Widersetzen, besetzen und produzieren!

Die Arbeitslosenzahlen explodieren. Wo sind die Alternativen? Im Fall von Massenentlassungen, Produktionsverlagerungen und Betriebsschließungen gibt es keine gesetzlich vorgesehene Handhabe, um die Entscheidungsmacht der Unternehmen einzuschränken. Hannes Androsch meinte sogar nach dem Abbau von weiteren 300 Jobs in seiner Firma AT&S, ein börsennotiertes Unternehmen sei gesetzlich dazu angehalten, rechtzeitig zu reagieren, um die Interessen der ShareholderInnen zu wahren. Eigentum ist sakrosankt, der/die EigentümerIn genießt vollen gesetzlichen Schutz, der es ihm/ihr erlaubt, sein/ihr Eigentum an Produktionsmitteln so zu verwenden, wie er/sie es für sinnvoll erachtet. Alles andere zählt nicht. Dieses Recht beinhaltet auch Massenentlassung und die Schließung von ganzen Standorten. Die Konsequenzen dafür müssen die Beschäftigten, ihre Familien und die Gesellschaft im Allgemeinen tragen. Gesetzlich vorgesehen ist lediglich die Informationspflicht der KapitaleignerInnen gegenüber dem Arbeitsmarktservice.

Die Belegschaft und ihre Interessenvertretungen, Betriebsrat und Gewerkschaft, werden so in die Rolle von BittstellerInnen gedrängt. Diese ungleichen Verhandlungen finden im Rahmen von sog. Sozialpartnergesprächen statt, in denen die Gewerkschaft Abfertigungen oder Arbeitsstiftungen herauszuverhandeln versucht. Diese "Sozialpläne" werden vom Kapital als Druckmittel eingesetzt, indem die Höhe der Abfertigungen vom wohlgefälligen Verhalten der Lohnabhängigen abhängig gemacht wird.

Einzige Chance: Logik durchbrechen

Wenn die Lohnabhängigen und ihre Organisationen diese Logik nicht akzeptieren und einen ernsthaften Kampf um die Arbeitsplätze führen wollen, müssen sie zu Mitteln greifen, die das gesetzlich vorgeschriebene Kräfteverhältnis (wonach die KapitalistInnen immer am längeren Ast sitzen) herausfordern. Die politische Voraussetzung dafür ist es, die alleinige Verfügungsgewalt der UnternehmerInnen über die Betriebe aktiv in Frage zu stellen.

Streiks sind das stärkste Mittel der ArbeiterInnenbewegung, um ihre Interessen zu verteidigen. Jeder Streik zeigt allen deutlich, dass die gesetzlich vorgesehene Verfügungsgewalt des Kapitals in der Praxis davon abhängig ist, ob die Belegschaft dazu bereit ist. Wenn die Belegschaft beschließt, in einem kollektiven Akt die Produktion zu unterbrechen, hat das Unternehmen erst mal das Nachsehen. Im Falle einer drohenden Betriebsschließung ist es jedoch klar, dass ein mehrstündiger Streik, wie dies im Rahmen von Kollektivvertragsverhandlungen üblich ist, das gewünschte Ziel nicht erreichen kann. Jetzt braucht es die komplette Übernahme des Produktionsstandortes. Erst wenn die Belegschaft deutlich manifestiert, dass hier weder Maschinen abgebaut noch Lagerbestände ausgeliefert oder StreikbrecherInnen in den Betrieb gebracht werden können, verhandelt sie mit dem Management wieder halbwegs auf Augenhöhe.

