Von sozialem Aufstieg und journalistischem Abstieg

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Eine bür­ger­li­che Alli­anz aus der Tages­zei­tung „Die Presse“ und der Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung (IV) bestrei­tet die Tat­sa­che, dass die Armen immer ärmer und die Rei­chen immer rei­cher wer­den. Ein Unter­fan­gen, das sich als pro­ble­ma­tisch her­aus­stellt, denn die zitierte Auf­trags­stu­die der Sta­tis­tik Aus­tria exis­tiert nicht und zudem erzäh­len die Zah­len eine andere Geschichte. Die attes­tier­ten Auf­stiegs­chan­cen öster­rei­chi­scher Arbeit­neh­me­rIn­nen beru­hen auf ein­ge­schränk­tem Zah­len­ma­te­rial und ste­hen mani­fes­ten Abstiegs­ri­si­ken gegen­über. Die Zuta­ten für einen Leit­ar­ti­kel sind den­noch schnell gefun­den: Eine Stu­die, die es nicht gibt, über einen Mythos, der kei­ner ist.

Mit­hilfe von Lohn­steu­er­da­ten aus den Jah­ren 2000 und 2011 wer­den unselb­stän­dig Beschäf­tigte beob­ach­tet, die sowohl zu Beginn als auch am Ende des Betrach­tungs­zeit­raums in der Sta­tis­tik zu fin­den sind. Hier offen­bart sich die erste Schwä­che der Ana­lyse, da jene Beschäf­tig­ten, die 2000 noch erwerbs­tä­tig aber 2011 in Arbeits­lo­sig­keit, Pen­sion, Karenz oder ein­fach nicht mehr beschäf­tigt waren, nicht beach­tet wer­den. Nur weni­ger als die Hälfte der in einem die­ser Jahre unselb­stän­di­gen Erwerbs­tä­ti­gen wird also über­haupt berück­sich­tigt. Wäh­rend die Presse fest­hält, dass „der Anteil der ver­fes­tig­ten Armut hier­zu­lande sehr gering“ sei, fin­det die Armuts­falle Arbeits­lo­sig­keit über­haupt keine Erwähnung.

Aber nicht nur am unte­ren Ende wird ein Teil der Gesell­schaft bei der Ana­lyse von Mobi­li­tät aus­ge­blen­det. Die Reichs­ten wer­den eben­falls igno­riert, denn sie gehö­ren nicht zur lohn­steu­er­pflich­ti­gen Bevöl­ke­rung. Die wirk­lich begü­ter­ten öster­rei­chi­schen Haus­halte bezie­hen ihre Ein­kom­men aus Ver­mö­gen und das ist hier­zu­lande äußerst ungleich ver­teilt. In Öster­reich besit­zen die unte­ren 50% ledig­lich 4% des Net­to­ver­mö­gens, wäh­rend die reichs­ten 5% etwa 45% unter sich aufteilen.

Nahezu gleich schlecht ist noch kein Aufstieg

Auch wenn man von den gra­vie­ren­den Ein­schrän­kun­gen durch die beschnit­te­nen Daten absieht, bleibt die Inter­pre­ta­tion der IV äußerst morsch. Pla­ka­tiv wird dar­ge­stellt, dass drei Vier­tel der unselb­stän­dig Beschäf­tig­ten aus dem unters­ten Zehn­tel (Dezil) den Absprung aus dem ärms­ten Ein­kom­mens­seg­ment schaf­fen. Dass die meis­ten aller­dings nur ein oder zwei Dezils­gren­zen über­schrei­ten, wird ver­schwie­gen. Mehr als die Hälfte des unters­ten Zehn­tels aus dem Jahr 2000 fand sich 11 Jahre spä­ter in einem der ärms­ten drei Dezile und ver­dient monat­lich weni­ger als 1.000 Euro brutto. Was also in den unte­ren Ein­kom­mens­be­rei­chen als „Auf­wärts­mo­bi­li­tät“ und „Auf­stiegs­chance“ bezeich­net wird, spielt sich in einem sehr tris­ten Ein­kom­mens­be­reich ab. Einen wei­te­ren Teil der Auf­wärts­mo­bi­li­tät steu­ern Berufs­ein­stei­ge­rIn­nen bei. Dass Beschäf­tigte nach zehn Jah­ren mehr ver­die­nen als bei ihrem Ein­tritt ins Berufs­le­ben, ist zum Glück nicht verwunderlich.

