„Augen auf – Ohren auf“
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- Erstellt am Samstag, 18. April 2015 07:02
- von Axel Magnus, Betriebsratsvorsitzender SDW
Mit diesen markigen Worten sind viele von uns als Kinder tagtäglich im Radio auf die Gefahren im Straßenverkehr aufmerksam gemacht worden. Offenbar haben wir aber politisch verlernt zu sehen und zu hören, zu sehen, was in diesem Land los ist, zu hören, was uns die Menschen darüber sagen, was sie wollen und brauchen, wo der Schuh drückt. Und dabei wird uns auch der Helmi aus dem Radio nicht helfen. Ein paar Gedanken dazu finden sich in dieser „ungehaltenen Rede eines FSGlers auf dem Landesparteitag der SPÖ Wien“.
In einem später zu behandelnden Antrag der SJ wird die SPÖ auf die Gefahren hingewiesen, ein Schicksal wie die griechische PASOK zu erleiden, die es in gerade einmal sieben Jahren mit ihrer Unterordnung unter das Spardiktat der Troika geschafft hat von der absoluten Mandatsmehrheit zu einer 4%-Partei zu werden. Laut manchen aktuellen Meinungsumfragen müsste sie gar um den Wiedereinzug ins Parlament bangen.
Diese Analyse hat durchaus ihre Stärken. Vollkommen richtig daran ist, dass sich die traditionellen ArbeiterInnenparteien in den meisten Ländern Europas in einer massiven Krise befinden, da sie keine glaubwürdige Alternative zur Politik der bürgerlichen haben, sich dieser vollkommen unterordnen, ja manche SpitzenvertreterInnen der Bewegung diese so verinnerlicht haben, dass sie diese gar über den grünen Klee loben. Mensch denke dabei nur an die Werbung des Präsidenten des Europaparlaments für die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TiSA.
Tatsächlich ist aber die Krise der traditionellen ArbeiterInnenparteien nur eine Folge der kapitalistischen Krise, welche die Wirtschafts- oder Finanzkrise in Wirklichkeit ist. Dabei handelt es sich nicht nur um die Krise eines Wirtschaftsmodells, sondern um die Krise eines Gesellschaftsmodells. In Wirklichkeit ist es also eine Krise des Kapitalismus. Und alle Parteien, die dies nicht erkennen und die notwendigen Schlussfolgerungen daraus ziehen, werden selbst in die Krise geraten. Oder wie es ein bekannter Vertreter der internationalen ArbeiterInnenbewegung vor vielen Jahrzehnten sinngemäß formulierte: Die Krise der Menschheit ist letztlich die Krise der Führung der ArbeiterInnenbewegung.
Allerdings sehe ich im Gegensatz zur SJ auch drei andere mögliche Entwicklungswege für die SPÖ, insgesamt also vier. Sehen wir uns diese in chronologischer Reihenfolge an.
In Italien haben sich die zahlreichen Parteien der Linken im Gefolge der vollständigen Neuordnung der Parteienlandschaft mehr oder weniger selbst vernichtet, indem sie immer wieder Wahlbündnisse mit bürgerlichen Parteien eingegangen sind. Wozu sollen arbeitende Menschen noch wen wählen, der/die dann sowieso nur Politik gegen sie machen wird? Das hat dazu geführt, dass heute keine einzige linke Partei mehr im Parlament vertreten ist. Den Partito Democratico als sozialdemokratisch zu bezeichnen, wie es manche tun, pervertiert diesen Begriff. Nicht nur dass dessen aktueller Obmann und Premierminister Renzi aus der Democrazia Cristiana kommt, quasi der italienischen ÖVP. Wirklich entscheidend ist, dass dieser heute all jene Konterreformen bei Sozial-, Arbeits- und Gewerkschaftsrechten durchführt, an welchen der leidige Silvio Berlusconi immer wieder gescheitert ist. Italien ist momentan wohl das Land in Europa, in welchem freiwillig der härteste Sozialabbau durchgeführt wird. Wenn das sozialdemokratische Politik ist, dann Gute Nacht!