Die Frage der Demokratie

Erfahrungsgemäß ist eine solche Belegschaft trotzdem in einer schwierigen Situation, denn ein wochenlanger Konflikt steht bevor. Dazu braucht es nicht nur nervenstarke VerhandlerInnen, sondern auch eine geschlossene Belegschaft. Diese Geschlossenheit ist nur möglich, wenn das Verhandlungsteam demokratisch von der Belegschaftsversammlung gewählt ist, und die Verhandlungsstrategie auch hier diskutiert und beschlossen wird. Das Unternehmen wird alle Tricks anwenden, um Unruhe und Spaltung unter die KollegInnen zu tragen. Die einzige Waffe, die den Lohnabhängigen bleibt, ist es, eine ständige Diskussion am Laufen zu halten. Ängstlichen KollegInnen muss der Raum geboten werden, ihre Bedenken offen auszusprechen und die Streikführung muss darauf offen und ehrlich antworten. Die Beschlüsse der Diskussion werden dann gemeinsam umgesetzt, die Belegschaft ist sich sicher, dass ihr das Verhandlungsteam nicht in den Rücken fallen wird, und das Verhandlungsteam muss sich sicher sein können, dass die Blockade der Produktion aufrecht bleibt. Aktuelle Erfahrungen, wie etwa im Kampf der Belegschaft der SBB-Werkstätte Bellinzona in der Schweiz zeigen, dass die Verhandlungen kategorisch geführt werden müssen. Ziel ist der Erhalt des Standorts. Jegliche Diskussion über Sozialpläne wird abgelehnt. Sobald ein Sozialplan am Tisch liegt, wird die Front der Betriebsbesetzung zu bröseln beginnen.

Die Frage der Forderungen und der Verhandlungsführung

Das Kapital wird betonen, dass die wirtschaftlichen Gegebenheiten ein Weiterführen des Betriebes unmöglich machen. Es wird seine mediale Macht nützen, um die KollegInnen als "Gesetzlose" zu diffamieren, und mit Zuckerbrot und Peitsche versuchen, die Belegschaft mürbe zu machen.

Die Belegschaft weiß meist, dass ihr Betrieb nicht "unwirtschaftlich" ist bzw. sein müsste. Sie fordert die Öffnung der Geschäftsbücher, will wissen wie der Auftragsstand ist, wie hoch die Gehälter und sonstigen Vergütungen der ManagerInnen sind. Insbesondere ist sie an einer Frage interessiert: Wohin sind die Profite geflossen?

Diese Fragen werden nicht nur am grünen Tisch, sondern in der Öffentlichkeit thematisiert. Fliegende Streikposten besuchen andere Firmen, Marktplätze, FußgängerInnenzonen, die Schulen ihrer Kinder. Sie informieren über ihre Sicht der Dinge, mobilisieren so politische und finanzielle Solidarität. Sie stellen die Abgeordneten ihres Wahlkreises zur Rede, fragen den Pfarrer, wie ernst er es mit der Bibel meint. Sie gehen in die Offensive. Sie weisen rechnerisch nach, wie die Belegschaft den Betrieb führen könnte, gehen noch einen Schritt weiter, und nehmen unter ihrer Kontrolle die Produktion wieder auf.

Grau ist die Theorie, werden jetzt viele sagen, doch tatsächlich ist das hier Beschriebene, welches aus zahlreichen Lehrbüchern des Marxismus abgeschrieben sein könnte, in vielen Ländern der Welt auch heute Realität. Nicht nur im fernen Venezuela, sondern auch in Italien, der Schweiz, der Ukraine, auf den britischen Inseln, wo sich überall betroffenen Belegschaften mit Betriebsbesetzungen gegen Massenentlassungen und Werkschließungen wehren. Einige Beispiele.

