Sozialbereich: Ein Kollektivvertragsabschluss, der bedenklich stimmt

Der Abschluss für die Kollektivverträge von BAGS, Caritas und Diakonie mit 2,75% auf die Kollektivvertragslöhne und 2,7% auf die Ist-Gehälter ist eigentlich ein Skandal. Doch dahinter stehen gesellschaftliche Ursachen.

Tatsächlich wäre der Abschluss fast nicht zu Stande gekommen. Beide Verhandlungsteams haben nur sehr knapp dafür gestimmt. Die Beschäftigten mit 21:19 – die ChefInnen gar nur mit einer Stimme mehr dafür. Die Gründe dafür sind aber vollkommen unterschiedlich.

Auf Seite der Bosse haben insbes. jene aus Wien geschlossen gegen den Abschluss gestimmt. In diesem Bundesland liegt das daran, dass die Budgeterhöhungen von z.B. nur einem mageren Prozent für die Behindertenhilfe einen höheren Abschluss schlicht und einfach nicht hergeben. Das soll das sozial eiskalte Verhalten der Betriebe nicht rechtfertigen, sondern nur die Tatsachen ins rechte Licht rücken.

Die wahre Verantwortung liegt beim Hauptfördergeber Fonds Soziales Wien, der keine ausreichenden finanziellen Mittel für eine menschenwürdige Bezahlung zur Verfügung stellt. Selbstverständlich ist dieses Vorgehen mit den verantwortlichen politischen Stellen in der Landesregierung abgestimmt. Wir müssen in Zukunft also den Druck der gewerkschaftlichen Maßnahmen im Sozialbereich insbes. gegen die Politik richten, da diese in letzter Konsequenz über die Mittel entscheidet, welche für diese Arbeit zur Verfügung steht.

Und hier gilt es ab sofort die Krokodilstränen der PolitikerInnen zu entlarven, welche in ihren schönen Sonntagsreden gerne von der Zukunftsbranche Sozialbereich und deren gesellschaftlicher Notwendigkeit sprechen. Wenn sie dann jammern, dass zu wenig Personal zur Verfügung steht, dann muss ihnen eindrücklich klar gemacht werden, dass sich daran nie etwas ändern wird, solange die Bezahlung in der Branche derart mies ist und zur Aufrechterhaltung der Leistung zwangsverpflichtete Lohndrücker(Innen) eingesetzt werden – die Zivildiener.

Wenn heute schon darüber diskutiert wird, dass das freiwillige soziale Jahr nun doch kommen soll, um die künftig geringeren Zahlen an Zivildienern zu kompensieren, dann müssen wir dem eine klare Absage erteilen. Wir brauchen Profis – das sagen wir denjenigen, die das zwar fürs Bundesheer argumentiert haben, scheinbar aber meinen, dass im Sozialbereich eh ohne jegliche ernsthafte Ausbildung gearbeitet werden könnte. In anderen Branchen würden sie sich das niemals trauen. Die KollegInnen in der Industrie etwa, die eine hochqualifizierte Lehre gemacht haben, würden sich schön bedanken, wenn neben ihnen einE KollegIn ohne Ausbildung bei schlechterer Bezahlung die gleiche Arbeit macht – sie wissen genau, dass das auf Dauer nur zu sinkenden Löhnen führen kann.

Und diese gibt es real im Sozialbereich. Jahrelang haben wir GewerkschafterInnen von einer Gehaltsdifferenz von 17% zum Durchschnitt der Lohnabhängigen gesprochen. Heuer sind es erstmals 18%. Das ist auch keine Wunder, wenn die meisten anderen Kollektivvertragsabschlüsse bis hin zum Handel höher gelegen sind. Über die Jahre türmen sich ein paar Zehntelprozent durch Zinseszins schnell zu vielen Prozenten auf.