In Deutschland hat sich die SPD unter dem damaligen Kanzler Schröder vollkommen einer marktliberalen Politik verschrieben. Weite Teile der Parteibasis konnten und wollten das nicht länger akzeptieren. Bedeutende Teile insbes. der sozialdemokratischen GewerkschafterInnen haben sich daraufhin von der Partei abgespalten und letztlich mit der bis dahin praktisch nur in den sog. neuen Bundesländern verankerten PDS zur Partei „Die Linke“ fusioniert, welche daraufhin zu einer gesamtdeutschen politischen Institution wurde.
Griechenland stellt wieder ein anderes Modell dar. Hier konnte das seit langem bestehende Wahlbündnis Synaspismos während der Jahre des Sozialabbaus durch die PASOK immer mehr und mehr kleine linke Gruppen um sich scharen und so schließlich zu einer Partei werden. Mit der kompletten Unterordnung der Sozialdemokratie unter die Vorgaben der Troika wurde die daraus entstandene SYRIZA schließlich für viele GewerkschafterInnen und AnhängerInnen der PASOK zu einer echten Alternative, was den kometenhaften Aufstieg von einer parlamentarischen Kleinpartei zur Nummer 1 ermöglichte. Das war aber nicht einfach die Folge davon, immer mehr und mehr AktivistInnen um die Partei zu scharen (auch wenn das wichtig ist), sondern dieser Erfolg ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Partei offen gesagt hat, dass sie die Sparpolitik beenden wird und den von der Troika diktierten Kurs nicht länger fortsetzen kann. Sie hat den Menschen in Griechenland damit ihre Würde zurückgegeben und auch Hoffnung.
Der vierte mögliche Weg ist einer, den ich nur aus der Theorie kennen. Eine Partei der ArbeiterInnenbewegung kann zu ihren Wurzeln zurückkehren. Tatsächlich ist die SPÖ in Österreich immer noch die Partei mit der stärksten Verankerung in der arbeitenden Bevölkerung. Doch die Bindungskräfte zwischen Partei und Klasse werden von Jahr zu Jahr schwächer – zu sehr ordnet sich die Parteispitze in der Regierung den in dieser von der ÖVP vertretenen Interessen der Bürgerlichen unter. Zu wenig hat die Basis mitzureden, was dazu führt, dass die Mitgliedschaft immer passiver und passiver wird. Doch eine Rückkehr zu den eigenen Traditionen ist nur möglich, wenn die Parteibasis selbst dafür sorgt. Wenn sie auf einen Kurswechsel durch die Parteispitze selbst wartet, dann wird sie noch immer warten, wenn die Partei bereits endgültig an die Wand gefahren wurde.
Für eine Veränderung der Partei braucht es im wesentlichen drei Dinge. 1. ein neues Programm – an diesem wird derzeit gearbeitet. Die Hoffnung, dass dieses wirklich den Bedürfnissen der Menschen entsprechen wird, ist allerdings gering, wenn wir uns anschauen, wie die Diskussion bisher gelaufen ist. Die Beteiligung der Basis ist gelinde gesagt gering. Und solange die Programmdiskussion von oben mit Fragen wie etwa „Wie können sozialdemokratische Anliegen besser mit der Marktwirtschaft verbunden werden?“ (sinngemäß) gesteuert wird, kann dabei nichts herauskommen. Sozialdemokratie und Marktwirtschaft (d.h. Kapitalismus) sind nämlich so unvereinbar wie Feuer und Wasser. Wer das nicht erkennt, erkennt die aktuellen Aufgaben nicht, die nur mit einem auf die Überwindung des Kapitalismus gerichteten Kurs gelöst werden können.