Britannien

Im April dieses Jahres blickte die britische Gewerkschaftsbewegung gebannt auf den Arbeitskampf beim Autozulieferer Visteon. Alle drei Standorte standen vor der Schließung. Die Belegschaften entschieden sich zum Kampf. Sie betraten unter Führung ihrer BetriebsrätInnen die Werke und verließen sie über vier Wochen nicht mehr. Sie nützten die Zeit, um Solidaritätsappelle zu lancieren und öffentlichkeitswirksame Aktionen zu starten. So veranstalteten sie etwa eine "Besichtigung" der Villa des Eigentümers. Nach vier Wochen wurde die Schließung der Werke zurückgenommen. Rob Flisch, ein beteiligter Betriebsrat, gab zum siegreichen Ende des Arbeitskampfes zu Protokoll: "Ich hoffe, dass alle die Schlüsse aus dem Arbeitskampf bei Visteon verstehen. Wir hatten keine andere Alternative als zu kämpfen. Viele von uns hatten wenig Erfahrung, was wir nun tun sollten. Der Kampf war wie eine Feuertaufe. Wir aber haben das Gefühl, dass wir mit den Anforderungen gewachsen sind und sind stolz auf das, was wir gemacht haben." Und weiter: "Die Gewerkschaft argumentierte, dass die Besetzung illegal wäre. Dann haben wir eine Abstimmung gemacht, ob wir diesen Hinweis ignorieren sollen. Zwei Dutzend von uns haben dafür gestimmt, diesen Hinweis zu ignorieren und zu besetzen. Ich führte die Besetzung durch die Hintertüre an. Wir kamen komplett ungehindert hinein."

Deutschland

Die erste aktuelle Betriebsbesetzung im deutschsprachigen Raum wurde von der Belegschaft der Fahrradfabrik Bike Systems in Sachsen durchgeführt. Von Juli bis Oktober 2007 besetzten sie ihren Betrieb. Zwar konnten sie schluss-endlich die Schließung nicht verhindern, aber ihr Arbeitskampf hatte wichtige Lehren: Sie verschafften ihrer Besetzung einen legalen Rahmen, indem sie die Betriebsversammlung für nicht beendet erklärten. Sie nützten die Besetzung, um Teile der Produktion wieder aufzunehmen und so sowohl Ansatzpunkte für Solidarität zu schaffen, als auch einen Beitrag zu ihrem Kampffonds zu erwirtschaften.

Schweiz

In der Schweiz lieferte die Belegschaft der SBB-Werkstätte Bellinzona einen erfolgreichen und beispielhaften Kampf um den Erhalt ihres Standorts. Am 7. März 2008 konfrontierte ein Manager die versammelte Belegschaft mit der geplanten Auflassung des Standorts. Dem Manager wurde kein Raum gelassen, Krokodilstränen zu vergießen. KollegInnen der gewerkschaftlichen Betriebsgruppe übernahmen die Leitung der Versammlung und stellten die Streik- und Besetzungsfrage. Dem folgte ein wochenlanger zermürbender Kampf, der in Form einer aktiven Kampagne geführt wurde.

Bemerkenswerter Weise unterstellte sich die Gewerkschaft dem gewählten Streikkomitee, wenn sie es auch unterließ, den Kampf auf andere Standorte auszudehnen. Das Unternehmen musste schlussendlich klein beigeben und eine Standortszusage bis 2010 zugestehen.

Das Streikkomitee wird auch nach dem Ende des Streiks als legitimer Gesprächspartner akzeptiert, die durch Sammlungen und Spenden weiter prall gefüllte Streikkasse wird weiter von diesem verwaltet; regelmäßige Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit müssen vom Unternehmen geduldet werden und dienen der Aufrechterhaltung der Kampfbereitschaft. Durch einen Warnstreik wurde die Standort- und Beschäftigungsgarantie mittlerweile bis 2012 ausgeweitet.

Der Schlüssel zum Erfolg

Diese und andere Arbeitskämpfe sind nicht zuletzt dem Wirken gewerkschaftlicher Betriebsgruppen zu verdanken, die bereits im Vorfeld politisch unter der Belegschaft wirkten, sich mit anderen kämpferischen GewerkschafterInnen vernetzten und Szenarien für Arbeitskämpfe entwickelten.

Der Funke" sieht es als seine Aufgabe diese konkreten Erfahrungen aus anderen Ländern auch in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung zu verbreiten und zur Diskussion zu stellen. Wir glauben, dass diese ein wichtiger Gegenstandpunkt zur Alternativlosigkeit der gewerkschaftlichen StellvertreterInnenpolitik angesichts der aktuellen Krise sein können.

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