖGB zielte darauf ab den „sozialen Frieden“ mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten. Eingebunden in die Sozialpartnerschaft wurde die Demokratie in der Gewerkschaft weitestgehend eingeschränkt. Die Entscheidungsfindungsprozesse im ÖGB wurden so stark zentralisiert, dass sich die Kampfbereitschaft in den Betrieben nie wirklich ausdrücken konnte. Unter den Bedingungen des langen Wirtschaftsaufschwungs nach 1950 schien auch die Arbeiterklasse von der Sozialpartnerschaft zu profitieren. Kampfmaßnahmen schienen gar nicht notwendig. Dies ist aber seit rund 20 Jahren anders.

Lohndruck, Flexibilisierung, Privatisierung, Sozialabbau – das sind heute die Herausforderungen der Gewerkschaftsbewegung. Und der ÖGB erwies sich als nicht sehr brauchbares Instrument zur Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse. Eine Gewerkschaftsbewegung, die zum Kapitalismus prinzipiell Ja sagt und die Logik des Standortwettbewerbs akzeptiert, kann unter den Bedingungen der kapitalistischen Krise ihre prinzipielle Aufgabe nicht erfüllen. Der BAWAG-Skandal und die Rolle der ÖGB-Spitze bringen das jetzt nur für alle sichtbar zum Ausdruck. Sie bilden aber nicht viel mehr als die Spitze des Eisbergs.

Worum es in den nächsten Wochen und Monaten gehen muss, ist eine Debatte darüber, wie wir den ÖGB zu einem Kampfinstrument machen können, mit dem wir unsere Interessen verteidigen und unsere Rechte erkämpfen können.

Im Juni soll ein außerordentlicher Gewerkschaftskongress stattfinden, wo eine neue Führung gewählt werden wird. Hundstorfer, Bittner, Haberzettel – die Gerüchteküche brodelt und hinter den Kulissen werden nun die Ränkeschmiede aktiv werden. Partikularinteressen der diversen Schichten in der Gewerkschaftsbürokratie werden nun ausschlaggebend sein, wie der neue ÖGB-Präsident heißen wird.

Die Diskussion über die Zukunft des ÖGB darf sich aber nicht im Ausgleich innerbürokratischer Differenzen hinter verschlossenen Türen erschöpfen. Was wir brauchen ist eine politische Alternative zum bisherigen Kurs des ÖGB.

Für demokratische und klassenkämpferische Gewerkschaften!

Durch diesen Skandal steckt der ÖGB in einer schweren Krise. Die Bürgerlichen fletschen bereits die Messer und wollen diese Situation für einen Angriff auf die Gewerkschaft nutzen. Ihr Spiel ist leicht zu durchschauen. In ihre Richtung kann es nur ein geeintes Vorgehen geben: Hände weg von unseren Gewerkschaften! Die Gewerkschaftsmitglieder selbst, und sonst niemand, sollen über den Weg der Gewerkschaftsdemokratie über alle Belange unserer Organisation (einschließlich der Finanzen!) entscheiden.

Die beste Verteidigung ist nun die Einbindung aller. Es geht hier um brennende Fragen unserer gesamten Bewegung. Diese Debatte kann daher nicht von einer kleinen Handvoll SpitzenfunktionärInnen geführt werden, deren Ergebnis man sich auf einem Gewerkschaftskongress pro forma noch absegnen lässt. Jetzt ist höchste Zeit für Gewerkschaftsdemokratie im ÖGB. Die Basis in den Betrieben muss umgehend in diesen Diskussionsprozess eingebunden werden. Auf der Grundlage politischer Dokumente zur Rolle der Gewerkschaft und ihres Programms soll in den Betrieben eine Diskussion über die Zukunft des ÖGB geführt werden. Auf der Grundlage dieser Diskussionen sollen die Gewerkschaftsmitglieder in den Betrieben ihre Delegierten zum Gewerkschaftskongress wählen. Die ÖGB-Führung sollte ihre Vorstellungen von der weiteren Orientierung der Gewerkschaften und ihr Programm offen zur Diskussion stellen.

FunktionärInnen sollen in Zukunft nicht mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn erhalten. Keine Privilegien für GewerkschaftsfunktionärInnen!

Die Gewerkschaft soll wieder ein Kampfinstrument der ArbeitnehmerInnen werden. Das bedeutet auch, dass die Mitglieder entscheiden, welches Programm ihre Gewerkschaft vertritt und mit welchen Methoden sie dafür kämpft.

Die marxistische Strömung „Der Funke“ wird sich am Kampf für eine Veränderung der Gewerkschaftsbewegung zu einem solchen Kampfinstrument beteiligen und ein antikapitalistisches Aktionsprogramm für die nächste Periode des Klassenkampfes zur Diskussion stellen.

 

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