Die Rezessionsrevolte: Krise und Klassenkampf

Die aktuelle Krise bedroht nicht nur den Lebensstandard der Menschen, sie hat auch weitreichende Auswirkungen auf das Bewusstsein aller Klassen und wird eine neue Welle des Klassenkampfs einläuten. Der folgende Text analysiert die bisherigen Ergebnisse und Perspektiven dieses Prozesses.

Jugendproteste

In einer Reihe von Ländern sahen wir in den vergangenen Monaten eine Welle von Jugendprotesten. Allen gemeinsam ist eine neue Radikalität der Methoden und Slogans. In Spanien etwa nahmen an zwei Aktionstagen gegen den "Bologna-Prozess" und die Folgen der Krise 200.000 SchülerInnen, Studierende und LehrerInnen in 60 Städten an Demonstrationen teil. Laut den OrganisatorInnen der "SchülerInnengewerkschaft" (SE) lautete der beliebteste Slogan auf den Demos "Gibt es keine Lösung, gibt es eine Revolution." Für den 4. März 2009 hat die SE den nächsten landesweiten Streiktag angesetzt. In Italien wurden im Kampf gegen Bildungsabbau hunderte Schulen und Unis über Tage besetzt gehalten, in Deutschland stürmten SchülerInnendemos Unis und plünderten Mensen, in Frankreich blockierten die SchülerInnen tagelang den Verkehr.

Griechenland an der Spitze

In Griechenland nahmen die Jugendproteste der letzten Wochen die radikalste Form an. Auslöser der Rebellion war die Ermordung eines 15jährigen Schülers, der von einem Polizisten erschossen wurde. Spontan kam es im ganzen Land zu einer Welle von Streiks, Besetzungen und Demonstrationen, die sich über einen Monat zogen. Massive Demos mit bis zu 40.000 SchülerInnen griffen Banken und Polizeistationen an. Die Organisationen der SchülerInnen und Studierenden in Athen stehen traditionell unter dem Einfluss der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei (KKE). Diese pochte (in stalinistischer Tradition) jedoch auf "Legalität" und qualifizierte die Proteste als "kleinbürgerlich" ab. Die Welle der Solidarität in der breiten Bevölkerung galt jedoch den DemonstrantInnen und ihren militanten Methoden; am Höhepunkt der Bewegung waren 600 Schulen und 160 Fakultäten besetzt. In Meinungsumfragen bezeichneten 60 Prozent die Bewegung als "Volksaufstand". In Kombination mit dem zehnten Generalstreik innerhalb von fünf Jahren hätte diese Bewegung den Sturz der konservativen Regierung herbeiführen können, wenn die politischen FührerInnen der sozialdemokratischen PASOK und der KKE nicht zur Demobilisierung aufgerufen und sich somit de facto in das Lager der Regierung gestellt hätten.

Konservatives Bewusstsein ...

Die Jugend hinterfragt Staat und Kapital mit der ihr eigenen Radikalität und Frische - und wird zur direkten Aktion gegen diese übergehen. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Reform und Revolution wird jedoch in den traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung stattfinden. Die Reaktion der ArbeiterInnenklasse auf die Krise hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Die Folgen der tiefen Rezession und vor allem die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes wirken im ersten Augenblick bei vielen ArbeiterInnen wie ein Schock und lähmen die politische Aktivität.

So konservativ das Bewusstsein der Menschen in normalen Zeiten sein mag, kann es doch in Krisenzeiten unter den Hämmerschlägen der Realität binnen kurzer Zeit gewaltige Sprünge machen.

Eine entscheidende Rolle dabei spielen die Traditionen der Bewegung im jeweiligen Land, die konkreten Erfahrungen der letzten Jahre und die Führung der Organisationen der ArbeiterInnenklasse.

Das konservativste Element in der Gleichung ist und bleibt jedoch in allen Ländern die Rolle der reformistischen Gewerkschafts- und Parteibürokratien. Egal welcher Couleur (sozialdemokratisch oder "kommunistisch") diese angehören, zeichnen sie sich immer durch eine ausgeprägte Skepsis gegenüber ihrer sozialen Basis aus. Ihr eigenes Unvermögen projizieren sie auf die ArbeiterInnenklasse. Sie machen diese für Niederlagen verantwortlich, anstatt ihre eigenen Ideen, Konzepte und Methoden selbstkritisch einer Prüfung zu unterziehen und effiziente Abwehrmaßnahmen gegen die Angriffe einzuleiten. Fast ausnahmslos unterstützen sie die Regierungen und deren Politik (Bankenrettungspakete, Kurzarbeitsmodelle, ...).

