Für die reformistische Führung ein Alptraum, für die ArbeiterInnenbewegung überlebensnotwendig

Lukas Riepler, Vorsitzender der SJ Vorarlberg, erklärt im Gespräch mit „Der Funke“ warum gerade jetzt der Aufbau einer Parteilinken in der SPÖ von zentraler Bedeutung ist und wie ein solcher aussehen sollte. Das Interview führte Samuel Stuhlpfarrer.

Wie beurteilst du das Regierungsübereinkommen zwischen SPÖ und ÖVP?

Das Übereinkommen ist eine große Niederlage für die ArbeiterInnenbewegung. Sämtliche Grundsätze der Sozialdemokratie wurden über Bord geworfen. Alles, was sich im Vergleich zu den letzten sieben Jahren verändert hat, ist die Frisur des Kanzlers – programmatisch gibt es keine nennenswerten Unterschiede zur Regierung Schüssel. Die SPÖ hat sich dazu verpflichtet, sämtliche Angriffe auf die Jugend und die Lohnabhängigen mitzutragen. Die Beibehaltung der Studiengebühren, die Aufweichung des Lehrlings-Kündigungsschutzes oder die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten sind nur einige traurige Details der neuen Regierung, der ein roter Kanzler vorsteht und deren Programm ein schwarzes ist.

War es für dich erwartbar, dass die SP-Führung derart vor den Bürgerlichen kapitulieren würde?

Es war uns in der SJ Vorarlberg immer schon bewusst, dass die ArbeiterInnenbewegung im Angesicht einer Großen Koalition die große Verliererin sein wird. Aus diesem Grund hat die SJ die Losung einer Alleinregierung vertreten. Aufgrund unserer Initiative im Verbandsvorstand der SJÖ sprach sich auch die Bundes-SJ gegen eine Große Koalition aus, auch wenn sie unsere Forderung auf eine Alleinregierung nicht unterstützte – bis dann das Wahlergebnis der Nationalratswahlen bekannt wurde. Heute ist die Forderung auf eine Alleinregierung auf der Basis der mobilisierten ArbeiterInnenschaft ein zentraler Slogan der SJ. Wir sind davon überzeugt, dass die SPÖ nur dann Politik im Sinne der Lohnabhängigen und der Jugend machen kann, wenn sie erstens alleine regiert und zweitens unter dem direkten Druck der Basis steht. Alles andere bedeutet ein Zugeständnis an die Bürgerlichen – was das konkret bedeutet, sehen wir gerade.

Die Entscheidung über die Annahme des Koalitionspaktes im SP-Präsidium fiel mit 75% reichlich mager aus. Die Jugendorganisationen stimmten dagegen. Eine nahezu geschlossene Ablehnung kam auch aus zwei Bundesländern – eines davon war Vorarlberg. Was hat es zu bedeuten, dass Gusenbauer offenbar nicht mehr dazu in der Lage ist, die Partei auf einer reformistischen Grundlage zu einigen?

Das bedeutet vor allem, dass wir in Zukunft Zeugen und Akteure eines großen Differenzierungsprozesses innerhalb der SPÖ sein werden. Die Große Koalition hat eine Schleuse geöffnet, die den Unmut, der sich innerhalb der letzten Jahre in der Partei angestaut hat, hervorbringt. Einerseits wird das leider bedeuten, dass sich viele ehrliche AktivistInnen aufgrund ihrer Frustration vom politischen Leben verabschieden werden. Andererseits aber ist gerade durch den skrupellosen Verrat der SP-Spitze vielen GenossInnen bewusst geworden, dass sich so lange nichts ändern wird, bis man selbst aktiv wird. Ich gehe davon aus, dass sich nun in der Sozialdemokratie eine Aktivität der Basis entwickeln wird, die über das bloße Wahlkämpfen hinausgeht und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Partei, deren Geschichte und Zielen führt. Für die reformistische Führung wäre das ein Albtraum, für die ArbeiterInnenbewegung überlebensnotwendig.

