Wie weiter mit den Protesten gegen die Große Koalition?

Seit Bekanntwerden des Kompromisses zwischen SPÖ und ÖVP in der Frage der Studiengebühren, die den Koalitionspakt de facto fix machten, hagelt es Proteste. An vorderster Front steht die Sozialistische Jugend. Ein Diskussionsbeitrag über die weiteren Aufgaben dieser Bewegung.

Die Besetzung der Löwelstraße

So unerhört der Verrat der Parteispitze an den Wahlversprechen ist, so schön ist der Widerstand, der sich dagegen zu bewegen beginnt. Die spontane Besetzung der Löwelstraße durch die Jugendorganisationen der Partei, allen voran durch die Sozialistische Jugend am Montag Abend macht den Anfang.

Die Besetzung selbst begann schon vorher durch ein Häufchen grüner und alternativer Studenten, doch schnell entwickelte sich die Aktion zu einer eindrucksvollen Kundgebung der Sozialistischen Jugend und des VSSTÖ und schon wenig später war von anderen Grüppchen nichts mehr zu erkennen. Rote Fahnen dominierten das Bild.

Die Slogans "Das ist unser Haus - schmeißt den Gusi raus!" und "Sonderparteitag!", "Minderheitsregierung jetzt sofort" machten klar, dass es nicht um einen Abkehr von der SPÖ geht, sondern dass es jetzt um den Kampf um die Partei geht, dass es darum geht alle kritischen Kräfte in der Bewegung zu bündeln und gegen die Spitze zu organisieren. Sandra Breiteneder, Vorsitzende der SJ Wien, sprach sich dafür aus, dass die SPÖ zu einem sozialistischen Programm zurückfinden müsste. Ein weiterer Redner meinte: „Unser Kampf in den Sektionen gegen diese Politik muss so heftig werden und so lange dauern, bis sich Gusenbauer wünschen wird, im Jahr 2000 nicht Parteivorsitzender geworden zu sein.“

Zuerst gelang es nur den Eingangsbereich zu erobern. Erst im Verlauf des Abends sind wir in die Portierräumlichkeiten eingedrungen. Ein weiteres Vordringen wurde durch die Einsatzkräfte der Polizei verhindert. Immer wieder drohte eine Räumung durch die Polizeikräfte, doch die Stimmung war unglaublich. Besonders berührend war das ArbeiterInnenliedersingen, bei dem die ungeheuerliche moralische Überlegenheit der AktivistInnen gegenüber der Niederträchtigkeit der Parteispitze erst zum Ausdruck kam. Gemessen an den Idealen, die in Liedern wie "Das Bauvolk", "Die Internationale", "Die junge Garde" zum Ausdruck kommen, wurde einerseits die Erbärmlichkeit der SPÖ-Spitze in vollem Licht sichtbar, anderseits wurde klar, dass es in der Löwelstraße 200 junge sozialistische AktivistInnen gibt, die bereit sind für diese Ideale einen langen und schwierigen Kampf zu beginnen, die bereit sind "die Armee" wieder neu zu formieren, die "die Zukunft erschafft", gemäß der Liedzeile: "Des Kampfes sei kein Ende eh nicht im Weiten rund, der Arbeit freies Volke siegt, der letzte Feind am Boden liegt".

Wirklich bewundernswert ist die spontane Bereitschaft der 100 AktivistInnen, von denen viele sonst nicht zu sehen sind, im kalten Jänner in den ungeheizten Vorräumen der Partei zu übernachten. Es waren auch junge Leute dabei, die wirklich an die Wahlversprechen der SPÖ geglaubt und die im Wahlkampfteam mitgearbeitet haben. Sie sind erschüttert. Einer dieser Wahlkampfhelfer hat zu mir gesagt: "Im Wahlkampf habe ich mir ernsthaft überlegt in der Partei aktiv zu werden, weil ich an einen Politikwechsel geglaubt habe. Vielleicht ist es aber gerade jetzt noch viel notwendiger aktiv zu werden."

Das zeigt, die wirkliche Gefahr für die Parteispitze. Sie haben unseren Willen nicht gebrochen. Sie haben uns mit diesem Regierungsprogramm nicht demoralisiert. Sie haben in der SJ ein Bewusstsein geweckt, das lange Zeit geschlummert hat, das Bewusstsein, dass es nicht möglich ist als Sozialistische Jugend, sich darauf zu beschränken Jugendorganisation zu sein, das Bewusstsein, dass es notwendig ist als SJ in die Partei und in die Gewerkschaft hineinzugehen um dort eine Struktur der linken Kräfte aufzubauen.

Mögen Gusenbauer, Darabos und Cap morgen zittern vor den Geistern, die sie heute zum Leben erweckt haben.

Wie weiter?

