Nach der Wahl: Jetzt braucht es eine rote „speed kills“-Strategie!
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- Erstellt am Donnerstag, 26. Oktober 2006 10:38
- von Emanuel Tomaselli, FSG-Zorn
Zur allgemeinen Überraschung und zur Bestürzung der österreichischen Bürgerlichen schaffte es die Sozialdemokratie am 1. Oktober stärkste Partei zu werden. Die parlamentarische Konstellation scheint jedoch nichts anders herzugeben als einen Pakt mit der ÖVP. Die Mehrheit der Mitglieder und FunktionärInnen der Sozialdemokratie erfüllt diese Perspektive mit Grauen. Wir wollen hier skizzieren wie dieses Szenario verhindert werden könnte.
Die SPÖ erreichte bei den aktuellen Wahlen knapp 36 Prozent der Stimmen. Was bereits bei einem Blick auf die Wahlsprengel und Gemeinden klar wird, wurde am Tag danach schon durch die Wahlforschung bestätigt. Die SPÖ wurde aufgrund der ihr zugeschriebenen sozialen Kompetenz gewählt. ArbeiterInnen, sozial Schwache, Frauen haben der Sozialdemokratie ihre Stimme gegeben. Man blieb nur deshalb relativ stabil, weil die Kernschichten der IndustriearbeiterInnen und der gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen trotz der Skandale um die BAWAG und trotz Gusis Abnabelungsversuch von den Gewerkschaften zur Wahl gingen. Die Wahl der SPÖ wurde als einzige Strategie gesehen Schüssel abzuwählen, der „Wende“ ein Ende zu setzen und den Druck auf jeden einzelnen zu entlasten.
„Muss“ es die ungeliebte Große Koalition werden?
Nun scheint man aber zu einer Koalition mit dem geschwächten aber trotzigen schwarzen Lager verdammt zu sein. Bereits am Wahlabend entsponnen sich unter SP-FunktionärInnen heftige Diskussionen welche der Wahlversprechen denn nun aufgegeben würden müssten. Gusenbauer wollte schon gar kein böses Wort über die Volkspartei mehr über die Lippen kommen, und die breite und lautstarke Anti-ÖVP Stimmung im Saal sollte, wenn es nach ihm gegangen wäre, schon gar nicht medial nach außen transportiert werden.
Die Parteioberen präsentieren sich als Opfer der Wahllogik um ihre Basis in eine Vernunftehe mit den abgestraften Konservativen zu zwingen. Folgender Ausschnitt aus einem PRESSE-Interview mit Josef Cap bringt diese Überlegung auf den Punkt:
„PRESSE: Rechnen Sie mit SPÖ-internen Widerstand gegen eine Koalition mit der ÖVP? Die JUSOS haben am Sonntagabend auf ihrem Fackelzug schon „Kein Pakt mit der ÖVP“ skandiert.
Cap: Es gibt ja dann faktisch nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Koalition zwischen SPÖ und ÖVP oder man ermöglicht der ÖVP eine Koalition mit BZÖ und FPÖ. Ich denke das werden die JUSOS nicht wollen.“
Abgesehen davon, dass die Ablehnung einer Koalition weit über die SJ hinausgeht und von großen Teilen der Basis geteilt wird, stimmt die Analyse so nicht. Zwar haben die Bürgerlichen mit und rechts von der ÖVP eine Mehrheit im Parlament, aus der Sicht vernünftiger KapitalstrategInnen und WirtschaftsvertreterInnen ist eine schwarz-blau-orange Koalition eine alles andere als wünschenswerte Perspektive. Veit Sorge (Industriellenvereinigung) und Leitl (Wirtschaftskammer) haben sich schon deutlich gegen eine solche Kooperation ausgesprochen. Sie wollen die Große Koalition, schlucken den Bundeskanzler Gusenbauer, verlangen dafür aber das Programm Schüssels.
Eine Zustimmung der ArbeiterInnenbewegung zu diesem Deal kommt dem Willen zum politischen Selbstmord gleich.