Wie schätzt du die Stimmung an der Basis der Partei ein?

Die erste Reaktion auf das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen war vor allem Fassungslosigkeit und Frustration. Viele GenossInnen, die an die Versprechen Gusenbauers geglaubt hatten und oft ihre gesamte Freizeit für den Wahlkampf geopfert haben, fühlten sich belogen und betrogen. Inzwischen ist bei vielen diese Frustration zugunsten eines neuen Kampfgeistes gewichen. Sie sind dazu entschlossen, sich die Partei nicht wegnehmen zu lassen sondern um sie zu kämpfen.

Die SPÖ läuft ernsthaft Gefahr all ihre Glaubwürdigkeit unter der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend zu verspielen; eine nachhaltige Diskreditierung der SPÖ ist zu erwarten. Welche Strategie steckt hinter dieser Politik?

Das Problem besteht ja gerade darin, dass die SPÖ-Führung die Strategien der Bürgerlichen übernommen hat. Für eine Partei, die an sich die Aufgabe hat, die Lohnabhängigen zu vertreten, ist das ein existentielles Problem. So wird versucht, zu einer „besseren“ Volkspartei wie die ÖVP zu werden. Erreichen will man das vor allem durch die Abnabelung von den Gewerkschaften, wie wir das kurz vor den Wahlen gesehen haben: Während man die Gewerkschaftsvorsitzenden aus dem Parlamentsklub verbannt, schenkt man einem liberalen Nichtparteimitglied ein fixes Mandat. Die SPÖ steht damit aber vor einem unlösbaren Widerspruch: Ihre Basis bilden mehrheitlich immer noch die Lohnabhängigen. Also muss die Partei den Spagat zwischen linker Rhetorik VOR und rechtem Handeln NACH der Wahl wagen. Und genau das hat zur aktuellen Krise geführt: Gusenbauer musste in seinen Worten Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse machen, um dann den Angriff auf diese aufzunehmen. Wir sehen: Das ist für die Partei eine Zerreißprobe.

Macht sich Gusenbauer damit nicht zum Werkzeug der Bürgerlichen?

Doch, natürlich. Die Sozialdemokratie bezieht ihre einzige Legitimation aus der Vertretung der Lohnabhängigen. Wenn sie diese Aufgabe nicht mehr erfüllen kann, besitzt ihre Existenz keine Legitimation mehr. Wichtig ist auch, dass der Gusenbauer-Kurs den Bürgerlichen in doppelter Hinsicht in die Hände spielt: Einerseits wird Gusenbauer dazu benützt, die Drecksarbeit für sie zu erledigen; ihre Hände bleiben sauber. Andererseits führt dies gleichzeitig dazu, dass sich die Sozialdemokratie selbst den Boden unter den Füßen wegzieht. Für die nächsten Wahlen ist zu erwarten, dass die ÖVP und das Dritte Lager als die großen Sieger hervorgehen werden, während die Sozialdemokratie am Boden liegt.

Die Reaktionen auf den Regierungseintritt der SPÖ sind unterschiedlich. Während offiziellen Zahlen zufolge rund 200 Mitglieder – darunter namhafte VertreterInnen des VSSTÖ – mittlerweile ausgetreten sind, regen sich erste Versuche die Parteilinke organisatorisch zusammenzufassen. Worin siehst du in dieser Situation die Aufgabe der Parteilinken und insbesondere der SJ?

