Das Märchen vom regulierbaren Kapitalismus oder die Maniküre des Tigers

Als Folge der weltweiten Finanzkrise wurden der Neoliberalismus und sein quasi-religiöser Glaube an die Selbstregulation der Märkte plötzlich bedeutungslos. Sie wurden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beigesetzt. Nun ist viel die Rede von verantwortungslosen ManagerInnen, staatlicher Regulierung und der Notwendigkeit sich vom Spekulationsgeschäft ab- und wieder der Produktion zuzuwenden.

Zu diesem Zweck werfen wir kurz einen Blick zurück in die Große Depression von 1929. Heute wird oft betont, dass die Ökonomie aus den Fehlern von damals gelernt hätte. Es ist von den Fehlern des Protektionismus und falscher Geld- oder Wirtschaftspolitik die Rede. Die bürgerlichen ÖkonomInnen, VerteidigerInnen des Kapitalismus von Beruf, bemühen sich allzu eilig zu betonen, dass sie heute bessere Mittel zur Krisenbekämpfung hätten als damals. Die Wahrheit ist allerdings, dass die meisten Vorschläge, die heute aufkommen, auch im Gefolge von 1929 ausprobiert wurden, jedoch ohne Erfolg.

Ähnlich wie heute, gab es damals enorme Mengen an akkumuliertem Kapital, die nicht produktiv investiert werden konnten. Dies führte zu einem Anstieg der Spekulation, sowie einer Welle von Fusionen und Übernahmen. Diese Symptome sind uns auch heute wohlbekannt. Spekulation soll den Urtraum der KapitalistInnen wahr werden lassen: Das Kapital zu vermehren, ohne den lästigen "Umweg" der Produktion zu gehen. Fusionen und Übernahmen sind eine weitere Möglichkeit das "überschüssige" Kapital zu verwenden. Dabei wird einfach die Konkurrenz auf.gekauft. Spekulationsblasen und Fusionsfieber waren also immer die treue Begleitung der kapitalistischen Krise.

Staatsintervention und Zinspolitik?

In Wahrheit haben sich 1929 die bürgerlichen ÖkonomInnen als hilflose Zauberlehrlinge entpuppt. In Wirklichkeit wurde die letzte große Wirtschaftskrise nicht durch wirtschaftspolitische Eingriffe gelöst, sondern erst durch den Beginn des Zweiten Weltkrieges und die damit verbundene Rüstungsproduktion. Wie sieht die Situation heute aus? Als Lehren aus der Finanzkrise werden vor allem eine verstärkte Kontrolle der Finanzmärkte, Zinssenkungen und staatliche Konjunkturprogramme präsentiert. Die letzten beiden Mittel kamen auch nach 1929 zur Anwendung, allerdings, wie bereits erwähnt, ohne Erfolg.

Der Grundgedanke hinter Zinssenkungen, ist es, Kapital billiger zu machen und dadurch Investitionen anzuregen. Diese schaffen Arbeitsplätze und dadurch zusätzliche Konsumnachfrage. Soweit die Logik der KeynesianerInnen. Nun ist es zwar richtig, dass Zinspolitik nicht unwichtig für die Wirtschaft ist, allerdings ist sie auch nicht allmächtig. Sie kann helfen einen Aufschwung zu verstärken oder zu verlängern. So konnte z.B. durch die lockere Zinspolitik der späten 1960er der Nachkriegsaufschwung verlängert werden. Das war aber nur vor dem Hintergrund allgemein positiver Profiterwartungen möglich. In den 1930er Jahren hingegen ließ sich mittels Zinssenkungen das Privatkapital nicht zu Investitionen bewegen. Entscheidend für die Wirksamkeit von Zinspolitik sind also die Rahmenbedingungen. Diese gleichen heute aber weniger denen der 1960er Jahre, als vielmehr denen der 1930er Jahre oder der 1990er Jahre in Japan. Dort waren die Zinsen kurzfristig sogar negativ, brachten aber trotzdem keine neuen Investitionen. Das Problem ist, dass es heute in allen wichtigen Branchen Überproduktion gibt.

Ein gutes Beispiel ist die Autoindustrie: 2005 setzte die Branche weltweit 66 Millionen Autos ab, hielt aber Produktionskapazitäten für über 80 Millionen Autos vor. Bei DaimlerChrysler und VW lagen im selben Jahr schon rund ein Viertel der Kapazitäten brach. Die damals noch hohen Gewinne führten zu einem enormen Ausmaß an zusätzlichen Investitionen. Beim Opel-Mutterkonzern GM brach im Oktober 2008 der Verkauf auf dem US-Markt um 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein. Ford meldete für Oktober einen Rückgang der Verkaufszahlen um 30 Prozent; Chrysler ein Minus von 35 Prozent. In einer solchen Situation können auch noch so niedrige Zinssätze keine Investitionen anregen beziehungsweise würden sie die Situation nur verschlimmern.

Im Zusammenhang mit der Finanzkrise ist das Comeback des Staates nicht zu übersehen. Milliarden und Abermilliarden werden in die Rekapitalisierung angeschlagener Banken gebuttert. Finanziert wird das ganze selbstverständlich durch Massensteuern. Von Seiten der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften wird im Zusammenhang mit staatlicher Intervention auch der Ruf nach einer Belebung der Konjunktur durch staatliche Investitionen laut. Dieser Vorschlag leidet jedoch an derselben Krankheit, wie die Zinspolitik. Sind die entscheidenden Rahmenbedingungen und die Erwartung hoher Profitraten nicht gegeben, gibt es keinen Grund für das Privatkapital, sich von einem staatlichen Investitionsreigen mitreißen zu lassen. Folglich können auch staatliche Konjunkturprogramme nicht unter allen Bedingungen greifen.

