Inflation: Wie teuer muss das Leben sein?

Nach Jahren relativ niedriger Inflation ist das Gespenst der Geldentwertung zurück. Wie soll die ArbeiterInnenbewegung damit umgehen?

Wer kennt es nicht - das Misstrauen, das einen beschleicht, wenn die neuesten Inflationszahlen bekannt gegeben werden. 3,8% höhere Preise im Juli als ein Jahr zuvor - kann das sein? Der letzte Einkauf beim Billa ist uns noch schmerzlich in Erinnerung. Nein, wir sehen keine weißen Mäuse: Die Inflationsrate unterscheidet sich für verschiedene Einkommensgruppen. Im offiziellen Warenkorb sind Güter des täglichen Bedarfs genauso vertreten wie langlebige Güter, PCs usw. Umso geringer das Einkommen, desto größer ist der Anteil, der für Lebensmittel und Wohnen ausgeben werden muss - für Waren, die eine höhere Teuerung aufweisen als z.B. Elektrogeräte und Reisen. Da bei einkommensschwachen Haushalten die Ausgaben für Essen, Wohnen und Energie fast die Hälfte der gesamten Haushaltsausgaben ausmachen, liegt ihre tatsächliche Inflationsrate daher wesentlich höher. So verteuerten sich z.B. Nahrungsmittel im Juni um 6,8% gegenüber dem Vorjahresmonat. Eine AK-Studie vom Mai zeigt, dass die durchschnittlichen Mieten in den vergangenen Jahren um 5-8% gestiegen sind. Eine andere Erhebung der AK ergab, dass eine vierköpfige Durchschnittsfamilie in Österreich mit einem monatlichen Nettoeinkommen von insgesamt 2.500 Euro im Mai dieses Jahres allein für Essen, Wohnen, Verkehr und Energie rund 92 Euro im Monat mehr ausgeben musste als noch im Mai 2007. Und für Deutschland schätzt die Schweizer Kommission für die Bundesstatistik, dass eine Familie mit drei Kindern und einem verfügbaren Nettoeinkommen zwischen 2.600 und 3.600 Euro mit Preissteigerungen zuletzt von bis zu sechs Prozent konfrontiert war.

Schleichende Umverteilung

Doch auch über andere Kanäle trifft die Inflation die Lohnabhängigen und die sozial Schwachen. Durch die sog. "kalte Progression" haben die österreichischen ArbeitnehmerInnen allein im vergangenen Jahr 1,1 Mrd. Euro verloren, schätzt die AK. Dabei handelt es sich um den Effekt, dass wachsende Nominallöhne in höhere Steuerklassen fallen, was nominelle Lohnerhöhungen zunichte macht. So wurden seit 1989 die Steuerklassen nicht mehr angepasst. Wenn der Lohnabschluss (wie in vielen Branchen üblich) unter der Inflationsrate liegt, verlieren die Lohnabhängigen doppelt - zur Inflation gesellt sich die erhöhte Lohnsteuer. Darüber hinaus werden gerade Sozialleistungen in der Regel nur alle paar Jahre erhöht, dazwischen leistet die Inflation als stille Enteignerin der Bourgeoisie gute Dienste. Die als "historisch" (Gen. Buchinger) verkaufte Erhöhung des Pflegegelds (zwischen 4.x% und 5.x% je nach Pflegestufe) konnte die Verluste, die sich über die letzten zehn Jahre angesammelt haben, nicht wettmachen. Dasselbe Bild bietet sich uns bei Arbeitslosengeld, Notstands- und Sozialhilfe. Eine OECD-Studie ergab, dass im Jahr 2000 die Zuschüsse für Alleinverdiener in Österreich noch 11.4% des Bruttogehalts betrugen, sechs Jahre später waren es nur noch 7.4%. Und eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung der AK Niederösterreich hat gezeigt, dass das Arbeitslosengeld seit dem Jahr 2000 real, d.h. inflationsbereinigt, um 4,0% gesunken ist. Noch drastischer die Situation bei der Notstandshilfe: Sie ging real um 7,6% zurück.

