Nach BAWAG-Skandal und Verzetnitsch-Rücktritt: Wie weiter mit dem ÖGB?
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- Erstellt am Dienstag, 03. Oktober 2006 11:01
- von Der Funke
Ein Statement der marxistischen Strömung "Der Funke" zur aktuellen Lage der Gewerkschaftsbewegung.
Die Ereignisse rund um den ÖGB haben in den letzten Tagen zu einer enormen Diskussion in der Mitgliedschaft um die Zukunft der Gewerkschaften geführt. Wenn große Teile der Mitgliedschaft die Forderung von Gusenbauer nach dem Verkauf der BAWAG als inakzeptable Einmischung in den ÖGB sehen, so tun sie dies nicht zuletzt aufgrund einer instinktiven Ablehnung der derzeitigen pro-bürgerlichen Politik der SPÖ. Wenn der nicht gerade als kämpferisch bekannte Betriebsrat der BAWAG an die Öffentlichkeit geht und dort den geplanten Verkauf der BAWAG als Verrat brandmarkt, so zeigt dies, dass die Belegschaften die bürokratische Spitze nicht mehr länger über ihr Schicksal bestimmen lassen wollen.
Zuerst wird die Bank nach rein kapitalistischen Kriterien geführt, und dann wird sie auf Zuruf der Bürgerlichen veräußert – ohne dass die Gewerkschaftsmitglieder etwas mitzureden haben. Vielmehr ist es eine Panikreaktion der roten Führung, die den Einbruch in der Wählergunst mit allen Mitteln aufhalten will. Wir sagen: Durch den sofortigen, diskussionslosen Verkauf gibt sie der ÖVP, dem BZÖ und den Grünen (die sich in dieser Frage wieder einmal als anti-gewerkschaftliche Partei positioniert haben) sogar noch Recht und schadet unserer Bewegung!
Die Spekulationsgeschäfte der BAWAG sind kein Einzelfall, sondern gängige kapitalistische Praxis. Anstatt heuchlerisch die wirtschaftspolitische „Inkompetenz“ der SPÖ und des rot dominierten ÖGB zu beklagen, sollten die Bürgerlichen lieber vor der eigenen Türe kehren. Der Fall Hypo Alpe Adria ist nur der letzte solche Skandal im bürgerlichen Lager.
Prinzipiell lehnen wir es allerdings als gefährliche Illusion ab, wenn die ArbeiterInnenbewegung versucht, sich im feindlichen kapitalistischen Umfeld als Kapitalistin zu behaupten. Wir sollten nicht vergessen, dass Karl Renner mit der Gründung der BAWAG es gerade im Sinn hatte, durch das Geldvermögen der ArbeiterInnenklasse auch auf dem Parket des Kapitals ein „Gegengewicht“ zu schaffen. Ein solcher Versuch konnte nur dazu führen, dass sich die Spareinlagen der ArbeitnehmerInnen, ohne die demokratische Kontrolle der Basis, als Kapital verselbständigten – und sich die ArbeiterInnenklasse letztlich selbst ausbeutet. Allein – die Profite flossen natürlich nicht der gesamten Klasse, sondern nur ihrer obersten Schicht von FunktionärInnen zu, die sich in ihrem Selbstverständnis immer mehr dem Bürgertum annäherten. Der Volksmund hat dafür einen eigenen Ausdruck gefunden – Nadelstreifsozialisten. Trotz aller radikalen Rhetorik vom „Heuschreckenkapitalismus“ spielen SPÖ und ÖGB das alltägliche Monopoly vollständig mit – der ÖGB ist dabei mit seinem Firmenimperium sogar ein bedeutender Mitspieler. Wenn heute die BAWAG aus dem Besitz des ÖGB und folglich der Kontrolle der BürokratInnen in den Besitz eines anderen roten Wirtschaftsimperiums wechselt (z.B. Wiener Städtische), und damit wieder unter die Kontrolle der BürokratInnen gerät, dann ist damit nichts gelöst.
Durch den Verkauf in dieser Form sind wir keinen Schritt weiter, deshalb hat der Widerstand in den eigenen Reihen auch seine Berechtigung. Durch dieses Manöver will sich die SP- und ÖGB-Führung nur abputzen. So sehr wir uns aber auch gegen die wahren Hintergründe des BAWAG-Verkaufs aussprechen, so sehr ziehen wir es in Zweifel, dass die BAWAG in Gewerkschaftshand auf „saubere“ kapitalistische Art geführt werden kann – genauso wenig wie jede andere Bank. Entweder man spielt das schmutzige Spiel mit, oder man geht im Konkurrenzkampf unter. Aber einfach die Bank zu behalten und mit „neuem, kompetenten Management“ weiterzumachen wie bisher – das kann genauso wenig die Lösung sein. Deshalb fordern wir eine ÖGB-Kampagne, die die schmutzigen Verstrickungen der Banken offen legt – und zwar aller Banken. Das bedeutet zunächst, dass der Fall BAWAG von einer Untersuchungskommission aufgearbeitet wird – und zwar nicht durch bürgerliche WirtschaftsprüferInnen, sondern durch KollegInnen, die auf außerordentlichen Gewerkschaftskonferenzen gewählt werden und die Sachverständige hinzuziehen können. Dieses Verfahren muss im gesamten Banken- und Versicherungsbereich angewandt werden.