Die Strategie des „geringeren Übels“
Die Überlegung, dass man zum Pakt mit der ÖVP gezwungen ist, basiert nicht auf der Beobachtung welche Stärke die ArbeiterInnenbewegung hat, sondern auf der Betonung wie viel Stimmen für eine parlamentarische Mehrheit denn fehlen. Vor der Wahl setzt man auf die volle Mobilisierung der Wählerschaft durch einen massiven Einsatz der „Basiswappler“. Hier wird „gerannt“, mobilisiert, diskutiert, verteilt. In den Betrieben, auf der Straße in den Wirtshäusern und Beisln. Und so hat man es geschafft, dass man die StammwählerInnen trotz Frust über die BAWAG zu den Urnen bringt. Nach dem Schluss der Wahllokale ist dann 1. Politik nur noch Sache der BerufspolitikerInnen, und 2. die erhobenen Forderungen, für die man gewählt wurde, sind plötzlich Verhandlungsmasse, ohne zu glauben, dass man davon etwas durchbringen könnte. Also die Hoffnung der 36 Prozent WählerInnen, die für die Abbestellung der Abfangjäger, für die Zusicherung nach 45/40 Jahren ohne Abschlag in Pension zu gehen, die für die Abschaffung der Studiengebühren, für die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit, für die Gesamtschule und für 100.000 neue Arbeitsplätze gestimmt haben, sind nun weniger wichtig als jene 14 Prozent der WählerInnen, die einem auf die Mehrheit fehlen. Der sozialdemokratische Berufspolitiker beugt sich nun über den Verhandlungstisch und sortiert die Kompromisslösungen nach der Strategie des „geringeren Übels“ aus. Dabei stützt er sich nicht auf die fortschrittlichen Teile der ArbeiterInnenklasse, auf die gewerkschaftlich organisierten und kampferprobten KollegInnen (die laut SORA zu 55 Prozent die Sozialdemokratie gewählt haben), nicht auf die Jugendorganisationen, die ein Feuer der Unterstützung für eine positive Reformpolitik an allen Schulen und Ausbildungszentren entfachen könnten, nicht auf die in den Sektionen organisierten GenossInnen, die in ihren Wohnvierteln die WählerInnen bis zuletzt mit voller Kraft mobilisiert haben, sondern auf jenen Teil der ArbeiterInnenklasse der durch die sozialdemokratische Propaganda bei den Wahlen nicht gewonnen werden konnte. Dies sind in ihrer Mehrheit KollegInnen ohne großartiges Klassenbewusstsein, die keine Erfahrungen in der ArbeiterInnenbewegung haben, VerliererInnen der prokapitalistischen Politik der letzten Jahrzehnte, die ihre soziale Angst im Rassismus sublimieren, und zu einem nicht unbedeutenden Teil KollegInnen, die sich aufgrund der permanenten Politik des „kleineren Übels“ sich in Abscheu von der Sozialdemokratie abgewandt haben und kein Vertrauen mehr in diese aufbringen Dies erklärt auch die überaus hohe Wahlenthaltung, v.a. in Wiener ArbeiterInnenbezirken.
Jetzt ernsthaft zu versuchen den Weg des kleineren Übels zu gehen wird diese Spirale wieder heftig antauchen, eine Serie von Wahlniederlagen einleiten, den Organisationsgrad sinken lassen und die sozialen VerliererInnen einer solchen Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen wird das Heer der Enttäuschten vermehren und den rechtsextremen Populisten à la Strache und Haider wieder einen Nährboden aufbereiten.
Wahlversprechen sind keine Verhandlungsmasse!
Demgegenüber müssen wir in Partei und Gewerkschaft dafür eintreten, dass kein einziges Wahlversprechen verhandelbar ist. Die Versprechen, die die SPÖ im Wahlkampf gegeben hat, müssen gehalten werden, sie sind absolute Minimalforderungen, die an sich nur eine unzureichende Kompensation für das ist, was man uns in den letzten Jahren weggenommen hat.
Wir sagen, dass es unmöglich ist diese Reformen gegenüber der ÖVP durchzusetzen. Sie wird mit Zehen und Klauen ihr Reformprojekt des konservativen Roll-Backs der letzten Jahre festhalten und die zentralen Maßnahmen ihrer Umverteilungspolitik im Interesse der Reichen und der UnternehmerInnen keinesfalls antasten lassen. Die Ergebnisse, die von Verhandlungen mit der ÖVP zu erwarten sind, stinken schon zum Himmel noch bevor man sich mit diesen Herren an den Verhandlungstisch setzt. Was aus den Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit herauskommen wird, wird programmatisch die Regierung Schüssel 3 sein, mit dem einzigen Unterschied, dass der Bundeskanzler Gusenbauer heißt und dass es in der Regierung symbolisch eine Frauen- und KulturministerIn geben wird.
