Warum nicht gleichberechtigt?

Die Krise verschärft die Lebenssituation vieler Frauen. Wir ziehen Bilanz über aktuelle Herausforderungen im Kampf gegen Frauenunterdrückung.

Das Thema Frauenunterdrückung nahm in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung meist eine sehr untergeordnete Rolle ein. Die "Frauenfrage" galt verglichen mit dem die kapitalistische Gesellschaft bestimmenden Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit als reiner Nebenwiderspruch. Angesichts der tiefsten Wirtschaftskrise seit rund 80 Jahren und der Notwendigkeit, Stellenabbau, Werksschließungen und Sparpakete zu verhindern, droht der Kampf gegen Frauenunterdrückung und Sexismus einmal mehr hinten angereiht zu werden. Bei genauerer Betrachtung gehören jedoch gerade Frauen zu den größten VerliererInnen in dieser Krise. Wenn es unser Ziel ist, denen einen Strich durch die Rechnung zu machen, die uns zu Tausenden auf die Straße werfen oder uns für immer schlechtere Löhne und unter immer unsichereren Bedingungen arbeiten lassen, dann braucht es ausgehend von den Betrieben eine Gegenoffensive der ArbeiterInnenbewegung. Dazu brauchen wir eine möglichst hohe Beteiligung aller Lohnabhängigen, egal ob männlich oder weiblich. Der niedrige gewerkschaftliche Organisationsgrad und die meist nur spärliche Teilnahme von Frauen am Organisationsleben in Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien sind aus diesem Blickwinkel gesehen fatal. Die Lösung dieses Problems ist somit von zentraler Bedeutung. Die Rolle von Frauen in der ArbeiterInnenbewegung ist in vielerlei Hinsicht eine Widerspiegelung der Unterdrückungsverhältnisse, denen Frauen in dieser Gesellschaft ausgesetzt sind.

Familie oder Erwerbsarbeit?

Mittlerweile gehen die meisten Frauen einer Erwerbsarbeit nach. Ohne ihren Verdienst könnten viele ArbeiterInnenfamilien auch gar nicht mehr über die Runden kommen. Die Frauenerwerbsquote, also der Anteil der Frauen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen oder arbeitslos gemeldet sind, ist in den letzten Jahrzehnten massiv gestiegen. SozialistInnen haben darin auch immer schon eine wichtige Voraussetzung gesehen, dass Frauen ökonomisch unabhängig und sich ihrer eigenen Stärke bewusst werden. Bestimmendes Element zum Verständnis der Rolle der Frau ist aber noch immer, dass sie zusätzlich auch weiterhin die Hauptverantwortung für Haushalt, Kindererziehung, Pflege, ... trägt.

Die Doppelbelastung zwischen Erwerbsarbeit und Familie bedeutet in der Regel, dass Frauen unter mehr oder weniger prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten müssen und die Hausarbeit sowieso unbezahlt erfolgt und somit gesellschaftlich nicht als vollwertig anerkannt wird. Darin liegt auch noch immer die wirkliche Ursache für die hohen Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen. In Österreich verdienen Frauen im Durchschnitt 26,2 Prozent weniger als Männer, in Vorarlberg sogar 33,4 Prozent. In der Privatwirtschaft ist der Unterschied besonders stark ausgeprägt. Die Bereiche, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten (Volksschulen, Kindergärten, Sozial- und Gesundheitsberufe, Handel), zeichnen sich allesamt durch niedrige Löhne aus.

