Ist Wien anders? Eine persönliche Wahlanalyse
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- Erstellt am Freitag, 15. Oktober 2010 10:38
- von Axel Magnus, Betriebsratsvorsitzender SDW
Der 10.10.10 sollte zum High Noon zwischen den rechten HetzerInnen um Strache und dem "roten Wien" werden – so hatten es sich die StrategInnen der SPÖ zumindest ausgedacht. Wenn viele von uns, die sich wochenlang im Wahlkampf die Schuhsohlen abgelaufen haben, jetzt aus der Parteizentrale hören, dass offensichtlich die Mobilisierung im Gemeindebau nicht funktioniert hat und das für das Wahldebakel der SPÖ verantwortlich sei, dann können wir uns nur einmal mehr fragen, ob nicht in der Parteizentrale einige Damen und Herren sitzen, die jeglichen Bezug zur Realität verloren haben. Es wird also Zeit, dass wir das Wahldebakel der Sozialdemokratie, damit das Debakel der gesamten ArbeiterInnenbewegung, auch aus unserer Perspektive analysieren. Der folgende Beitrag erhebt daher auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beschäftigt sich mit den Bereichen, in denen ich politisch tätig bin.
Für alle von uns, die wirklich in Kontakt mit den Menschen in Wien waren und sind (als BetriebsrätInnen, GewerkschafterInnen, WahlkämpferInnen, ...) war schon lange vor der Wahl klar, dass die SPÖ eine herbe Niederlage einfahren wird und die FPÖ die große Siegerin sein wird. Ein vollkommen inhaltsloser Wahlkampf reicht halt nicht einmal dazu aus, die Ein-Thema-Partei des Herrn HC zu besiegen.
Was aber noch viel schwerer wiegt, ist die Politik der Wiener Stadtregierung. Tatsächlich werden Wahlen nämlich nicht in den paar Wochen davor entschieden, sondern in jahrelanger harter Arbeit. Harter Arbeit zur Verankerung bei den arbeitenden Menschen, harter Arbeit für deren Interessen, harter Arbeit gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise. In all diesen Bereichen hat die SPÖ – auch in Wien – kläglich versagt.
Für mich als Beschäftigen und Betriebsrat im Sozialbereich ist offensichtlich, woran es krankt. Nach jahrelangen Ausgliederungen mit den darauf folgenden Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, einer Abfolge von (sozialdemokratischen) ManagerInnen, von den sich jede Generation noch neoliberaler, noch betriebswirtschaftlicher gibt, ist es kein Wunder, dass die dafür verantwortliche Partei von den Beschäftigten schlicht und einfach als Feind, als die andere Seite, gesehen wird – so wie eben ihre Arbeitsrealität in ihren Betrieben dank der dortigen ManagerInnen, die fast alle ein Parteibuch haben und gleichzeitig selbst auf das knieweiche hiesige Arbeitsreicht, das von der ArbeiterInnenbwegung in Form der Sozialdemokratie mühsam erkämpft wurde, einfach sch ... Für mich als FSGler ist das schmerzlich – trotzdem kann ich die Politik der Stadtregierung in unseren Betrieben und im Sozialbereich insgesamt nicht verteidigen. Diese ist – so wie es abertausende KollegInnen auch sehen – schlicht und einfach falsch. Eine Abwendung von der Profitlogik im Sozialbereich, die Wiedereingliederung der ausgegliederten Bereiche und die Anhebung der Arbeitsbedingungen auf jene der Gemeindebediensteten sind das mindeste, was sich die KollegInnen erwarten. Alleine dadurch würden wahrscheinlich so viele KollegInnen – KollegInnen, die traditionell SPÖ wählten, das heute aber wegen ihrer Arbeitsrealität einfach nicht mehr können – mehr zur Wahl gehen, dass eine Niederlage verhindert werden kann.
Wenn diese Forderungen nicht umgesetzt werden, darf es uns als Sozialdemokratie nicht weiter verwundern, wenn aus einer einstigen absoluten Hochburg ein Bereich wurde, in dem die SPÖ wohl kaum mehr ein Viertel der Stimmen erhält, wie zahlreiche Betriebsratswahlen, die Gewerkschaftsstrukturen usw. zeigen. Die Niederlage hier ist hausgemacht. Und was für den Sozialbereich gilt, gilt wohl ähnlich auch für viele andere Bereiche, die von der Gemeinde Wien ausgegliedert oder gar privatisiert wurden.
Gleichzeitig müssen wir uns aber auch fragen, wie den rechten HetzerInnen entgegengetreten werden kann. Schon einmal wurde versucht, diesen die Basis zu entziehen, indem ihre Forderungen leicht abgeschwächt umgesetzt wurden – die rassistischen AusländerInnengesetze der Minister Löschnak und Schlögl haben tatsächlich aber nur den Boden für den Aufstieg der Haider-FPÖ und die finsteren Jahre von Schwarz-Blau bereitet.