... und ArbeiterInnenmilitanz

Trotzdem sahen wir bereits in dieser ersten Phase der Krise in einer Reihe von Ländern bemerkenswerte Klassenkämpfe, wie etwa den vierstündigen Generalstreik in Italien im vergangenen Dezember. Die italienische Wirtschaft steckt in einer tiefen Rezession. Über den Jahreswechsel meldeten hunderte Fabriken Kurzarbeit an oder verlängerten die Betriebsferien. Trotzdem gingen am 12. Dezember 2008 eine Million ArbeiterInnen auf die Straße - eine Kraftanstrengung die ökonomisch sinnlos war, aber den politischen Willen zum Ausdruck brachte, dass diese Krise nicht auf Kosten der ArbeiterInnenklasse ausgetragen werden darf. Nun gibt es eine starke Kampagne der MetallerInnengewerkschaft FIOM und im öffentlichen Dienst am 13. Februar 2009 einen achtstündigen Generalstreik zur Verteidigung des Kollektivvertrags durchzuführen. In mehreren Fällen wie beim Autobauer Maserati haben kämpferische BetriebsrätInnen erfolgreiche Arbeitskämpfe gegen die Entlassung von Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen und Stellenabbau organisiert. Die MarxistInnen rund um die Zeitschrift "Falce Martello" spielen in diesen Auseinandersetzungen eine zentrale Rolle.

Ähnliche Erfahrungen machten die spanischen MarxistInnen. Ihnen gelang es in mehreren Fällen, die Belegschaften von Betrieben, wo Entlassungen drohen, zu gemeinsamen Kundgebungen und Demos zu koordinieren; in Vitoria (Baskenland) führte eine solche Mobilisierung zu konkreten Erfolgen. In Spanien, Italien wie auch in Griechenland waren übrigens die militanten Jugendproteste ein wichtiger Faktor, der auch die Kampfbereitschaft von Sektoren der Gewerkschaftsbewegung positiv beeinflusste.

Betriebsbesetzungen

Der Kampf gegen Stellenabbau und Fabrikschließungen hat aber nur dann eine Aussicht auf Erfolg, wenn die ArbeiterInnen es wagen, die Verfügungsgewalt der KapitalistInnen in Frage zu stellen. Unter den Bedingungen der Krise werden wir eine Radikalisierung der Klassenkämpfe sehen. Die ersten Anzeichen dafür gibt es bereits.

Die ArbeiterInnen von Republican Windows in Chicago etwa besetzten im vergangen Dezember ihr Werk - der erste Besetzungsstreik in den USA seit den 1930ern. Die Inspiration für diese Kampfmethode bezogen die KollegInnen durch einen Besuch in Venezuela, wo sie unter anderem die besetzte Fabrik INVEVAL besuchten. Die Besetzung bei Republican Windows endete mit einem Teilerfolg; jetzt wollen die beteiligten ArbeiterInnen eine Kooperative gründen und den Betrieb selbst weiterführen.

In Argentinien wurden im vergangenen Monat erstmals seit Jahren wieder acht neue Betriebe besetzt. In Venezuela übernahmen die ArbeiterInnen unter der Führung des marxistischen Gewerkschaftsvorsitzenden Felix Martinez am 21. Jänner 2009 das Mitsubishi-Werk im Bundesstaat Anzoátegui. Dabei handelt es sich um eine Solidaritätsbesetzung mit der Belegschaft eines im Zuge der Krise der Autoindustrie von der Schließung betroffenen Zulieferwerks für den eigenen Betrieb. Der Aufruf zur Betriebsbesetzung, der von sage und schreibe 99 Prozent der 900-köpfigen Belegschaft angenommen wurde, lautete: "Alle Macht den ArbeiterInnen und Fabriksräten!"

In der Emilia-Romagna, einer der Hochburgen der italienischen ArbeiterInnenbewegung, propagiert die Rifondazione Comunista (RC) in ihren Flugblättern ebenfalls Betriebsbesetzungen als Antwort auf Werksschließungen.

Im kommenden Juni werden die UnterstützerInnen der Internationalen Marxistischen Tendenz das zweite "Panamerikanische Treffen der besetzen Fabriken" ausrichten. Angesichts der weltweiten Jobkrise, werden wir beobachten können, wie das Beispiel von Betriebsbesetzungen und Produktion unter Kontrolle der Belegschaft nicht nur in Lateinamerika, sondern darüber hinaus zum Vorbild wird. Diesen Prozess werden wir aktiv fördern.