Es ist eine Tatsache, dass Hausarbeit noch immer fast ausschließlich Frauensache ist. In der Regel beginnt für eine Arbeiterin, wenn sie heim kommt, erst die zweite, meist längere Schicht. Kochen, Putzen, Kinder, Einkaufen nehmen viel Zeit, Kraft und Nerven in Anspruch. Welch dramatische Folgen für die Erwerbsbiographie es hat, wenn Frauen Kinder bekommen, zeigen Statistiken. Nach der Geburt eines Kindes sind rund zwei Drittel der Mütter auf Teilzeitjobs angewiesen. Fehlende oder schlechte Kinderbetreuung ist dabei das größte Problem. Dazu kommt der ideologische Druck auf die Frauen, dem vorherrschenden Bild einer perfekten Hausfrau und Mutter entsprechen zu müssen. Wie für jede andere Form der Diskriminierung gibt es auch im Fall der Frauenunterdrückung ideologische Rechtfertigungen und Ausdrucksformen. Religion, Medien, Kindergarten und Schule produzieren dazu ganz gezielt Rollenbilder. Von klein auf werden Mädchen zu Frauen gemacht und auf die ihnen zugewiesene Rolle vorbereitet. Selbst mit zunehmender Teilnahme am Erwerbsleben wurden diese Rollenbilder nie überwunden, in den meis-ten Fällen werden sie sogar in dieser Sphäre noch weiter reproduziert.

Die herrschende Ideologie ist somit ein wichtiges Instrument um die überwältigende Mehrheit der Frauen in einem Zustand zu halten, wo sie nach den Bedürfnissen der Wirtschaft leicht auszubeuten sind. Dabei ist nicht zu vergessen, dass viele Arbeiter die vorherrschenden Rollenbilder unterstützen, weil sie davon selbst als Ehemann und Vater profitieren und nicht verstanden haben, dass die damit verbundene Spaltung der gesamten ArbeiterInnenklasse schadet. Dem halten wir einerseits entgegen, dass auch Männer angesichts der vorherrschenden Geschlechterrollen seelisch verkrüppelt werden und andererseits ein Kampf gegen die Kapitaloffensive niemals erfolgreich geführt werden kann, wenn es uns nicht gelingt die Einheit der Klasse herzustellen.

Die Wurzel all dessen liegt darin, dass Frauenunterdrückung ein wichtiger Eckpfeiler des kapitalistischen Systems darstellt. Frauen werden schlechter entlohnt und sind aufgrund der prekären Beschäftigungsverhältnisse eine flexiblere Manövriermasse für das Kapital; wir müssen davon ausgehen, dass der Kapitalismus nicht darauf verzichten kann, dass der Großteil der Reproduktionsarbeiten privat in der Kleinfamilie organisiert und somit von Frauen unbezahlt verrichtet wird. Die Kosten einer Vergesellschaftung der Hausarbeit, die in den Bau von Mensen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Pflegeheimen usw. investiert werden müssten, würden die Ressourcen des Profitsystems sprengen.

Durch die Wirtschaftskrise und ihre Folgen wird sich die Lage von Arbeitnehmerinnen weiter verschärfen. Anfangs traf die Krise vor allem Industrien, in denen Männer beschäftigt waren (Auto, Bauwirtschaft) und oft auch gewerkschaftlich sehr gut organisiert sind. Die staatlichen Konjunkturpakete zielten vor allem auf eine Stabilisierung dieser Sektoren ab. Mit der Ausweitung der Krise ging es jedoch auch etlichen Dienstleistungsunternehmen an den Kragen (wie die Handelskonzerne Arcandor mit Thomas Cook und Karstadt oder Quelle). Die Zahl der von Entlassungen betroffenen Arbeitnehmerinnen nahm in dieser Phase enorm zu. Plötzlich sah der Staat keinen Grund mehr einzuspringen und ließ diese Unternehmen pleite gehen, wodurch tausende Jobs von Frauen verloren gingen. Das dicke Ende steht jedoch noch aus, wenn die Regierungen beginnen, die Staatshaushalte wieder zu sanieren. Dies wird vor allem zu Einsparungen bei öffentlichen Dienstleistungen (Kindergärten, Sozialbetriebe), Nulllohnrunden und Stellenabbau im öffentlichen Dienst führen. Dadurch werden überdurchschnittlich viele Frauen wieder für die Krise zahlen müssen. Dies wird jedoch dazu führen, dass Frauen in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle im Klassenkampf spielen werden.