Aus den Daten der Sta­tis­tik Aus­tria las­sen sich die Zah­len­spiele der IV rasch ent­zau­bern. Zwei­fel­los ist es erfreu­lich, dass rund 32% der Lohn­ab­hän­gi­gen zwi­schen 2000 und 2011 ihre Posi­tion inner­halb der Ein­kom­mens­ver­tei­lung ver­bes­sern konn­ten – wenn auch wie erwähnt oft nur gering­fü­gig. Dem­ge­gen­über ste­hen aller­dings 40% der Arbeit­neh­me­rIn­nen, die in die­sem Zeit­raum in ein nied­ri­ge­res Dezil abge­stie­gen sind. Eine Ein­kom­mens­gruppe konnte ihre Posi­tion indes­sen am bes­ten ver­tei­di­gen: Die obers­ten 10%. Nahezu zwei Drit­tel gehör­ten sowohl im Jahr 2000 als auch 2011 die­ser Gruppe an.

Die Ein­kom­mens­schere geht sehr wohl auf

Trotz aller Wider­sprü­che in der Ana­lyse las­sen sich Presse und IV nicht beir­ren: „Die Ein­kom­mens­schere geht in Öster­reich nicht auf“ lau­tet das Resü­mee. Ein kur­zer Blick in den Sozi­al­be­richt 2010 genügt, um für die Lohn­steu­er­da­ten das genaue Gegen­teil fest­zu­stel­len. Unter Berück­sich­ti­gung aller Arbeit­neh­me­rIn­nen wies das unterste Fünf­tel im Jahr 2000 einen Ein­kom­mens­an­teil von 2,5% auf, wel­cher bis 2010 auf 2,0% schrumpfte. Am obe­ren Ende konnte das reichste Fünf­tel sei­nen Ein­kom­mens­an­teil indes­sen von 45,7 auf 47,4% stei­gern. Im sel­ben Zeit­raum berech­nen die Stu­di­en­au­to­rIn­nen eine deut­li­che Zunahme des Gini-Koeffizienten, was auf eine zuneh­mende Ein­kom­mens­un­gleich­heit hin­weist (siehe Tabelle).

 

Ent­wick­lung der Ver­tei­lung der lohn­steu­er­pflich­ti­gen Ein­kom­men, 1976–2010

Entwicklung der Verteilung der Lohneinkommen nach Quintilen und Gini-Koeffizienten

Quelle: Sozi­al­be­richt 2011-12, S. 233

Soziale Mobi­li­tät muss gestärkt werden

Soziale Mobi­li­tät stellt einen wich­ti­gen Fak­tor für den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt sowie für das indi­vi­du­elle Gerech­tig­keits­emp­fin­den dar. Dies gilt sowohl für die Posi­tio­nie­rung in der Ein­kom­mens­ver­tei­lung im Laufe einer Erwerb­s­kar­riere als auch für die inter­ge­ne­ra­tio­nale Mobi­li­tät, wel­che den Ein­fluss der Ein­kom­men von Eltern auf den Bil­dungs– und Erwerbs­ver­lauf ihrer Kin­der misst. Hier­aus lei­ten sich auch die wich­tigs­ten Maß­nah­men für Chan­cen­gleich­heit in Öster­reich ab, die das schiefe Spiel­feld ebnen sollen.

Für die Auf­stiegs­chan­cen inner­halb eines Erwerbs­le­bens spielt Bil­dung die zen­trale Rolle, was die Not­wen­dig­keit von vor­schu­li­schen Bil­dungs– und Erzie­hungs­ein­rich­tun­gen, Gesamt­schu­len sowie des freien Hoch­schul­zu­gangs unter­streicht. Der Kampf gegen Arbeits­lo­sig­keit und pre­käre Beschäf­ti­gung („working poor“) ist essen­ti­ell, um Wege aus der Armuts­falle zu bie­ten (12,6% der Bevöl­ke­rung waren 2011 armuts­ge­fähr­det). Nicht zuletzt muss aber end­lich dort ange­setzt wer­den, wo leis­tungs­lo­ses Ein­kom­men aus extrem ungleich ver­teil­ten Res­sour­cen bezo­gen wird: aus den Pri­vat­ver­mö­gen. Eine Ver­mö­gens­steuer soll gemein­sam mit der Wie­der­ein­füh­rung der Erb­schafts­steuer für die Mit­tel zur Umver­tei­lung ökono­mi­scher Res­sour­cen sorgen.