In den letzten Jahren wurde in Wien das gleiche versucht. In Sonntagsreden wurden Strache&Co abgekanzelt, in der Praxis aber viele ihrer Konzepte umgesetzt. Der überbordende Überwachungsstaat (Kameras in Öffis und Gemeindebauten), die Repression gegen unerwünschtes soziales Verhalten (Vertreibung der Suchtkranken vom Karlsplatz, diverse neue Kontrollorgane für Parks, Gemeindebauten, ...) und die Spaltung der Gesellschaft entlang nationaler Linien (Stichwort "Wiener Hausordnung" – also Anpassungsdruck für alle anderen Nationalitäten) sind letztlich nur das, was Strache, Stenzel, Fekter und so viele andere wollen in einer Variante light.
In Wirklichkeit können die Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft aber nur überwunden werden, wenn ihnen radikal entgegen getreten wird. Auch ein abgeschwächter Rassismus bleibt Rassismus, auch ein abgeschwächter Überwachungsstaat bleibt ein Repressionsstaat, auch eine sozial verträglicher gestaltete Krise vernichtet Lebensentwürfe und die Zukunft von Menschen. Wer das will, der/die wird sowieso nicht zum Schmiedl gehen, sondern zum Schmied. Das rassistischen Original ist nun halt mal Stache; also wird ihn mit Rassismus light niemand besiegen können, sondern nur mit Antirassismus pur. Das gleiche gilt natürlich auch für den Überwachungsstaat, die Repression und viele, viele andere Themen.
Tatsächlich haben wir die Wahl aber an einer anderen Front wirklich verloren. Franz Voves in der Steiermark hat voll auf das Thema Verteilungsgerechtigkeit gesetzt und damit eine schon verlorene Wahl noch gewonnen. In Wien war allerdings dieses Thema im Wahlkampf kaum präsent. Wenn die Wiener SPÖ dieses Thema zum Hauptthema gemacht hätte, wäre die Wahl wohl gewinnbar gewesen, wie Meinungsumfragen zeigen, in denen sich 75% der ÖsterreicherInnen für eine Finanztransaktionssteuer aussprechen – also für mehr Verteilungsgerechtigkeit.
Aber wer Wasser predigt, kann natürlich nicht Wein trinken. Eine Stadt wie Wien, die seit Jahren bei der Umsetzung neoliberaler kapitalistischer Konzepte in der öffentlichen Verwaltung federführend ist, kann nicht plötzlich dagegen aufstehen, dass sich manche bereichern, würden doch dann ihre eigenen ManagerInnen auch massiv dabei verlieren, da in der öffentlichen Verwaltung keine solch horrenden Gehälter für sie möglich sind. Genauso würde sie ihre gute "städtische SozialpartnerInnenschaft" mit der Chefin der Wiener Wirtschaftskammer aufs Spiel setzen.
Die SPÖ muss sich also entscheiden: Will sie die Partei ihrer eigenen ManagerInnen oder die ihrer Basis von ArbeiterInnen, Angestellten und PensionistInnen sein? Will sie die Partei der neoliberalen Wende in Wien bleiben oder endlich gegen die horrende Fehlverteilung des Reichtums auch in dieser Stadt bekämpfen? Will sie die PartnerInnenschaft mit Jank&Co fortsetzen oder endlich wieder Partnerin der arbeitenden Menschen werden?
Die genannten Gegenpole sind nicht miteinander vereinbar. Es heißt Schwarz oder Weiß. Oder genau genommen: Weiter auf den Pfaden der neoliberalen Irrlehre hin zur Umverteilung von unten nach oben oder aber zurück zu den seit langem unterbrochenen Traditionen des roten Wien! In meinen Augen ist die Entscheidung ganz einfach – für weite Teile der FSG und der Parteibasis gilt dies ebenso. Aber wie sehen das die Damen und Herren in der Stadtregierung und an der Spitze der Landespartei? Entscheidet ihr euch für uns oder für Straches Politik und eine Fortsetzung des kapitalistischen Kurses?
Selbst wenn ihr da oben in der Parteiführung nicht erkennen könnt, was politisch richtig ist, müsste euer politischer Überlebenswille euch die Entscheidung eigentlich leicht machen. Bisher habt ihr euch gegen uns entschieden, was dazu geführt hat, dass nur mehr so wenige Menschen wählen gehen, dass wir keine Wahlen mehr gewinnen können. Solltet ihr euch für den Weg der Lohnabhängigen, der Wiedereingliederung, eines Ausbaus des Sozialstaates, Umverteilung, Antirassismus und letztlich eine Abkehr von der Profitlogik entscheiden, werdet ihr die Richtigkeit dieses Kurses spätestens 2013 im Bund und 2015 in Wien an der Wahlurne bestätigt bekommen. Ich bin mir sicher, dass viele von euch da oben das auch schon längst erkannt haben. Habt ihr aber auch den Mut, einen anderen Kurs einzuschlagen?