ÖGB-Krise: Der Fluch der Karibik

Was in den letzten Wochen in BAWAG und ÖGB an Skandalen zum Vorschein kam, ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Gewerkschafters. Bei genaurem Hinsehen kommt dieser Skandal aber nicht überraschend. Er ist nicht so sehr eine Folge von einzelnen Managementfehlern, einzelnen korrupten Personen, sondern Folge der Politik des ÖGB seit 1945. Deshalb reichen auch ein paar Rücktritte nicht aus, damit alles wieder gut wird. Der ÖGB braucht einen radikalen politischen Kurswechsel.

Wenn jetzt gestritten wird, wer „davon“ gewusst hat und wer nicht, dann ist das nichts als lächerlich. Alle führenden Funktionäre von ÖGB und BAWAG müssen gewusst haben, dass die BAWAG spätestens seit den 1990er Jahren Spekulationsgeschäften nachgeht. Die BAWAG hatte die Aufgabe als Bank profitmaximierend zu arbeiten. Das bedeutete im Kapitalismus der 1980er 1990er Jahre, an den Finanzmärkten aktiv zu sein, das heißt zu spekulieren. Weil die BAWAG im europäischen Vergleich eine kleine Bank ist; am Bankensektor die Konkurrenz hart ist und die Großen die Kleinen schlucken, stand die BAWAG die ganze Zeit über unter starkem Druck. Spekulationen haben es aber so an sich, dass sie mitunter nicht aufgehen. Das kann demnach niemanden in der ÖGB- und BAWAG- Spitze ernstlich überraschen.

Auch dass Verzetnitsch den Streikfonds 2000 verpfändet hat, ist in Wirklichkeit nichts ach so Neues. Der Streikfond ist seit 1947 überwiegend in der BAWAG angelegt, und somit aufs Engste mit den Geschäften der BAWAG verwickelt. Die Arbeiterbank, Vorläuferin der BAWAG, wurde 1947 neu gegründet mit der Aufgabe der finanziellen Verwaltung der Gewerkschaften, also nicht zuletzt des Streikfonds.

In dieser Zeit und in der politischen Neuausrichtung des ÖGB nach 1945 liegt das Übel in Wirklichkeit begraben. Die generelle Orientierung des ÖGB bestand in dieser Zeit darin, den Kapitalismus von innen heraus zu verändern, menschlicher zu machen. Die Arbeiterbank, spätere BAWAG sollte neben dem Konsum, der Verstaatlichten Industrie und der Sozialpartnerschaft eines der Hauptinstrumente dieser Veränderung sein.

In Wirklichkeit wurde durch diese Strategie im Endeffekt - und jetzt nach 60 Jahren ist das ganz klar sichtbar - nicht der Kapitalismus menschlicher, sondern unsere Gewerkschaft korrumpiert und Teil eines von Grund auf unmenschlichen Kapitalismus.

Kapitalismus bedeutet: Ohne Profit geht nichts: Das bedeutet: Dem Profitstreben muss in letzter Konsequenz alles andere untergeordnet werden. Diese an sich einfache Erkenntnis war in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren noch nicht so offensichtlich, weil damals der Kapitalismus auf Hochtouren lief und genug Profite abwarf, um zumindest in Westeuropa ein bisschen Menschlichkeit zu garantieren. Seit dem die Weltwirtschaft Mitte der 1970er Jahre in eine krisenhaftere Phase eingetreten ist, hat sich die Sache verkompliziert. Heute erfordert die Profitmacherei auf der einen Seite einen umfassenden Angriff auf die Interessen der Lohnabhängigen und der Bevölkerung, auf der anderen Seite eine Teilnahme an abenteuerlichen Casinogeschäften. Die ganzen „roten“ Skandale von Konsum, verstaatlichter Industrie bis zum ARBÖ sind letztlich Ausdruck dieser Tatsache. Das Element der Korruption und der Freunderlwirtschaft spielt zusätzlich eine Rolle, aber nur deshalb, weil Korruption und eine private Verschwörung gegen die Öffentlichkeit ein allgemeiner Wesenszug des Kapitalismus sind, besonders in der heutigen Zeit des krisenhaften Kapitalismus, wo die Finanzmärkte die dominante Rolle spielen: Die Bilanzskandale mit dem berühmten Beispiel von ENRON in den USA legen ein klares Zeugnis von dieser Entwicklung ab.

Der BAWAG-Skandal bedeutet vor allem eines: Das offensichtliche und historische Scheitern der jahrzehntelangen Orientierung des ÖGB auf einen menschlichen Kapitalismus. Wenn man sich die ganzen „roten“ Skandale der Reihe nach anschaut, könnte man fast meinen wir sind Opfer eines Fluches. Dieser Fluch ist aber nicht „der Fluch der Karibik“, sondern der Fluch der jeden trifft, der glaubt den Kapitalismus bändigen zu können, der glaubt einen Tiger zum Vegetarier umerziehen zu können.

Sind wir nicht alle PiratInnen?