Krise des Reformismus

In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich die traditionellen ArbeiterInnenorganisationen weit nach rechts entwickelt. Schon in den Jahren des Booms war der Reformismus nicht imstande, Lösungen für die grundlegenden Probleme der Menschen anzubieten. Wahlniederlagen, Mitgliederschwund, Sektionssterben waren die Folge. Unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise wird die Krise des Reformismus sich noch weiter verschärfen.

Wirtschaftlicher Aufschwung, ideologische Rückwärtsbewegung und die damit verbundene nachlassende Teilnahme von Jugendlichen und Lohnabhängigen in ihren traditionellen Organisationen erlaubten es den Führungen von sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien und Gewerkschaften mit dem Kapital Frieden zu schließen. Die Sozialdemokratie drängte in die Mitte und versuchte sich als neue Volkspartei (befreit von Gewerkschaften) zu positionieren.

In den ehemals stalinistischen KPs hatten starke sozialdemokratische Strömungen die Führung inne, die die Parteien in heterogenen Bündnissen mit anderen linken und sog. zivilgesellschaftlichen Gruppen auflösen wollten.

Dieser Trend hat jedoch eine wachsende Opposition von links entstehen lassen. In der italienischen RC gewann ein Bündnis mehrerer linker Strömungen gegen die "LiquidatorInnen" um Fausto Bertinotti, die bisher die Parteispitze stellten. Die GenossInnen von "Falce Martello" sind nun Teil der Parteiführung und für die Betreuung und den Aufbau von kommunistischen Betriebsgruppen zuständig. Sie berichten, wie alte Gewerkschaftskader aufgrund dieser Wende wieder eine Perspektive sehen und erneut aktiv werden. In Frankreich erhielt die marxistische Strömung "La Riposte" vor dem letzten Parteitag bei einer Urabstimmung 15 Prozent, in Spanien kam es zu einem Führungswechsel nach Links in der Izquierda Unida und der Gewerkschaft CCOO.

In der Sozialdemokratie wird sich dieser Kurswechsel verzögert und schwieriger darstellen, dafür aber umso heftiger an die Oberfläche treten. Die Linke darf nicht in den Fehler verfallen, die Massenorganisationen als statische Formationen zu betrachten.

Die Krise schafft objektive Bedingungen, unter denen neue Schichten der Klasse die Bühne betreten werden und den Rücken jener stärken, die über Jahre allein und isoliert versucht haben, die Lebensinteressen ihrer KollegInnen zu verteidigen. Dieses Zusammenspiel ist eine höchst explosive Mischung, die in der organisierten ArbeiterInnenbewegung wohl keinen Stein auf dem anderen lassen wird.

Die Rolle der MarxistInnen

Es gibt keinen mechanischen Zusammenhang zwischen Entwicklungen in der Ökonomie und im Klassenkampf. Krisen können Klassenkämpfe und politische Bewegungen entfachen und ihnen einen explosiven Charakter geben; sie können temporär aber auch zum Stillstand derselben führen. Es kann Perioden oberflächlicher Ruhe geben, dann wieder Tage, an denen ein Ruck durch die Gesellschaft geht und alles aufgeholt wird, was jahrelang murrend, aber still, akzeptiert wurde. Die Geschichte vergisst nichts. Widersprüche können aufgeschoben und zugedeckt, nicht aber auf ewig unterdrückt werden. Die Rolle der MarxistInnen ist es, entlang der Konfliktlinien die objektiv notwendigen Schritte zu artikulieren und wenn möglich das daraus resultierende Programm in der Praxis anzuwenden.

Unsere Aufgabe in der nächsten Periode ist es, das subjektive Bewusstsein auf die Höhe der objektiven kapitalistischen Katastrophe zu heben. Wir haben heute (in den meisten Fällen) nicht die Kraft, Massenbewegungen loszutreten.

Das Vakuum in der Linken durch eigene Hyperaktivität zu füllen, würde aber mit politischer Degeneration bestraft werden. Ebenso ins Nichts führt die dem Reformismus eigene Idee "abzuwarten" - wir würden in diesem Fall einer künftigen Bewegung hinterherhinken.

Hier und jetzt gilt es, durch geduldiges Erklären die Kräfte der fortschrittlichsten und militantesten AktivistInnen der ArbeiterInnen- und Jugendbewegung in der marxistischen Strömung zu bündeln und an Schulen, Unis und in Betrieben zu organisieren. Ausgehend von diesen Positionen werden wir auch in Österreich kommende Bewegungen und Kämpfe mit den Ideen und Methoden des Marxismus befruchten und in die Offensive bringen. Her mit dem schönen Leben - und dazu brauchen wir noch dich und dich!

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