Offensive statt Rückzug ins Kämmerchen!
Tatsächlich ist der Druck, der auf die SPÖ ausgeübt wird, groß. Verhandlungen mit anderen Parteien hin oder her, folgende Dinge müssen ohne Wenn und Aber außer Streit gestellt werden:
- Die im Wahlkampf aufgestellten Forderungen der SPÖ sind nicht Verhandlungsgegenstand, sondern ein Minimalprogramm der sozialen Absicherung der Lohnabhängigen, PensionistInnen und der Jugendlichen. Nichts mehr als ein kleiner Ausgleich für die erlitten sozialen Wunden nach sechs Jahren brutaler Umverteilungspolitik zugunsten des Kapitals und der Reichen.
- Die Verhandlungen müssen offen und transparent geführt werden. Schüssel wird versuchen seine Wahlniederlage in einen Sieg am Verhandlungstisch umzumünzen. Mauscheleien und Abtäusche in versteckten Hinterzimmern ist die Strategie Schüssels. Die Strategie der Sozialdemokratie muss es sein Schüssel zum Offenbarungseid zu zwingen. Die Sitze im Parlament sind nichts als ein verzerrter Ausdruck für das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft, die Sozialdemokratie muss die Menschen dazu einladen ihre Unterstützung für das Reformprogramm auch offen auf der Straße kundzutun – am besten mit öffentlichen Kundgebungen am Verhandlungsort und zur Verhandlungszeit! Dabei wird ihre gesellschaftliche Unterstützung im Laufe der Mobilisierung steigen.
- Gleiches gilt wenn das neu gewählte Parlament am 30. Oktober zusammentreten wird. Hier hat der sozialdemokratische Parlamentsklub die Chance die Wahlversprechen in konkrete Gesetzestexte zu gießen: Hier geht es vor allem um folgende Forderungen: die Abschaffung der Studiengebühren, die Abbestellung der Eurofigther, die Möglichkeit nach 45 bzw. 40 Beitragsjahren abschlagsfrei die Pension antreten zu können und einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz für jeden Jugendlichen. Dieses normale parlamentarische Prozedere hätte den Vorteil, dass nicht nur ein konkreter Verhandlungspartner, sondern die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit einen Offenbarungseid in der Öffentlichkeit leisten müssten. Es ist zu vermuten, dass eine solche Strategie in vielen Fällen zu einem Erfolg führen könnte. So scheint es laut Medienberichten am 30. Oktober bereits eine parlamentarische Mehrheit zur Abbestellung der Eurofigther zu geben. Es wird der FPÖ und den Grünen sehr schwer fallen, gegen soziale Forderungen der SPÖ wie den abschlagsfreien Pensionsantritt nach 45 Beitragsjahren und gegen neue Ausbildungsplätze für Jugendliche zu stimmen. Stimmt andererseits die bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen die Sozialreformen, so würde sie in aller Öffentlichkeit ihr wahres Gesicht zeigen. Sozialdemokratischer Erfolg im Parlament oder die Demaskierung der bürgerlichen Parteien durch ihre Ablehnung – was auch immer diese Abstimmungen bringen würden, die Sozialdemokratie würde damit ihrer Basis in der Gesellschaft stärken und den Grundstein für einen späteren Wahlerfolg legen.