Zweitens braucht es eine ganz andere Politik. Die Ankündigung, in Wien wieder Gemeindewohnungen zu bauen, hat hier einen ersten Hoffnungsschimmer erzeugt. Dieser wurde leider in der Zeit seither wieder zu Grabe getragen. Die abwertenden Aussagen gegenüber den Anliegen der ÄrztInnen, welche alle Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich, deren Bedürfnisse ja die gleichen sind, auf sich bezogen haben, und gegenüber den LehrerInnen zeichnen ein Bild von einer Partei, die Teile der Lohnabhängigen gegen andere ausspielt, um zu kaschieren, dass sie bei der Gegenfinanzierung der Steuerreform versagt hat. Die ach so launigen Aussagen zu diesen Berufsgruppen haben uns wohl mehr wie ein paar Prozent gekostet. Schließlich fragen sich momentan viele Angehörige anderer Berufsgruppen: Sind wir die nächsten, deren berechtigte Anliegen lächerlich gemacht werden? Wollen wir wirklich eine Partei wählen, die Politik auf unserem Rücken macht statt für die Solidarität aller arbeitenden Menschen einzutreten?
Auch die Absage an die Vermögenssteuern durch einen prominenten Verhandler derselben, welche einem einstimmigen Beschluss des Bundesparteitages vom letzten Herbst widersprochen hat, zeigt deutlich, dass es vollkommen egal ist, was die Mitglieder wollen – bestimmt wird in der Partei von ganz ganz wenigen. Nur eine Politik, die wieder die Interessen der arbeitenden Menschen, der Jugend, der PensionstInnen, der Frauen und aller anderen sozial benachteiligten Gruppen zum Ausgangspunkt nimmt, statt sich angeblichen Sachzwängen unterzuordnen, kann die Bedürfnisse der Menschen erfüllen und die Hirne und Herzen der Menschen erreichen, was die Voraussetzung für politischen Erfolg ist.
Drittens braucht es viele neue Köpfe. Die Menschen haben es satt, wenn ihnen jemand mit einer ganz anderen Lebensrealität erklärt, wie die Welt rennt, obwohl sie es jeden Tag ganz anders erleben. Sie haben es satt, dass die VertreterInnen unserer Partei ganz anders leben als die breite Masse, ganz anders sprechen und auch aussehen. Sie wollen keine AnzugträgerInnen mehr, sondern PolitikerInnen, die so aussehen wie sie selbst, die so sprechen wie sie selbst, die so leben wie sie selbst, die das gleiche verdienen wie sie selbst, die v.a. aber zuhören bevor sie reden.
Und sie wollen PolitikerInnen, die nicht von Sachzwängen schwafeln, sondern endlich wieder eine Meinung vertreten, versuchen diese umzusetzen und Sachzwänge überwinden. Nichts anders ist Politik nämlich! Sie wollen politische VertreterInnen, die die Wahrheit sagen. Doch gerade um die Ehrlichkeit ist es schlecht bestellt in unserer Partei. Wir reden uns ja schon intern alles schön. Wie wollen wir dann zu den Menschen da draußen ehrlich sein?
Doch was bitte soll falsch daran sein, wenn wir sagen, wir wollen das und das erreichen, dann in der Regierung aber nur einen Teil davon umsetzen können und das auch ehrlich sagen? Konkret bei der Steuerreform hätten wir ruhig sagen können: Gut, die Entlastung war ein gewisser Erfolg, auch wenn wir uns mehr für die GeringverdienerInnen und weniger für die SpitzenverdienerInnen gewünscht hätten. Bei der Gegenfinanzierung durch echte Vermögenssteuern sind wir aber gescheitert, weil die ÖVP nicht von ihrer Klientelpolitik für die Superreichen abgewichen ist. Wenn ihr wollt, dass wir das auch noch durchsetzen, dann gebt uns bitte auch die Möglichkeit dazu, indem ihr bei der nächsten Wahl ein Stück des Weges mit uns gemeinsam geht!
Die Zeit drängt. Es ist absehbar, dass wir auch bei den nächsten Wahlen ein Debakel nach dem anderen erleiden. Vor allem aber verschlechtern sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der breiten Masse von Tag zu Tag. Wie lange wird es noch dauern, bis wir erkennen, dass der derzeitige Kurs zum Scheitern verurteilt ist, GenossInnen? Welchen der oben genannten möglichen Entwicklungswege wollen wir gehen? Für welchen werden wir uns entscheiden?