Schon in der Bibel steht geschrieben: „Du kannst nicht zwei Herren dienen, Jahwe und dem Mammon.“ Genau dieses Ziel, zwei Herren zu dienen, hat sich aber der ÖGB bei seiner Gründung gestellt. Die Lohnabhängigen zu vertreten und gleichzeitig den Kapitalismus in Österreich neu aufzubauen. Diesen Zwiespalt findet man im Betriebsrätesystem genauso wie auf jeder Ebene des ÖGB. Der erste Präsident des ÖGB Johann Böhm sprach diesem Widerspruch schon 1948 offen an: „Die Gefahr besteht darin, dass der Gewerkschaftsbund heute so stark ist, dass er manche Forderungen durchsetzen könnte, die vielleicht so weit über das Ziel hinausschießen, dass sie den Bestand der Wirtschaft gefährden könnten.“ Wir brauchen nicht extra zu erwähnen, dass Böhm mit Wirtschaft, die kapitalistische Wirtschaft meinte.

Der ÖGB verpflichtet sich auf diese Weise immer auf das Funktionieren des Kapitalismus Rücksicht zu nehmen und legte sich bei seiner Kernaufgabe, der Vertretung der Interessen der Lohnabhängigen von Anfang eine freiwillige Selbstbeschränkung auf. Der Sauerstoff des Kapitalismus ist aber die Profitmaximierung. Die selbe Haltung ist auch die gesetzliche Grundlage des Betriebsrätesystems. Der Betriebsrat ist verpflichtet einen Interessensausgleich herzustellen zwischen den Zwecken des kapitalistischen Unternehmens und den Interessen der Belegschaft. Er darf daher von Gesetzes wegen nicht konsequent alleine die Interessen der Belegschaft vertreten.

Eines ist klar: Wenn die beiden Ziele, Profitmaximierung und Vertretung der Interessen der Lohnabhängigen sich widersprechen, und das tun sie permanent, dann setzt sich wenn es hart auf hart geht immer das Ziel der Profitmaximierung durch. Nicht deshalb weil der Mensch so schlecht ist, sondern weil ohne Profit das System als Ganzes, ob es nun Firma, BAWAG, Land oder Standort heißt, gefährdet ist. Besitzt man zur Profitmaximierung keine andere Alternative zu wirtschaften, dann ist man gezwungen die Krot zu schlucken und sich dem Schicksal zu ergeben und gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

„Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ - Dies galt in der Geschichte nur in der relativ kurzen Zeitspanne von 1955 – 1973, vom Wirtschaftswunder bis zum ersten Ölschock. Danach war jede Profitratenerhöhung nur durch Lohnverzicht durchzusetzen, das ist die bittere Wahrheit. Heute bedeutet Kapitalismus: Spekulation, Raubbau an den Interessen der Beschäftigten und Plünderungen in Osteuropa. Ederer und Ruttensdorfer, auf die in diesen Tagen so oft als rote Vorzeigeunternehmer verwiesen wird, sind perfekte Beispiele für diese Tatsache, und Brigitte Ederer hat beinhart klargemacht auf welcher Seite sie steht. In einem Interview auf die Frage angesprochen, ob sie mehr Siemens verpflichtet ist oder ihren Leuten in der SPÖ hat sie gesagt: „Meine Leute, das ist Siemens.“

Wenn wir als Bewegung der Lohnabhängigen nicht mit Haut und Haaren im Sturm des kapitalistischen Fressen und Gefressenwerdens untergehen wollen, dann müssen wir das Ruder um 180 ° herumreißen.

Kursänderung notwendig!

Der Kurs, der notwendig ist, um den ÖGB aus der größten Krise seit 1945 herauszuführen, ist einfach und klar: Zu 100% den Interessen der Lohnabhängigen verpflichtet sein, keine Verpflichtung gegenüber dem kapitalistischen Wirtschaftssystem. Wenn wir diesem Kurs einschlagen, dann können wir auch den ÖGB demokratisch und transparent gestalten. Wenn die ÖGB-Führung auf Grund ihrer Orientierung bisher immer gezwungen war Kompromisse mit dem Kapital zu Lasten der Lohnabhängigen einzugehen, dann konnte sie ihre Politik oft nur hinter dem Rücken der Mitglieder durchführen und ohne demokratische Kontrolle. Hätte es im ÖGB in den letzten Jahren volle demokratische Einbeziehung der Betriebsräte und Mitglieder gegeben, wäre mancher Arbeitskampf und manche Verhandlung anders geführt worden und auch anders abgeschlossen worden. Nehmen wir nur den Kampf der Eisenbahner oder den Pensionsabwehrstreik oder der Kampf gegen die Postprivatisierung. Die mangelnde Demokratie führt dann zu einer Situation, in der die Korruption aufblüht, wie sie beim BAWAG-Skandal sichtbar geworden ist.

100% die Interessen der Lohnabhängigen vertreten, bedeutet im 21 Jahrhundert aber auch, dass man eine gesellschaftliche Alternative anbieten muss. Diese Alternative kann nur darin bestehen, dass für die Bedürfnisse der Menschen produziert wird und nicht für Profite. Die Leitung der Produktion muss der demokratischen Kontrolle durch die KonsumentInnen und ProduzentInnen unterstehen. Die Vergesellschaftung der Wirtschaft, die Mitbestimmung der Belegschaften war ja immer ein Ziel des ÖGB. Dieses Ziel wurde aber immer den Bedürfnissen des österreichischen Kapitalismus unterworfen und deshalb nur halbherzig umgesetzt. Setzen wir endlich das, wofür wir stehen, ohne Abstriche in die Praxis um.

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