Inflation & Reallohnverlust: Was dagegen tun?

Die letzten Monate wurden in der innenpolitischen Diskussion von mehreren Themen dominiert, die eng miteinander verbunden sind: Teuerung, Steuerreform, Lohnerhöhungen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, können sich doch immer mehr Menschen im siebtreichsten Land der Welt ihr Leben nicht mehr leisten. Die Antworten sowohl der politischen Parteien als auch des ÖGB auf diese Überlebensfragen sind mehr als mager.

Die SPÖ setzte im Wahlkampf voll auf das Thema "Kampf gegen die Teuerung". Faymann legte auf Druck der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) ein 5-Punkte-Paket (Erhöhung des Pfl egegelds, Abschaffung der Studiengebühren, 13. Familienbeihilfe, Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel...), eine Art Aktionsplan zur Stärkung der Kaufkraft, vor. Prinzipiell sind das Maßnahmen, die in die richtige Richtung weisen. Nach Jahren setzt die SPÖ erstmals wieder Initiativen für eine Verbesserung der sozialen Situation.

Nichtsdestotrotz geht das alles nicht weit genug. Es wurden einige symbolträchtige Punkte in Angriff genommen, aber das Problem der Teuerung ist von viel größerer Tragweite und in Wirklichkeit in allen Lebensbereichen spürbar (Wohnen, Heizen, Treibstoffe, .). Mit einer Senkung der Mehrwertsteuer und ein paar anderen Reformen alleine wird sich der Lebensstandard nicht sichern lassen. Dazu müsste eine grundsätzlich andere Politik ins Auge gefasst werden, die den Reichtum jenen zukommen lässt, welche ihn erarbeiten und endlich damit beginnt, wirklich massiv von oben nach unten umzuverteilen.

Solange die SPÖ-Spitze nicht bereit ist, den Kapitalismus und seine Logik selbst infrage zu stellen, muss sie bei einer Politik bleiben, die nur einzelne besonders üble Auswüchse dieses Systems angeht. Die soziale Frage hat aber längst ein Ausmaß erreicht, wo einzelne Reformen dieselbe Wirkung haben wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Ohne Infragestellung des Kapitalismus, kann es also keine langfristige Sicherung menschenwürdiger Lebensbedingungen für uns Lohnabhängige geben.

Lohnkampf oder Steuerreform?

Ebenfalls unter dem Druck der Gewerkschaft stellte die SPÖ die Forderung nach einer Vorziehung der Lohnsteuerreform auf das Jahr 2009 auf. Werner Faymann hat diesen Plan aber mittlerweile aufgegeben. Aus den Reihen des ÖGB und der ArbeiterInnenkammer wird weiterhin an dieser Forderung festgehalten. Die "kalte Steuerprogression" ist tatsächlich für viele ArbeitnehmerInnen ein zentrales Problem, weil dadurch von den Lohnerhöhungen real nichts übrig bleibt.

Aus der Sicht der Gewerkschaftsspitze kommt jedoch hinzu, dass sie in den Lohnverhandlungen weniger Druck seitens der eigenen Basis verspüren würde, wenn die Steuerreform früher käme. Der ÖGB weiß genau, dass die heurige Lohnrunde sehr schwierig wird. Nahezu alle SpitzenfunktionärInnen des ÖGB sprechen aber auch in Zeiten massiver Reallohnverluste noch immer davon, dass "auch in diesem Herbst selbstverständlich eine verantwortliche Lohnpolitik gemacht werden wird". Den Kampf um echte Lohnerhöhungen scheuen sie.

Wenn Kollege Hundstorfer Lohnabschlüsse unter der Infl ationsrate als "Frechheit" bezeichnet, hat er recht. Wenn die Gewerkschaft aber nur die offi zielle Infl ationsrate zum Maßstab macht, hilft das der Masse der ArbeitnehmerInnen nicht weiter. So betragen die Reallohnverluste auf Grund der Infl ation derzeit z.B. für jene, die unter der offi ziellen Armutsgrenze (893 Euro für 2006 laut EU) liegen, nahezu 9%! Diese Zahlen müssen bei der Formulierung der Lohnforderungen einbezogen werden. Die Gewerkschaft muss für Löhne sorgen, von denen mensch auch leben kann.

Auch heuer wird sich der ÖGB von der Standortlogik des Kapitals erpressen lassen und wegen der Drohung von Betriebsschließungen oder -verlagerungen Lohnabschlüsse tätigen, die wieder einen Reallohnverlust bringen und diese dann den KollegInnen in den Betrieben als großen Erfolg verkaufen. Auch im heurigen Herbst wird wohl die fatale Logik des ÖGB, welche es sonst nirgendwo auf der Welt gibt, dass während Verhandlungen nicht auf die Straße gegangen werden darf, zum Tragen kommen.