Es stellt sich jetzt die Frage wie es nach der Besetzung und nach den weiteren Spontankundgebungen bis zur Angelobung der Regierung weitergehen soll. Das ist auch eine Frage der Einschätzung der Situation.

Androsch hat sicher Recht, wenn er sagt, die Parteibasis tobt. Es ist auch ein wichtiges Symptom, dass die SPÖ Oberösterreich und die SPÖ Vorarlberg im Parteivorstand gegen das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen gestimmt haben.

Das Problem ist jedoch, dass es in der SPÖ noch kein Ventil gibt, noch keine oppositionellen Strukturen, wo sich die Wut Ausdruck verschaffen kann. Deshalb darf man sich für die nächste Zeit noch keine Wunder erwarten. Ohne Dampfkessel, der Dampf in Kraft überträgt, verpufft dieser allzu leicht.

Die SJ kann momentan zwar nicht von heute oder morgen dieser Dampfkessel sein. Sie kann aber eine zentrale Rolle spielen in der Formierung der ersten Dampfkessel, in der Bildung einer organisierten Vernetzung hinein in Partei und Gewerkschaft.

Der Beginn einer solchen Vernetzung kann nur in regelmäßigen Veranstaltungen liegen, für die an der Parteibasis mobilisiert werden muss, Veranstaltungen, in denen die Regierungspolitik diskutiert werden soll und Aktionen dagegen koordiniert werden können. Eine erste Veranstaltung müsste zum Regierungsprogramm der rot-schwarzen Koalition stattfinden.

Es ist extrem wichtig, dass die SJ den Vorschlag der Funke-Strömung aufgenommen hat, in den Sektionen Anträge für eine Minderheitsregierung zu stellen. Das ist aber nicht genug. Kritische und linke AktivistInnen an der Parteibasis müssen vernetzt und organisiert werden. Die Veranstaltungen müssen über kurz oder lang zu einer oppositionellen Struktur werden.

Durch diese Vernetzungsversuche werden wir vielleicht am Anfang nicht mehr als zehn oder zwanzig Partei- und GewerkschaftsaktivistInnen organisieren können. Das Wichtigste ist jedoch nicht die Quantität, sondern die Tatsache, dass überhaupt eine oppositionelle Struktur geschaffen wird. Wir können heute schon sicher sagen, dass so eine Struktur im Lauf der Ereignisse zu einem Attraktionspunkt werden muss.

Aber das wir erst im Lauf der Ereignisse passieren und nicht von heute auf morgen, denn die Erfahrung zeigt folgendes: Es wird sich in der Partei erst eine größere Opposition bilden, wenn es zu sozialen Auseinandersetzungen kommt, sprich, wenn sich betrieblicher und gewerkschaftlicher Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals bildet.

Deutschland zeigt uns hier den Weg vor. Erst als sich der erste Widerstand gegen die Schröder-Regierung aus den Betrieben heraus bildete und sich beispielsweise die Arbeitslosenproteste entwickelten, kam es zur Bildung der WASG in der SPD.

Was wir uns hier als Vorbild nehmen müssen, ist dabei nicht die Spaltung der SPÖ, sondern die Bildung einer oppositionellen Struktur in der SPÖ. Eine solche war ja die WASG auch eine Zeit lang.

Genau wenn es im Lauf der kommenden Ereignisse, in den nächsten zwei bis drei Jahren zu sozialen Protesten kommt, gegen die Ausdehnung der Arbeitszeit, gegen die Einführung des Arbeitsdienstes oder gegen andere Grausamkeiten der rot-schwarzen Koalition, dann kann ein Schneeballeffekt eintreten. Voraussetzung für einen Schneeballeffekt ist aber das Bestehen und Losrollen eines ersten wenn auch kleinen Schneeballes. Und genau darin besteht die Aufgabe der Sozialistischen Jugend jetzt. Es geht darum einen Schneeball in der Partei und der Gewerkschaft aufzubauen und loszurollen.

Worin besteht die Gefahr jetzt?

Die größte Gefahr besteht darin, dass es SJ und VSSTÖ als unter ihrer Würde betrachten, einen kleinen Schneeball zu rollen, dass die sozialistischen Jugendorganisationen nach der Regierungsangelobung schauen, ob sich in der Partei etwas tut, und dass sie, wenn sich nichts tut, die Partei für tot erklären, dass sie dann sagen, es habe keinen Sinn oder es wäre lächerlich, 20 Leute zu organisieren. Das Problem ist jedoch: Von selbst wird sich nichts tun.

Wenn die SJ Führung sagen würde: Wir können nichts machen, denn in der Partei tut sich nichts. Dann ist das eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Deshalb kann es nur eines geben: Beginnen wir mit einer ernsthaften Kampagne für den Aufbau eines linken Flügels in der Sozialdemokratie.

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