Was für den wirtschaftlichen Besitz des ÖGB gilt, muss um so mehr für das gelten, was die Kerntätigkeit von Gewerkschaften ausmacht, also den Kampf für die Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen. Folglich muss der Streikfonds unter die demokratische Kontrolle der gesamten Mitgliedschaft gestellt werden. Diese muss also auch über dessen Verwendung entscheiden.
In diesem Zusammenhang ist der Verweis der Gewerkschaftsführung, dass die Höhe des Streikfonds nicht bekannt sein darf, weil die Bürgerlichen im Falle eines Streiks die Durchhaltekraft der ArbeiterInnenklasse kennen würden, auch deswegen falsch, weil ohnedies über verschiedenste Kanäle (die Finanzmarktaufsicht, Vertraute bei Wirtschaftsprüfungsfirmen, Geheimdienste) Einblick in die Finanzen unserer Bewegung haben. Alles andere zu behaupten ist naiv oder eine bewusste Täuschung der Mitgliedschaft. Die Geheimnistuerei dient einzig und allein dazu, die wahren Vermögensverhältnisse und Verstrickungen vor der Gewerkschaftsbasis geheim zu halten. Darüber hinaus ist es auch ein politische und nicht bloß eine finanzielle Frage, ob gestreikt wird. Wenn der ÖGB kampfbereit ist, dann werden die erforderlichen Arbeitskämpfe auch geführt werden. Und wie die Beispiele zahlreicher anderer Länder, wo es überhaupt kein Streikgeld gibt (z.B. Frankreich) zeigen, ist diese Frage nebensächlich, wenn die ArbeitnehmerInnen wissen, wie wichtig ein Arbeitskampf ist. Darüber hinaus muss ohnehin die Forderung nach Lohnfortzahlung während des Ausstands Bestandteil eines jeden Arbeitskampfs sein.
Wir lehnen einen Verkauf der BAWAG heute dezidiert ab. Wenn heute bereits wieder die Rede davon ist, dass die BAWAG nicht vollständig verkauft werden soll, sondern eine sogenannten Sperrminorität im Besitz des ÖGB verbleiben soll, dann zeigt das deutlich, dass der Druck der Basis in der Bürokratie einen Meinungswechsel herbeiführen kann. Ein Verkauf kann und darf also nur erfolgen, nachdem die Lohnabhängigen Einsicht in alle geschäftlichen Vorgänge der BAWAG bekommen haben und auf dieser Basis in einer Urabstimmung über die Zukunft des Eigentums des ÖGB (und damit aller Gewerkschaftsmitglieder) entscheiden.
Daher:
- Für eine Untersuchung der Spekulationsgeschäfte aller Kreditinstitute durch auf Sonderkonferenzen zu wählenden KollegInnen!
- Öffnung aller Geschäftsbücher der BAWAG und aller ihr gehörigen Unternehmen, sowie aller sonstigen Unterlagen für die gesamte Mitgliedschaft des ÖGB!
- Schluss mit der profitorientierten Politik und Betriebsführung der BAWAG!
- Wahl aller erforderlichen Verantwortlichen für das Alltagsgeschäft und ihre jederzeitige Abwählbarkeit durch die Belegschaft!
- Gleiche Arbeitsbedingungen und Löhne für diese wie für den Rest der Belegschaft!
- Entscheidung über den Verkauf der BAWAG in einer Urabstimmung aller Gewerkschaftsmitglieder nach einer intensiven Diskussion darüber in der gesamten Mitgliedschaft auf Basis der erforderlichen Informationen über alle geschäftlichen Aktivitäten der BAWAG!
- BAWAG unter ArbeiterInnenkontrolle: Strategische Entscheidungen über die Unternehmenspolitik durch von der Basis gewählte Delegierte der Belegschaft und der Gewerkschaften! Dies kann aber nur der erste Schritt zur Verstaatlichung des gesamten Bankensystems unter ArbeiterInnenkontrolle sein.
