Die Fortsetzung der Wende: Das Regierungsprogramm der Großen Koalition
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- Erstellt am Dienstag, 23. Januar 2007 10:38
- von Samuel Stuhlpfarrer, Redaktion Der Funke
SP-Wirtschaftssprecher Matznetter hat offenbar Sinn für Humor. An guten Tagen bringt er gar Ex-Finanzminister Karl Heinz Grasser zum Lachen. So etwa auch am 9. Jänner. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Grasser-Rückzugs meinte Matznettter, dieser stünde in Zusammenhang mit der „starken sozialdemokratischen Handschrift“ im Regierungsübereinkommen zwischen SPÖ und ÖVP. Wohl zu Recht musste Grasser, in der ZiB 2 desselben Abends darauf angesprochen, laut auslachen.
Das Regierungsprogramm für die 23. Gesetzgebungsperiode, auf das sich SPÖ und ÖVP am 8. Jänner geeinigt haben, ist im Gegenteil die „Fortsetzung der Wende“ (ebenfalls Grasser). Es ist der offene Verrat an den WählerInnen und Mitgliedern der SPÖ; es ist der Verrat an der Partei selbst. Eine Analyse.
Dass das vorliegende Übereinkommen zwischen SPÖ und ÖVP tatsächlich nichts anderes als die Fortschreibung der Politik der letzten 6 Jahre ist, wird schon beim Lesen der Präambel klar. „Auf Basis des bisher Erreichten soll aufgebaut werden“ heißt es bereits in der fünften Zeile des 167 Seiten starken Papiers. Dementsprechend wenig wundert es, dass kaum etwas von dem „bisher Erreichten“ rückgängig gemacht wird. Wogegen die überwiegende Mehrzahl der SPÖ-AnhängerInnenschaft seit 6 Jahren kämpft, wird durch das vorliegende Übereinkommen zementiert und in vielen Fällen zum Schlechteren weiterentwickelt.
Beispiel Bildung …
Noch am 29. Dezember versicherte Alfred Gusenbauer, dass es keine Koalition geben würde, wenn nicht die Studiengebühren abgeschafft würden. Die im Alleingang erzielte Lösung sieht nunmehr vor, dass eine allgemeine Studiengebühr bestehen bleibt, bei der gleichzeitigen Möglichkeit um 6,05 € in der Stunde (60 Stunden/Semester) soziale Dienste zur Abgeltung derselben zu leisten. Für Studierende aus ArbeiterInnenfamilien und sozial Schwache wird dies nichts am Status quo ändern. Sie werden sich weiterhin durch Arbeit von der Gebühr freikaufen müssen. Ob beim Arbeitgeber Staat oder auf dem freien Markt spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Dies umso mehr, als kaum ein noch so schlecht bezahlter Job einen Stundenlohn unter 6 € vorsieht.
Neben dem Desaster bei den Studiengebühren und der Aufhebung des Kündigungsschutzes für Lehrlinge fiel die SPÖ auch in nahezu allen Bildungsfragen um. Aus der bindenden Senkung der KlassenschülerInnenhöchstzahlen auf 25 ist ein Richtwert geworden, die Gesamtschule, gleich wie die Frage des verpflichtenden Vorschuljahres werden an noch zu bildende ExpertInnenkommissionen delegiert. Zudem sieht das Regierungsprogramm eine Vertiefung der Autonomie der Schulen und Universitäten vor. Der mit Teil- und Vollrechtsfähigkeit einsetzende Niedergang der Universitäten wird solcherart auf Basis des schwarz/blau/orangen UG 2002 beschleunigt fortgesetzt.
Beispiel Eurofighter …
Am 26. August 2006 erklärte Alfred Gusenbauer vollmundig im Kurier: „Mit mir als Bundeskanzler gibt es keine Eurofighter!“. Nach dem vorliegenden Regierungsübereinkommen ist die Entscheidung über den Ankauf der Kampfbomber – entgegen den Beteuerungen der SP-Spitze – bereits gefallen. Auf Seite 3 des Konvoluts bekennen sich ÖVP und SPÖ zur „fortwährenden Vertragstreue der Republik Österreich“, weswegen neben internationalen Abkommen auch „Verträge – ob hoheitlich oder im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung – außer Streit gestellt“ werden. Damit wird der Vertrag mit dem Eurofighterhersteller EADS – sofern er korrekt zustande gekommen ist – irreversibel. Für den gegenteiligen Fall haben die VerhandlerInnen ebenfalls vorgesorgt. In Kapitel I. 6 verpflichtet sich die Bundesregierung explizit zur „Wahrung der Lufthoheit in Form der aktiven (sic!) und passiven Luftraumüberwachung“ (Seite 20), womit die grundsätzliche Beschaffung von Abfangjägern außer Streit gestellt ist. Interessant mutet in diesem Zusammenhang an, dass sich SPÖ und ÖVP zur expliziten Ausformulierung dieses Passus entschlossen haben. Offenbar lässt das Neutralitätsgesetz, das bislang als Argument für die Anschaffung der Eurofighter herhalten musste, mehr Interpretationsspielraum zu, als gemeinhin angenommen.