Regulierung der Finanzmärkte?

Als weitere Lehre der Finanzkrise wird uns die Idee einer verstärkten Kontrolle der Finanzmärkte verkauft. Ideen wie die "Tobin Tax" erleben einen zweiten Frühling. Was früher nur einige mit der - unter bürgerlichen ÖkonomInnen nicht so weit verbreiteten - Gabe der Weitsicht beglückte Individuen vertraten, wird heute auch von Schüssel und Molterer angedacht. Wie ist es nun um die "Tobin Tax" oder ähnliche Steuern auf Finanztransaktionen bestellt? Erstens, würden diese Maßnahmen nur greifen, wenn sie weltweit eingeführt würden, da sonst die Spekulation nur verlagert würde. Zweitens, entsprechen die vorgeschlagenen Steuersätze in keiner Weise den Gewinnen, die sich durch Spekulation machen lassen. Folglich würden sie keine wirklichen Regulierungen sein, sondern allenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein, oder eine zusätzliche Quelle von Steuereinnahmen. An der Struktur der Wirtschaft und der Masse an spekulativen Investitionen würden sie nichts ändern. Ein dritter Punkt, ist, dass es äußerst schwer wäre dadurch nur spekulative Transaktionen zu besteuern. Wie soll zwischen "guten" InvestorInnen und "bösen" SpekulatInnen unterschieden werden? Vor allem, wenn es sich dabei oftmals um ein und dieselben Personen handelt.

Die Zweifel an der Wirksamkeit des Versuches die Finanzmärkte zu regulieren, kommen allerdings nicht nur MarxistInnen. Auch die intelligenteren unter den bürgerlichen ÖkonomInnen sind derselben Meinung. So schrieb die "Financial Times": "Welche ausgeklügelten Regulierungsmodelle die Politiker jetzt auch entwickeln werden, intelligente Köpfe im Finanzsektor werden einen Weg finden, diese zu umgehen oder aus dem regulierten Teil der Branche auszuscheren." Die Regulierung der Finanzmärkte greift viel zu kurz und blendet die wirklichen Ursachen der Krise aus. Und diese liegen in der realen Wirtschaft mit ihren massiven Überkapazitäten und fallenden Profitraten. Erst dadurch suchte das Kapital auf den Finanzmärkten gewinnbringende Anlagemöglichkeiten.

Sündenbock ManagerIn

Die derzeitige Krise auf die Bösartigkeit oder Gier einzelner SpekulantInnen zurückzuführen, ist eine hoffnungslose Überschätzung der Macht einzelner Individuen. Erstens verhalten sich Währungs- und FinanzspekulantInnen wie alle anderen Kapital- oder UnternehmensbesitzerInnen. Sie investieren nur dann, wenn sie gute Profitmöglichkeiten sehen. Oft handelt es sich auch um ein und dieselben Personen. Schließlich halten ja häufig Banken und Versicherungen Aktien von Industrie- und Handelsunternehmen und entsenden ihre SpitzenmanagerInnen in deren Aufsichtsräte.

Der Prozess der Verschmelzung von Bank-, Industrie- und Handelskapital, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts von AutorInnen wie Hilferding und Lenin beschrieben wurde, hat heute ein enormes Ausmaß angenommen. Daher ist es unmöglich geworden zwischen produktivem und spekulativem Kapital zu unterscheiden. Gier nach maximalen Profiten ist die Triebfeder des Kapitalismus. Wieso ist "zu viel" Gier auf einmal schlecht?

Rolle der Spekulation

Einen Kapitalismus ohne Spekulation hat es nie gegeben und wird es auch in Zukunft nicht geben. Die enorme Zunahme spekulativer Investitionen in den letzten Jahren ist in erster Linie auf den Allgemeinzustand der Wirtschaft zurückzuführen. Lassen die Profitraten in der Realwirtschaft zu wünschen übrig, nimmt die Spekulation zu.

Ähnlich wie konjunkturpolitische Maßnahmen nur unter bestimmten Bedingungen wirken können, können auch Spekulationen nur unter bestimmten Bedingungen negative Auswirkungen zeitigen. So kann Baisse-Spekulation auf den Niedergang bestimmter Banken oder Firmen nur dann Gewinn bringen, wenn die betroffenen Institutionen ohnehin schon aus anderen Gründen Probleme haben. Wenn die Spekulation von Hedge-Fonds eine Bank in die Knie zwingt, ist das nur möglich, wenn diese aufgrund der Kreditkrise ohnehin schon Milliarden abschreiben muss. Ein anderes bekanntes Beispiel ist die Spekulation, durch die George Soros noch reicher wurde. Dieser spekulierte 1992 auf den Ausstieg des Pfund aus dem Europäischen Wechselkurssystem. Seine Wette ging nur deshalb auf, weil das Pfund durch die damalige Tory-Regierung zu einem völlig überbewerteten Preis im Wechselkurssystem gehalten wurde. Er spekulierte also nur auf etwas, was eine reale Grundlage hatte.

Die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft taugt weder, wenn es darum geht die Ursachen dieser Krise zu erklären, noch, wenn es darum geht einen Ausweg aus der Krise zu finden. Sie tut alles, um nicht zugeben zu müssen, dass der Fehler im System liegt. Tatsache ist, dass in echten kapitalistischen Krisen jede Form der Staatsintervention versagen muss bzw. das Agieren des Staates nur dazu führt, dass die Verluste sozialisiert werden, die Profite und die Kontrolle über die Wirtschaft aber weiterhin privat bleiben.

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