Gewalt gegen Frauen

Zusätzlich zur zunehmenden ökonomischen Frauenunterdrückung erleben wir eine reaktionäre ideologische Offensive gegen Frauen. Diese gehen oft Hand in Hand mit einer Gewalt, die bei moralischer Aggression beginnt und nicht selten auch die Form physischer Gewalt annimmt. In den letzten Jahren sahen wir z.B. eine starke Zunahme in den Aktivitäten von rechtskonservativen AbtreibungsgegnerInnen. Diese beschränken sich längst nicht nur auf reine Propaganda, sondern haben sich zum Ziel gesetzt, durch die regelmäßige Belagerung von Abtreibungskliniken Frauen, die in der Abtreibung den einzigen Ausweg aus einer ungewollten Schwangerschaft sehen, zu terrorisieren. Diese Gruppen wie Aktion Leben u.a. genießen dabei die offene Sympathie und Unterstützung der Kirche aber auch von vielen namhaften PolitikerInnen aus der ÖVP und der FPÖ. Von diesen bürgerlichen Parteien kommen auch immer wieder Vorstöße, die Fristenlösung wieder abzuschaffen. Das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper entscheiden zu können, will die christliche Rechte bis zum heutigen Tag nicht akzeptieren.

Unzählige Frauen sind aber auch mit offener körperlicher Gewalt konfrontiert. Jährlich werden in Österreich 150-300.000 Frauen misshandelt. Im jahr 2007 gab es 6.347 Wegweisungen und über 2.600 Anzeigen wegen Stalking. Die jüngsten Statistiken lassen darauf schließen, dass in der Krise auch diese Zahl zunimmt (plus 10 Prozent bei Anzeigen im ersten Halbjahr 2009). So verweist etwa Maria Rösslhumer (Verein der Autonomen Frauenhäuser Österreichs) darauf, dass Arbeitslosigkeit und weniger Geld in den Familien zu Spannungen führen, die, wenn sich keine Veränderung abzeichnet, Gewalt fördert. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass mit der Arbeitslosigkeit (bei Männern) die traditionellen Rollenbilder in Frage gestellt werden und viele Männer in Identitätskrisen stürzen, weil sie plötzlich nicht mehr der hauptsächliche Ernährer der Familie sind. Die kapitalistische Krise ist also mehr als nur der Rückgang der Wirtschaftsleistung; vielmehr manifestiert diese sich als tiefreichende soziale Krise in allen Bereichen der Gesellschaft, bis hinein in die privaten Beziehungen.

Die Täter kommen in mehr als 80 Prozent der Fälle von Gewalt gegen Frauen aus der eigenen Familie oder dem engsten sozialen Umfeld. Religiös oder kulturell motivierte "Ehrenmorde" und "Familientragödien" im Zuge von Scheidungen in der Reihenhaussiedlung nebenan sind nur die Spitze des Eisberges. Sie sind durch die Bank Ausdruck dessen, dass Frauen den ihnen zugesprochenen Rollenbildern als treue Dienerinnen des Mannes nicht mehr entsprechen wollen.