Es kommt jetzt darauf an das ideologische Vakuum der Partei mit frischen Ideen zu füllen. Der Aufbau einer Parteilinken ist zuallererst eine politische und keine organisatorische Frage. Es ist wichtig, dass sich die AktivistInnen der Parteilinken um ein gemeinsames Programm herum organisieren, ansonsten bricht das ganze schnell wieder auseinander. Vor allem die SJ muss bezüglich dieses politischen Programms eine wichtige Rolle spielen. Sie ist in den letzten Jahren immer weiter nach links gegangen und hat sich fundierte marxistische Theorie angeeignet – innerhalb der SPÖ ist sie derzeit überhaupt die einzige Kraft, die ein Programm hat, das sich in vielen Punkten am wissenschaftlichen Sozialismus orientiert. Jetzt kommt es darauf an, diese Theorien in die ArbeiterInnenbewegung zu verankern. Ausgestattet mit einem sozialistischen Programm wäre es der Parteilinken möglich, das neoliberale Programm der Parteiführung herauszufordern und eine echte Alternative zu den herrschenden Konzepten darzustellen. Damit würde man auch zu einem Attraktionspol für viele derzeit unorganisierte und perspektivlose Jugendliche und Lohnabhängige werden. Im Prinzip ist das der einzige Weg, der die Sozialdemokratie wieder zu einer Bewegung und einem wirklich kämpferischen Instrument machen kann.

Welche Initiativen wird die SJ Vorarlberg in diesem Zusammenhang setzen und wie steht die Landespartei dazu?

Wir arbeiten derzeit daran, diese Parteilinke aufzubauen. Zu diesem Zweck rufen wir für den 1. Februar zu einem Treffen aller kritischer GenossInnen der SPÖ und FSG Vorarlberg auf. Das soll der Startschuss für weitreichende Diskussionen und Tätigkeiten sein. Gleichzeitig versuchen wir unter dem Slogan „(R)Eintreten statt Austreten“ vor allem Jugendliche dazu zu bewegen, gerade jetzt Parteimitglied zu werden und mit uns gemeinsam am Aufbau der Linken mitzuarbeiten. Wir werden auch versuchen, in ganz Vorarlberg an Sitzungen von Orts- und Bezirksparteien teilzunehmen, um dort unsere diesbezüglichen Vorschläge zu präsentieren und die Vernetzung der kritischen Stimmen voranzutreiben.

Diese Pläne finden die Zustimmung der Landespartei. Wie bereits erwähnt stimmten die Delegierten der SPÖ Vorarlberg am Bundesparteivorstand geschlossen gegen das Koalitionspapier. Vor allem die Initiative „Wir sind SPÖ“ stößt hier auf große Sympathien, u.a. auch bei der SP-Landesparteivorsitzenden Elke Sader.

Die SJÖ beabsichtigt ein Jugendvolksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren zu initiieren. Wie beurteilst du dieses Vorhaben?

Entscheidend ist, welchen Charakter und welches Gewicht dieses Volksbegehren hat. Es wäre ein großer Fehler, wenn die SJ ihre Energien ausschließlich für das Volksbegehren verausgabt. Ein solches Volksbegehren kann bestenfalls nur eine flankierende Maßnahme eines größeren Projekts sein. Und dieses Projekt muss in der gegenwärtigen Situation der Aufbau einer Parteilinken sein. Wäre es umgekehrt, würden wir eine historische Chance verpassen. Wenn das Volksbegehren aber so angelegt wird, dass es dazu beiträgt, diesen Aufbau voranzutreiben, kann es eine unterstützenswerte Initiative werden. Die Aufgabe muss aber darin bestehen, dass es rund um dieses Volksbegehren Aktionstage, Demos, größere Versammlungen gibt mit denen der Startschuss für echte Massenbewegungen gegen das Regierungsprogramm und die Große Koalition gelegt wird.

Zur Person: Lukas Riepler (22), geboren und aufgewachsen in Tirol, trat im Zuge der Proteste gegen Schwarz/Blau im Jahr 2000 auf die politische Bühne. Nach der Matura am BORG Tirol und diversen Jobs, u.a. als Zeitungsausträger, wurde er 2005 zum Vorsitzenden der SJ Vorarlberg gewählt. Riepler ist Mitglied des SJÖ-Verbandsvorstandes und Unterstützer von „Wir sind SPÖ“.
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