Hintergründe

Teuerung kann verschiedene Ursachen haben. Auf der einen Seite steigen am Ende eines wirtschaftlichen Aufschwungs die Preise schneller, weil die Unternehmen um Rohstoffe und Vorprodukte konkurrieren. Gleichzeitig steigt die Beschäftigung, was die Nachfrage nach Produkten und damit die Preise steigen lässt. So sehen wir etwa heute einen massiven Preisanstieg bei Eisenerz, Stahl usw. Grund dafür ist die rasend schnelle Industrialisierung Chinas, von Teilen Indiens und des Mittleren Ostens.

Die jüngste Teuerungswelle, die den Globus in Atem hält, ist allerdings keine bloß konjunkturell bedingte Episode, die mit der Wirtschaftsabschwächung wieder vorübergehen wird. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer Wirtschaftspolitik, die eine tiefe Rezession am Anfang des Jahrzehnts abzuwenden half. Ausgehend von den USA wurde international der Kredit in nie dagewesenem Ausmaß ausgeweitet. Wichtigstes Werkzeug zur Senkung der Zinsen: Die Ausdehnung der Geldmenge. Viele Länder mussten nachziehen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht zu verlieren. Was im Westen billige Kredite, waren in China und anderen Ländern Asiens offene Subventionen für Rohstoffe und direkte Zahlungen an Unternehmen. Das Ganze glich dem verzweifelten Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Immobilien- und Finanzkrise waren die Folge. In zunehmendem Maße wird nun den Unternehmen und Finanzinstitutionen klar, dass der massiv ausgeweiteten Geldmenge viel weniger Wert gegenübersteht als angenommen. Der unausweichliche Effekt: Eine Explosion der Preise.

Am Ende der Immobilienblase strömte Kapital dann verstärkt in andere Bereiche wie Erdöl und Lebensmittel - und stürzte dadurch Hunderte Millionen Menschen ins Elend. Das ist die Barbarei der unsichtbaren Hand des Marktes. Den Hohen Priestern der "Effizienz des Markts" sollte es die Schamesröte ins Gesicht treiben!

Was kommt auf uns zu?

Alles deutet auf eine tiefe Rezession hin, die große Teile der Welt gleichzeitig erfassen wird. Doch die US-Geldmenge steigt weiter: Die US-Republikaner wollen den endgültigen Einbruch noch bis nach den Präsidentschaftswahlen hinauszögern. Das Geldmengenwachstum kann unter solchen Umständen nur zu einem weiteren Inflationsschub führen - selbst wenn Erdölprodukte aufgrund der Krise wieder etwas billiger werden sollten.

Auf Seiten der Führung der ArbeiterInnenbewegung herrscht angesichts dieser Situation weitgehend Ratlosigkeit. Der Konflikt wird in Österreich auf zwei Ebenen ausgetragen werden: Im Kampf um eine Steuerreform und bei den Lohnverhandlungen. Während die Gewerkschaftsführung die Aufmerksamkeit weg von den Lohnverhandlungen und hin zur Steuerreform lenken will, hat Minister Buchinger im Vorfeld der letzten Lohnrunde höhere Lohnabschlüsse eingefordert: Man schiebt sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

Kommt es zu einer Lohnsteuerreform, die den Namen verdient, stellt sich die Frage der Gegenfinanzierung. Wer soll zahlen: Das Kapital, oder auf Umwegen doch wieder die ArbeitnehmerInnen? Das Kapital wird auf "Strukturreformen" drängen, auf "ausgabenseitige Maßnahmen" - auf Schließung von Krankenhäusern, Privatisierungen, eine weitere Aufweichung des Arbeits- und Sozialrechts usw.

Die Aussichten für die Herbstlohnrunde sind nicht viel rosiger: Erstens hat die Gewerkschaftsführung rund um Rudi Hundstorfer die Logik voll und ganz akzeptiert, dass selbst ein Ergebnis entlang der traditionellen gewerkschaftlichen Formel (Inflation+Produktivitätswachstum) den Wirtschaftsstandort gefährden würde. Und zweitens wird Werner Faymann Druck auf den ÖGB ausüben, schnell zu einem "vernünftigen" Ergebnis zu gelangen - als Vorleistung während allfälliger Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP. Auf der anderen Seite wird der Druck aus den Betrieben so groß wie nie sein, endlich auf der KV-Front einen Durchbruch zu erringen. Das Standortdenken der ÖGB-Führung wird in direkten Widerspruch zu den Bedürfnissen der Basis geraten: Konflikte sind vorprogrammiert.