Frauen und Politik

All dies zeigt, dass Frauenunterdrückung auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch immer ein wichtiges Element kapitalistischer "Ordnung" darstellt. Und zwar nicht nur in den Ländern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas, sondern auch in den imperialistischen Staaten. Der bewusste Kampf für Frauenbefreiung muss daher für alle SozialistInnen einen ganz hohen Stellenwert einnehmen. Frauenunterdrückung wurzelt in den konkreten materiellen Bedingungen, die wir im Kapitalismus vorfinden. Sie kann gemeinsam mit allen vorhandenen Vorurteilen und Verzerrungen in den Geschlechterverhältnissen somit auch erst überwunden werden, wenn der Kapitalismus gestürzt wird. Wie wir aus der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung wissen, birgt diese Einsicht jedoch die Gefahr in sich, Frauen in Passivität zu halten. Als MarxistInnen sehen wir es hingegen als absolute Notwendigkeit im Kampf gegen Frauenunterdrückung nicht einfach nur abzuwarten. Wir müssen Arbeiterinnen die Möglichkeit geben, sich zu organisieren und für ihre Interessen und Rechte aktiv zu kämpfen. Dies beinhaltet den bewussten Kampf gegen den ganzen ideologischen Schrott der bürgerlichen Gesellschaft. Je stärker die Rolle von arbeitenden Frauen in der ArbeiterInnenbewegung wird, desto eher werden wir den Kampf für Frauenbefreiung und gegen kapitalistische Ausbeutung gewinnen können.

Die Bürgerlichen (mit Ausnahme einiger bürgerlicher Feministinnen) betrachteten Frauen – von den Arbeiterinnen ganz zu schweigen – jahrhundertelang nicht als politische Subjekte und verweigerten ihnen die grundlegendsten demokratischen Rechte. Erst im Zuge der revolutionären Welle nach dem 1. Weltkrieg konnte das Frauenwahlrecht gegen den Widerstand der Konservativen druchgesetzt werden. Es brauchte auch dann noch Jahrzehnte des Kampfes um Frauen rechtlich gleichzustellen.

Selbst in der ArbeiterInnenbewegung herrschte gegenüber der Unterdrückung von Frauen oft Ignoranz vor. Frauen wurden als politisch rückständig eingestuft. Vor allem reformistische Strömungen wehrten sich gegen die Beschäftigung von Arbeiterinnen in der Industrie; in den Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien gehörten Sexismus und patriarchale Bevormundung zum guten Ton, wovon Generationen von Sozialistinnen von Adelheid Popp bis Johanna Dohnal wahrlich ein Lied singen konnten.

Es ist zweifelsohne das Verdienst feministischer Gruppen, den Kampf gegen Frauenunterdrückung selbst dann geführt zu haben, als die offiziellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung in dieser Frage den Status quo stillschweigend hinnahmen. Feministische Kritik lieferte daher auch nicht selten wichtige Beiträge zu einem besseren Verständnis für die konkreten Formen dieser Unterdrückung.

Angesichts des anhaltenden Machogehabes vieler Männer in den Gewerkschaften oder in der Sozialdemokratie ist es auch kein Wunder, dass sich Frauen, die politisch aktiv werden, oft auch als Feministinnen sehen. Der Feminismus hat in den letzten Jahren zwar einen Siegeszug in den Universitäten, Medien und auch in der ArbeiterInnenbewegung gefeiert, doch verschiedene Versuche, Frauen einen politischen Ausdruck zu geben, versandeten zum Teil in der Reduktion auf symbolische Fragen wie geschlechtsneutraler Schreibweise, Quotenregelungen in Parteien oder Unternehmen usw.

Obwohl diese nicht unwichtig sind, vergessen sie dabei meist auf die historische Entwicklung der Frauenunterdrückung – und vor allem auf die konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen der Frauen. Diese konnten durch die angesprochenen Maßnahmen nicht verbessert werden. Einzig einige wenige Frauen konnten aufgrund dieser Politik des Symbolischen in politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Führungspositionen aufsteigen. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung wird dabei immer als Kampf der Frauen gegen die Männer gesehen. Unser Ansatz sollte einem anderen Muster folgen und muss dabi vom Klassenstandpunkt ausgehen: Das erfordert einen gemeinsamen Kampf von Männern und Frauen gegen Kapitalismus und Frauenunterdrückung. Damit dieser Kampf auch wirklich gemeinsam geführt werden kann, darf Sexismus in den Reihen der ArbeiterInnenbewegung keinen Platz haben und dem Streben für die Rechte der Frauen muss immer und überall ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden.

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