Ferner sieht das vorliegende Papier auch eine weiterreichende Integration Österreichs im Rahmen der ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) vor. Als eines der Ziele wird die „Weiterentwicklung der ESVP durch Unterstützung der Bemühungen zur Verwirklichung der in Art. 17 des EU-Vertrags aufgezeigten Möglichkeit einer gemeinsamen europäischen Verteidigung, die nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten berührt", genannt. Hiezu sei die Klausel zur Interventionsermächtigung laut EU-Vertrag von Nizza, Artikel 17 (2), wärmstens empfohlen, die „friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“ vorsieht. Was von derlei Euphemismen zu halten ist, dürfte hinreichend bekannt sein; dass der Eurofighter aufgrund seiner Kompatibilität mit anderen europäischen Luftflotten und -werften, das ideale Werkzeug im Rahmen der ESVP darstellt, ebenfalls.
Beispiel Soziales und Arbeit …
Wer die Flieger will, muss sie auch bezahlen. Im Fall der Sozialpolitik trifft dies insbesondere die ärmsten Schichten. Mit der „bedarfsorientierten Mindestsicherung“ – von der SPÖ stets als große Innovation gepriesen – kommt eine schrittweise Neuordnung der Sozialhilfe, die im Grunde genommen dem deutschen Hartz IV-Modell entspricht. Wer bislang Sozialhilfe bezogen hat, soll demnach 726 €/Monat bekommen, allerdings unter drastisch verschärften Bezugsbestimmungen. Demnach muss jedwedes Vermögen verbraucht werden um bezugsberechtigt zu sein. Dies betrifft Barvermögen ebenso wie etwa ein Auto, das man nicht zur Berufsausübung braucht. Wer eine Eigentumswohnung besitzt, dem/der wird eine fiktive Miete als monatliche Einnahme angerechnet (Seite 111). Zusätzlich unterliegen Bezugsberechtigte verschärften Zumutbarkeitsbestimmungen. Wer keinen Job findet, wird zu Weiterbildung und gemeinnütziger Arbeit verpflichtet. Damit, so das zynische Urteil der VerhandlerInnen, „ist sichergestellt, dass es sich bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung um kein arbeitsloses Grundeinkommen handelt“ (S.110).
Von der im Wahlkampf heftig ventilierten Rücknahme der Pensionsreform ist nichts mehr übrig. Im Wahlkampf kündigte Gusenbauers noch die Halbierung der Jugendarbeitslosigkeit an. Konkret heißt das nun, dass der Kündigungsschutz für Lehrlinge wegfallen soll. Mit dieser Maßnahme entspricht die Regierung einer alten Unternehmerforderung, die Lehrlinge noch stärker unter Druck bringen wird aber keine zusätzlichen Lehrstellen bringen wird.
Im Bereich Arbeit werden die Ladenöffnungszeiten auf 72 Stunden/Woche ausgeweitet; die Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts kommt einer de-facto Abschaffung der Überstundenzuschläge bei gleichzeitiger Möglichkeit 12 Stunden/Tag bzw. 60 Stunden/Woche arbeiten zu müssen, gleich.
Beispiel Asylpolitik …
Auch in der Asylpolitik gibt es keinen Kurswechsel. Der noch von der unlängst verstorbenen Ex-Innenministerin Prokop verhandelte Abschnitt „Innere Sicherheit, Integration“ sieht faktisch einen Zuwanderungsstopp vor; kontingentierte Ausnahmen gibt es lediglich für „Spitzenkräfte“. Darüber hinaus lehren die Seiten zur AusländerInnenpolitik eher das Fürchten. So steht etwa auf Seite 142 zu lesen, dass „aufgrund der außerordentlich hohen Kosten für die Grundversorgung von Asylwerbern eine Evaluierung“ des Taschengelds erforderlich ist. Diese Kürzungsdrohung kommt blankem Hohn gleich wenn man bedenkt, dass AsylwerberInnen derzeit monatlich ein Taschengeld von exakt 40 € zusteht.
1,5 Mrd. auf dem Rücken der ArbeiterInnen
Kein Ende findet auch die Belastungswelle. Es blüht eine Erhöhung der Mineralölsteuer ebenso, wie die der Sozialversicherungsbeiträge zur Finanzierung des Gesundheitssystems. Die von der SPÖ geforderte Erhöhung Höchstbeitragsgrundlage für Besserverdiener sowie die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe sind vom Tisch.
Demokratiepolitisch fragwürdig erscheint insbesondere die Verlängerung der Legislaturperiode auf 5 Jahre beginnend mit der nächsten. Im Jargon der VerhandlerInnen firmiert die weitere Beschneidung demokratischer Rechte bezeichnender Weise unter „Demokratiereform“.
Die vorliegenden Budgetdaten (S.167) sprechen eine deutliche Sprache. In den nächsten 4 Jahren werden in Summe zusätzlich 2,56 Mrd. € für die Bereiche „Wachstum und Beschäftigung“, „Bildung“ und „Soziale Absicherung“ aufgewendet werden. Demgegenüber stehen 4,08 Mrd. € an Einsparungen durch Bund, Länder und Sozialversicherungsträger.
Die Große Koalition wird nicht nur nichts von dem, was Schwarz/Blau/Orange verbrochen hat, reparieren, mehr noch: Die Führung der SPÖ hat sämtliche Wahlversprechen gebrochen und ein Programm ausverhandelt, das in den nächsten vier Jahren 1,52 Milliarden € auf dem Rücken der Lohnabhängigen einbringen soll.