Den Lebensstandard verteidigen!

Die heutige SPÖ- und ÖGB-Führung hat sich unendlich weit von der Lebenssituation der Menschen entfernt, für deren Interessen sie eigentlich eintreten sollte. Durch die Unterordnung ihrer Politik unter die Interessen der Wirtschaft und die bedingungslose Kapitulation in der Sozialpartnerschaft endet sie zwangsläufig darin, Verschlechterungen mitzuverhandeln und ist für die entstehende Armut mitverantwortlich. Für den momentanen Kurs wird die SPÖ-Führung die Rechnung präsentiert bekommen, denn er führt direkt in die Verelendung der ArbeiterInnenklasse und bereitet einen Aufstieg rechtsradikaler Kräfte vor.

Wie gehen MarxistInnen an die Frage der Inflation heran? Wir fordern, dass zumindest die Löhne und Sozialleistungen automatisch an die Inflation angepasst werden. Dasselbe gilt für die Lohnsteuerklassen. Wir hören bereits die Kritik der Wirtschaftskammer, und das unvermeidliche Echo der ÖGB-Führung: Höhere Löhne führen zu einer Lohn-Preisspirale, gestiegene Lohnkosten werden einfach auf die Produktpreise weitergegeben. Mit diesen Argumenten versuchen die Kapitalvertreter die Last der Inflation alleine auf die ArbeiterInnen zu wälzen. Für uns bedeutet Inflationsbekämpfung aber nicht Lohnzurückhaltung sondern Preiskontrolle. Dabei darf es keine Rücksicht auf kapitalistische Standortlogik oder das Dogma der "Wettbewerbsfähigkeit" geben, die ArbeiterInnen zugunsten höherer Profite gegeneinander ausspielen. Wenn die Unternehmensführung als Reaktion ArbeitnehmerInnen entlassen oder den Betrieb ganz zusperren will, müssen wir für die Verstaatlichung unter der Kontrolle der Belegschaft eintreten - und für die Eingliederung des Unternehmens in einen Gesamtplan, der alle staatlichen Unternehmen koordiniert. Ferner müssen lebenswichtige Bereiche wie Wohnen ebenfalls der Profitgier des Kapitals entzogen werden: Es braucht eine öffentliche Wohnbauoffensive und einen staatlich verordneten Mietpreisstopp. Weigert sich ein Zinshausbesitzer, muss das Haus in Staatseigentum übergehen.

Dieser Kurs ist zwar meilenweit von der politischen und gewerkschaftlichen Realität entfernt, bleibt aber die einzige Alternative, will man sich nicht der kapitalistischen Standortlogik unterwerfen und beliebig sinkende Lebensstandards hinnehmen.

Auf künftige Klassenkämpfe vorbereiten

Unter der Oberfläche hat sich riesiger Unmut angesammelt. Jahr für Jahr die gleiche Leier: Lohnzurückhaltung im Interesse des "Standorts". Bisher hat er keinen Kanal finden können. Von der Gewerkschaftsführung fühlt man sich alleingelassen. Auf Betriebsebene muss man eine kleine Verschlechterung nach der anderen akzeptieren, sieht keine Alternative. Viele AktivistInnen und BetriebrätInnen werden von einer pessimistischen Stimmung erfasst. Die Leute im Betrieb erscheinen apathisch, gewerkschafts- und politikverdrossen. Die historische Erfahrung zeigt, dass dies eine völlig normale Reaktion ist. Wir dürfen uns nicht von der jetzigen Situation täuschen lassen: Schlagartig kann die ArbeiterInnenklasse wieder erwachen und für ihre Interessen kämpfen. In vielen europäischen Ländern hat die wirtschaftliche Situation zu einer Zuspitzung der Arbeitskämpfe geführt - eine Entwicklung, die auch vor Österreich nicht halt machen wird. Selbst der ÖGB wird von dieser Welle erfasst werden und seine Politik ändern.

Es gilt, bereits jetzt einzelne Stützpunkte in den Betrieben aufzubauen, um linke Ideen besser in die Klasse tragen zu können, wenn der Sturm losbricht. Wir müssen bereits jetzt in einzelnen Betrieben vorzeigen, wie man diesen Kampf erfolgreich führt.

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