Der ÖGB befindet sich im Umbruch. Noch vor wenigen Tagen wurde offen darüber gesprochen, dass die neue Struktur des ÖGB bereits auf dem Sondergewerkschaftstag im Juni stehen soll. Was in Jahren bürokratischer Hinterzimmerverhandlungen nicht gelungen ist, sollte also unter dem Vorzeichen der Krise in wenigen Wochen durch die Bürokratie gelöst werden. Mittlerweile wurde der Sondergewerkschaftstag im Juni abgesagt und die Entscheidung über die künftige Struktur des ÖGB soll auf dem regulären Gewerkschaftskongress 2007 fallen. Von Einbindung der Basis in diese Entscheidung ist aber noch immer keine Rede. Die Bürokratie hat sich mit dieser Vorgehensweise also nur mehr Zeit verschafft, da die einzelnen KontrahentInnen in diesem Spiel um Macht und Einfluss offensichtlich so schnell keine Einigung erzielen konnten und mehr Zeit dafür brauchen. Ein derzeit offenes Geheimnis ist etwa die Möglichkeit, dass der Neo-Vorsitzende Hundstorfer unter der Bedingung auf den Chefsessel verzichten könnte, dass er seine seit Jahren gewünschte Sozial- und Gesundheitsgewerkschaft bekommt, womit der rechte Flügel der Bürokratie die volle Kontrolle über einen der unruhigsten Teile der ArbeiterInnenklasse bekäme. Selbstverständlich hätte das wiederum in anderen Bereichen seinen Preis – und der muss verhandelt werden.
Ohne Einbindung der Basis kann es also nur zu noch bürokratischeren Ergebnissen kommen, welche keinesfalls unseren Interessen an einer Gewerkschaft als Kampforganisation gerecht werden. Dies zeigt auch das derzeit geplante Vorgehen der Gewerkschaftsbürokratie, welche bei der Erarbeitung einer künftigen Struktur für den ÖGB lieber externen ExpertInnen einbezieht, also die eigenen Basis, was einmal mehr zeigt, wie weit die Führungsspitze unserer Organisationen sich von ihrer eigenen Basis entfernt hat. Daher: Nein zur Neustrukturierung des ÖGB ohne Einbindung der Mitgliedschaft!
Gleichzeitig sprechen wir uns gegen die Forderung nach einem überstürzten Sondergewerkschaftstag aus. Ihn schon Anfang Mai abzuhalten, würde nur dazu führen, dass die Bürokratie alles unter Kontrolle behält – würde doch hier die Zeit nicht dafür ausreichen, dass sich die kritischen Kräfte an der Basis zusammen finden können.
Wir treten daher in der Diskussion um die Zukunft des ÖGB für folgende Forderungen ein:
- Öffnung aller Geschäftsbücher des ÖGB, seiner sämtlichen wirtschaftlichen Beteiligungen inklusive des Imperiums an Privatstiftungen und insbesondere Offenlegung aller Details rund um den Streikfonds!
- Betriebsversammlungen in allen Betrieben zur Diskussion und Entscheidung über die Zukunft des ÖGB und Wahl von Delegierten bis Ende Mai!
- Landesweite Konferenzen der Delegierten zu denselben Themen bis Ende Juni!
- Für einen Sondergewerkschaftstag im September, so dass dieser noch seine Forderungen in den Wahlkampf einbringen kann. Auf diesem muss durch die auf den Landeskonferenzen gewählten Delegierten die künftige Politik und Struktur des ÖGB beschlossen werden. Dabei tritt der Funke für die Slogans ein: Nein zu jeder Regierung, die sich gegen die Interessen der Lohnabhängigen richtet! Ein Betrieb, eine Branche – eine Gewerkschaft! Alle FunktionärInnen müssen gewählt werden und auch jederzeit abwählbar sein! Niemand darf mehr verdienen als einE FacharbeiterIn! Wahl des/der neuen ÖGB-PräsidentIn in einer Urabstimmung durch die gesamte Mitgliedschaft auf Basis der Entscheidungen dieses Sondergewerkschaftstages!
In der Praxis erfordert dies alles einen Bruch mit der Profitlogik. Die ArbeiterInnenbewegung muss zu ihren Wurzeln zurückkehren. Die Aufgabe der Partei und der Gewerkschaften kann es nicht sein, die besseren VerwalterInnen der kapitalistischen Krise zu sein. Früher ging der Kampf darum, sich ein (größeres) Stück des Kuchens zu sichern. Als der Kuchen noch ständig wuchs, gab es durchaus Spielraum dafür, die ArbeiterInnenklasse am Wachstum zu beteiligen. Das galt v.a. für die männlichen Fachkräfte. Seit Jahren vergrößern nun aber die Unternehmen ihr Stück des Kuchens, der nicht mehr größer wird – auf unsere Kosten. Daher ist es heute umso notwendiger, das zu sagen, was wirklich erforderlich ist: Wir wollen die ganze Bäckerei, wir machen schließlich auch die ganze Arbeit!
- Schluss mit dem Profitsystem! Für die Ausrichtung der gesamten Wirtschaft an den Bedürfnissen der Menschen!
- Für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, des Banken- und Versicherungswesens unter der Kontrolle der ArbeiterInnenbewegung!
- Für eine demokratisch geplante Wirtschaft unter der Kontrolle der Lohnabhängigen!