- Begleitet würden die Gesetzesinitiativen durch Mobilisierungen auf der Straße und durch Betriebsrätekonferenzen, wo die Gesetzesinitiativen diskutiert, (falls aus der Sicht der ArbeitnehmerInnen notwendig) verändert und abgestimmt werden könnten. Zögern die bürgerlichen Abgeordneten könnten Warnstreiks die Dringlichkeit dieser Gesetzesinitiativen untermauern. Beispielgebende Wirkung könnte hier einmal mehr der Jugend zukommen. Sie hat ein klares Ziel vor Augen, nämlich die Abschaffung der Studiengebühren und eine allgemeine Verbesserung der Bildungsbedingungen. Anders als der Großteil der ArbeitnehmerInnen gibt es in der Jugend auch eine gewisse Tradition für die eigenen Anliegen auf die Straße zu gehen. Hörerversammlungen auf den Universitäten und Aktionstage, ein SchülerInnenstreik und Demonstrationen wären die Mittel, um die Regierung unter Druck zu erzeugen. Ein Erfolg in diesem Bereich, z.B. die Abschaffung der Studiengebühren, würde auch zögerliche KollegInnen in den Betrieben und Gewerkschaften davon überzeugen, dass es Sinn macht, für die eigenen Interessen ebenfalls aktiv zu kämpfen.
- Mit einer solchen Strategie, die das freie parlamentarische Spiel mit der außerparlamentarischen Bewegung kombiniert, könnte innerhalb von Monaten das bei den Nationalratswahlen festgelegte politische Kräfteverhältnis, in dem die Bürgerlichen trotz SPÖ-Sieg das Heft fest in der Hand zu haben scheinen, völlig zugunsten der ArbeiterInnenbewegung verschieben. Ein Bundeskanzler Gusenbauer könnte – gestützt auf die Gewerkschaften und die Jugend - ein sozialdemokratisches Reformfeuerwerk entfachen, dass es den Bürgerlichen ganz schummrig werden würde. ÖVP, Grüne, FPÖ und BZÖ müssten sich permanent die Frage stellen, ob sie sich in aller Öffentlichkeit demaskieren wollen oder zähneknirschend den sozialdemokratischen Gesetzesinitiativen zustimmen.
- Schüssel hätte in aller Öffentlichkeit gezeigt, dass er nie der „Kanzler aller Österreicher“ war, sondern ein biederer Kapitalvertreter. Strache und Westenthaler würden sich schnell als rassistische Demagogen im Dienste des Kapitals demaskieren. Es ist dann durchaus möglich, dass die bürgerlichen Parteien sich auf ihren gemeinsamen Hass auf die ArbeiterInnenbewegung besinnen, ihre gegenseitige Ablehnung überwinden und eine Regierung bilden. Diese wäre jedoch – wie auch Gabi Burgstaller in einem Presse-Interview meinte - völlig instabil und würde beim ersten Lufthauch zusammenbrechen, sofern die ArbeiterInnenbewegung ihre Strategie beibehält. Neuwahlen wären nur eine Frage der Zeit, bei denen die Sozialdemokratie einen Erdrutschsieg landen könnte, weil sie von breiten Bevölkerungsschichten als konsequente Interessensvertretung wahrgenommen würde. Die ArbeiterInnenbewegung wäre mit einem völlig neuen Selbstbewusstsein ausgestattet, mit dem auch die Offensive des Kapitals auf betrieblicher Ebene und bei Kollektivvertragsverhandlungen gestoppt werden könnte.
Keine Alternative
Das hier skizzierte Szenario ist alles andere als utopisch. Wir möchten hier daran erinnern, dass auch am Anfang der 13jährigen Kanzlerschaft Kreiskys eine Minderheitenregierung gestanden hat. Heute steht die Sozialdemokratie vor der Weichenstellung einen langfristigen Aufwärtstrend einzuleiten oder aber schon nach kurzer Zeit völlig verbraucht wieder an den Trümmern einer gemeinsamen Regierungspolitik mit der ÖVP zu würgen. Eine Große Koalition würde über kurz oder lang eine Erholung des bürgerlichen Lagers bedeuten. Die rechten Demagogen würden in den ArbeiterInnenbezirken auf Stimmenfang gehen, die ÖVP würden ihre ländliche Stammklientel zu den Wahlurnen treiben, sozialdemokratische und gewerkschaftlich organisierte Lohnabhängige aufgrund der Alternativlosigkeit zu Hause bleiben. Jetzt eine Große Koalition zu bilden, bedeutet zukünftig stabile bürgerliche Mehrheiten nach der kommenden Legislaturperiode. Die ArbeiterInnenklasse, die Jugend und die PensionistInnen können von einer solchen Regierung NICHTS gewinnen: keine soziale Verbesserung, keine zukunftsweisende strategische Perspektive.