Wir müssen den KollegInnen in den Betrieben ehrlich sagen, dass nur dann höhere Lohnabschlüsse möglich sind, wenn sie selber aktiv dafür zu kämpfen bereit sind. Die Gewerkschaft muss mit dem Dogma brechen, es ja eh für die KollegInnen zu richten und endlich damit beginnen, mit den Beschäftigten gemeinsam deren Interessen durchzusetzen. Im Rahmen der Sozialpartnerschaft wird dies aber nicht möglich sein, denn diese basiert eben genau darauf, dass ,wichtige Männer' in Geheimverhandlungen ausmauscheln, was angeblich für beide Seiten gut ist, letztlich aber nur dem Kapital dient.

Oft kommt von den KollektivvertragsverhandlerInnen dann auch das Argument, dass sich die ach so arme Wirtschaft höhere Lohnabschlüsse nicht leisten kann. Es kann und darf aber nicht die Aufgabe von GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen sein, die Interessen der anderen Seite mitzudenken. Der Job des ÖGB ist es, die Interessen der Lohnabhängigen auf Kosten der Wirtschaft so gut wie möglich zu vertreten. Und wenn diese dann wirklich sagen sollte, dass sie sich das nicht leisten kann, müsste der ÖGB die Öffnung der Geschäftsbücher für die Inspektion durch Beschäftigte und SpezialistInnen ihres Vertrauens durchsetzen. In 9 von 10 Fällen wird sich dabei herausstellen, dass sich Wirtschaft und öffentliche Hand auch sehr viel höhere Lohnerhöhungen locker leisten können. Und wenn die Betriebe dann trotzdem mit Schließung oder Verlagerung drohen, müsste der ÖGB für ihre Verstaatlichung unter Kontrolle der jeweiligen Belegschaft kämpfen.

Wir sehen also, dass nur ein Bruch mit den genannten Dogmen dazu führen kann, dass der ÖGB wieder ernsthaft für unsere Interessen eintritt. An der Basis haben viele KollegInnen längst erkannt, dass die Gewerkschaft eine neue Strategie braucht; an der Spitze des ÖGB sieht dies aber leider ganz anders aus. Wir stehen vor der Entscheidung, in welche Richtung die Gewerkschaften in Zukunft gehen werden: Bleiben sie reformistische SystembewahrerInnen oder kehren sie zu ihren Wurzeln zurück und werden wieder demokratische Instrumente des Klassenkampfes, welche die Grundfesten dieser Gesellschaft in Frage stellen?

Politik von uns für uns

Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir selbst damit beginnen, Politik für uns selbst zu machen. Schon bei den gerade beginnenden Kollektivvertragsverhandlungen sollten die Beschäftigten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, indem die Lohnforderungen auf demokratische Art und Weise festgelegt werden, beginnend in Betriebsversammlungen. Ebenso muss es regelmäßige Informationen der betroffenen Beschäftigten über den Stand der Verhandlungen geben, so dass diese dann wiederum in Urabstimmungen über das Verhandlungsergebnis beschließen können.

Gleichzeitig müssen in den Betrieben Aktionskomitees ins Leben gerufen werden, die Kampfmaßnahmen für den Fall unzureichender Angebote der Wirtschaft vorbereiten. Nur gute Lohnabschlüsse können nämlich auf Dauer unsere Lebensbedingungen absichern. Selbst die beste aller Steuerreformen kann das auf Dauer nicht, noch nicht einmal wenn die Einkommen unter Kontrolle der Beschäftigten selbst laufend an die Infl ation angepasst werden, wie dies unbedingt erforderlich ist.

Trotzdem hat eine baldige Steuerreform eine große Bedeutung, könnte diese doch den Anfang einer echten Umverteilung von Reich zu Arm darstellen. Dazu ist es nicht nur notwendig, richtige gewerkschaftliche Forderungen (z.B. laufende Anpassung der Steuersätze an die Infl ation zur Verhinderung der kalten Progression) umzusetzen, sondern auch dafür zu sorgen, dass Kapital, Besitz und Gewinne so stark progressiv besteuert werden, dass damit die dringend notwendigen Ausgaben zur Sicherung Infrastruktur, der Sozial-, Gesundheits- und Bildungssysteme getätigt werden können.

Von selbst wird das sicherlich nicht passieren. Die Führung von SPÖ und ÖGB ist aus den genannten Gründen nicht dazu im Stande. Und gleichzeitig ist die Umsetzung der hier skizzierten Forderungen mehr als überfällig. Wer, wenn nicht wir selbst, soll also dafür sorgen?

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