In diesem Zusammenhang müssen wir auch damit aufhören, die „eh nicht so schlechten“ Kollektivvertragsgehälter bei Vollzeit schön zu reden. Wir arbeiten in einer Branche, in der auf Grund der enormen psychischen Belastung Vollzeit nur für eine Minderheit möglich ist; abgesehen davon werden von den Bossen auch immer weniger Vollzeitjobs angeboten. Am Ende des Monats zählt für die KollegInnen, was auf ihrem Konto angekommen ist. Solange zwischen 30 und 40 Prozent der KollegInnen unter der offiziellen Armutsgrenze verdienen, ist und bleibt die Bezahlung im Sozialbereich ein Skandal.

Eine Gesellschaft, die so reich ist wie Österreich, kann es nicht länger akzeptieren, dass viele KollegInnen, die mit Armen arbeiten selbst durch ihre Arbeit verarmen. Hier muss angesetzt werden. Die Reichen werden immer reicher – doch nach wie vor fehlt der Mut im (für die Besitzenden) Steuerparadies Österreich Vermögens- und Gewinnsteuern auch nur auf dem durchschnittlicher Niveau der EU einzuführen. Das würde locker dafür reichen, die Einkommensdifferenz von 18% mit einem Schlag zu beheben. Selbstverständlich ist aber tatsächlich mehr notwendig, da wir Beschäftigten im Sozialbereich nicht die einzige soziale Baustelle im Land sind. Doch mit einer stark progressiven Besteuerung von Gewinn und Vermögen ließe sich das alles locker finanzieren.

Und hier gilt es auch die Landespolitik in die Pflicht zu nehmen. Solange die Bundesländer mit unseren Steuergeldern spekulieren und Teile davon jenen zukommen lassen, die ohnedies schon viel zu viel haben, werden wir ihr Gejammer über die Budgetknappheit nicht mehr ernst nehmen. Auch die Länder können durchaus einen Beitrag zur Umverteilung von oben nach unten leisten. Abgesehen davon könnten sie sich ja auch im Bund für eine ernsthafte Politik in diese Richtung stark machen. Übrigens wäre das auch die direkte Demokratie, die die Menschen wollen. Statt der Frage zu einem Milliardengrab „Olympiabewerbung Wiens“ wäre die Frage, ob sich Wien für deutlich höhere Vermögens- und Gewinnsteuern einsetzen soll, hundertmal sinnvoller.

Gleichzeitig müssen wir auch unsere eigenen KollegInnen und Organisationen in die Pflicht nehmen. Solange wir nicht mehrheitlich bereit sind, nach den schon zum alljährlichen Ritual gewordenen Demonstrationen im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen, zu härteren gewerkschaftlichen Maßnahmen zu greifen, werden wir Kollektivvertragsabschlüsse bekommen, die unsere finanzielle Situation von Jahr zu Jahr weiter verschlechtern. Wenn manche meinen, dass öffentliche Suppenküchen und Lichterketten um die Einrichtungen dazu ausreichen, mehr zu erreichen, dann werden die Bosse und verantwortlichen PolitikerInnen sich schenkelklopfend freuen.

Wir Beschäftigte im Sozialbereich müssen endlich alle damit beginnen, uns selbst und unsere eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Und wenn wir das tun, dann müssen wir auch bereit sein, den nächsten Schritt zu gehen und jene Maßnahmen zu ergreifen, die diese durchsetzen können. Ein Streik im Sozialbereich bringt heute jedes Industrieland schneller zum Stillstand als einer bei der ÖBB oder in der Stahlindustrie. Innerhalb kürzester Zeit könnten hunderttausende KollegInnen in anderen Branchen auch nicht mehr arbeiten, wenn sie ihre pflegebedürftigen oder behinderten Angehörigen, ihre Kinder usw. selbst betreuen müssten (Notdienste ausgenommen!). Der so entstehende öffentliche Druck würde alle PolitikerInnen, die noch jemals gewählt werden wollen, innerhalb kürzester Zeit zum Nachgeben zwingen.

Wir haben gute Gründe. Wir haben die gesellschaftliche Macht. Uns fehlt einzig der Mut! Es ist Zeit, dass wir unsere Ängste überwinden und erkennen, was wir alles erreichen können!

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